Lindsay machte ein sehr verlegenes Gesicht. Die Falten seiner Stirn bildeten längst schon keine hohen Bogen mehr; er hatte den Kopf gesenkt und die vorher so stolz erhobene Nase war tief zerknirscht zusammengesunken.
»Es war aber ja ganz gut gemeint!« entschuldigte er sich.
»Das weiß ich wohl; drum habe ich in Halefs Gegenwart geschwiegen und Euch nun jetzt unter vier Augen meine Meinung gesagt. Ihr habt Euch früher stets nach mir gerichtet und müßt zugeben, daß dies stets zu Eurem Vorteile war. Seit jener Zeit seid Ihr als selbständiger Mann gereist und habt Euch angewöhnt, zu handeln, ohne andere zu fragen. Das ist der leicht erklärliche Grund Eurer Eigenmächtigkeit, und darum sage ich Euch meine Meinung nicht in zornigen, sondern in ganz ruhigen Worten. Jetzt aber seid Ihr nicht mehr Euer eigener Herr; ich bin nicht Euer, sondern Ihr seid mein Begleiter; das gebe ich Euch zu bedenken.«
»Soll das heißen, daß ich gar keinen Willen haben darf?«
»Nein; aber wenn drei Personen eine weite, beschwerliche und wohl auch oft gefährliche Reise zusammen unternehmen, so versteht es sich ganz von selbst, daß keiner von ihnen ohne Wissen der andern wichtige Bestimmungen treffen darf; es muß alles einmütig geschehen; das ist es, was ich wünsche. Ihr sagtet vorhin, daß man unter Reisegefährten nicht so genau zu rechnen brauche; das ist grundfalsch; ich halte es vielmehr für sehr notwendig, daß jeder Gefährte die Rechte der andern sehr genau beachte und auf sie Rücksicht nehme. Ihr behauptet ferner, es würde eine Beleidigung für Euch sein, wenn wir uns Eurer Anordnung nicht fügten. Ich sage Euch dagegen, daß es eine Beleidigung für uns war, diese Anordnung ohne unser Wissen zu treffen!«
»Well, hm, mag wahr sein! Will es also nur sagen: Ihr solltet nicht zu zahlen brauchen!«
»Das weiß ich ja; aber ist grad der Punkt, wohin ich mein Fragezeichen setze, weil ich nicht wünsche, daß ein Ausrufezeichen daraus werde. Ihr kennt mich da von früher her. Ich will vor allem auch in dieser Beziehung mein eigener Herr sein und teile Euch darum ganz aufrichtig meine Ansicht mit, daß pekuniäre Unselbständigkeit fast sicher auch andere Arten von Abhängigkeit nach sich zieht.«
»Aber, Mr. Kara, ich bin reich, tausendmal reicher als Ihr! Soll ich da nicht das Vergnügen haben, Euch dann und wann etwas zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern, was Euch sonst schwer fallen oder gar unmöglich sein würde? Es ist das für mich ja eine Kleinigkeit, grad so, wie wenn ein Pferd beim Füttern einige Körner verliert, die von einem Sperling aufgetippt werden.«
»Danke herzlich für diesen vortrefflichen Vergleich!« lachte ich.
»War nicht so, sondern anders gemeint! Sehe ein, daß ich auch ein aufrichtiges Wort bringen muß. Hört mich ruhig an!«
»Sehr gern!«
»Wenn ich in meine volle Tasche greife, um einige armselige Piaster für Euch auszugeben, so wollt Ihr mir das nicht gestatten. Ich aber soll es mir ruhig gefallen lassen, daß Ihr in Euern Kopf, in Eure Kenntnisse, in Eure reichen Erfahrungen greift und für mich mit Eurer geistigen, intellektuellen Münze nur so um Euch werft! Münze ist Münze; ob aus den Schätzen Eures Verstandes oder aus unserer Bank von England entnommen, das bleibt sich gleich. Soll ich welche von Euch annehmen, so muß auch ich von der meinigen ausgeben dürfen, wenn ich mich nicht als armer Almosenempfänger fühlen soll; das müßt Ihr doch einsehen! Oder nicht?«
»Ich will zugeben, daß das, was Ihr da gesagt habt, nicht ohne einige Berechtigung ist, und will, so wie ich es früher nicht war, auch jetzt nicht dagegen sein, daß Ihr zuweilen einmal in Eure wohlgefüllte Tasche greift; aber Ihr dürft damit nicht die Ansicht verbinden, daß dies ohne unser Wissen geschehen kann und gar vielleicht Euch die Berechtigung verleiht, uns wie heut, mit vollendeten Thatsachen, denen wir nicht zugestimmt hätten, zu überraschen. Für diesesmal sollt Ihr unsere nachträgliche Zustimmung erhalten; bei einer Wiederholung dieses Falles aber würdet Ihr nur den Erfolg haben, ohne unsere Gesellschaft auf Eurer Thatsache sitzen zu bleiben. So, nun mag diese heikle Angelegenheit abgethan sein. Ihr habt es gut gemeint und ich meine es mit meinem Tadel auch nicht schlecht, denn ich habe ihn nur ausgesprochen, um späteren Unannehmlichkeiten zu begegnen. Wo habt Ihr denn eigentlich Eure überraschende Kenntnis der arabischen Sprache her?«
Da hellte sich sein verdüstertes Gesicht schnell auf; die Nase machte einen frohen Seitensprung, und er antwortete:
»Nicht wahr, das hat Euch überrascht?«
»Außerordentlich!«
»Habt mir‘s gar nicht zugetraut?«
»Aufrichtig gesagt, nein.«
»Well! Habe mich auch riesig auf Eure Verwunderung gefreut! Meine Reise damals mit Euch war die schönste und interessanteste von allen, die ich unternommen habe. Ist mir nie aus der Erinnerung gekommen. Sehnte mich förmlich, alle die Orte einmal wiederzusehen. Nahm mir also vor, den ganzen Weg noch einmal zu machen. Dazu gehörte aber die Sprache, die ich nicht verstand. Beschloß darum, sie zu erlernen. Wandte mich nach Oxford, Universität; verschrieb mir einen Lehrer. Mußte mich begleiten, auch während der Reise unterrichten. War ein tüchtiger Kerl und hat sich viel Mühe gegeben. Habe aber auch gearbeitet wie ein Stier, Tag und Nacht! Wundere mich, daß mein Kopf noch ganz ist, keine Löcher und Sprünge bekommen hat! Ist eine heidenmäßig schwere Sache, diese arabische Sprache. Bin sehr oft ganz konfus gewesen; habe Flinte tausendmal wegwerfen und ausreißen wollen. Bin in Wut geraten, ganz verzweifelt gewesen, habe nicht essen, nicht schlafen können. Riesige Kopfschmerzen, schlechte Verdauung, Augenflimmern, Ohrensausen; habe mich ganz elend gefühlt, unendlich jämmerlich. Dachte aber an Euch, an Eure Ausdauer, Energie; malte mir aus, Ihr säßet bei mir und nicktet mir aufmunternd zu. Das half. Bin mit jedem Tag arabischer geworden, bis mir sogar einmal träumte, ich sei ein Beduinenscheik und zähle meinen Schafen und Kamelen das große Einmaleins arabisch vor. Da schriebt Ihr mir, Ihr wolltet hierher. War natürlich sofort fest entschlossen, mitzumachen, und lernte nun mit doppelter Wut, wie eine Windmühle im Sturme oder eine Maus, hinter der die Katze ist. War riesenhaft stolz auf den Erfolg. Habe mir tausendmal Euer Gesicht ausgemalt, wenn Ihr hören würdet, was ich leiste. Fand Euch leider nicht daheim, bin also hierher. Habe Euch hier getroffen; aber anstatt mich an Eurem Staunen weiden zu können, habe ich Vorwürfe zu hören bekommen. Ganze Freude ist in das Wasser gefallen und total ertrunken! Sehe aber ein, daß ich selbst schuld bin. Hätte Euch erst fragen sollen, welchen Weg Ihr nehmen wolltet. Wird nicht wieder vorkommen; gebe Euch mein Wort darauf!«
Da reichte ich ihm die Hand und sagte:
»Diese Freude habe ich Euch natürlich nicht verderben wollen. Ich war außerordentlich überrascht und wollte meinen Ohren nicht trauen, als ich Euch so fließend arabisch sprechen hörte. Ich weiß am besten, wie groß die Mühe gewesen ist, die Ihr darauf verwendet haben müßt, und es kann mir nicht einfallen, Euch die wohlverdiente Anerkennung vorzuenthalten. Ihr müßt ja geradezu wie ein Pferd gearbeitet haben!«
»Pferd? Ist viel zu wenig gesagt!« verbesserte er, indem infolge meines Lobes sein ganzes Gesicht vor Wonne strahlte und seine Nase eine vergnügt horchende Lage einnahm. »Habe mit dem Kopf gearbeitet. Muß also nicht Pferd sondern Ochse heißen! Darf also annehmen, daß Ihr zufrieden mit mir seid?«
»Sehr zufrieden!«
»Gute Leistung von mir?«
»Großartige Leistung sogar!«
»Well! Damit ist alles gut, alles wieder gutgemacht! Wenn Kara Ben Nemsi meine Leistung großartig nennt, so ist das die beste Belohnung, die ich finden kann. Möchte diese Heidenarbeit aber nicht zum zweitenmal machen. Würde ganz gewiß überschnappen! Habe meinen armen Kopf sehr oft für eine alte Pauke gehalten. Was hat da alles hineingemußt! Sukuhn, Hamza, Teschdid, Madd, Singular, Dual, äußerer Plural, innerer Plural,