IM REICHE DES SILBERNEN LÖWEN III
Erstes Kapitel: In Basra
Jedem Leser von »Tausend und eine Nacht« ist der Name Basra bekannt, weil die ebenso schöne wie kluge Erzählerin Scheherezade einen Teil ihrer Märchen in dieser einst so hochberühmten Stadt spielen ließ. Basra, früher auch Bassora oder Balsora genannt, ist die älteste der am Euphrat und Tigris gelegenen Khalifenstädte und wurde im Jahre 636 von Omar gegründet, um den Persern die Verbindung mit dem Meere und so den Seeweg nach Indien abzuschneiden.
Zu jener Zeit lag an der damaligen, jetzt vollständig vertrockneten Mündung des Flusses die alte Stadt Teredon oder Diridotis, welche wegen der Fruchtbarkeit ihrer Gegend Jahrhunderte lang von den Arabern zu den vier Paradiesen der Moslemin gerechnet wurde. Sie stand seit Nebukadnezar bis zur Zeit der macedonischen Diadochen in Blüte und ist auch uns besonders dadurch bekannt, daß Nearchos, der Jugendfreund Alexanders des Großen, im Herbste des Jahres 325 mit seiner Flotte vom Indusdelta herüberkam und hier in Teredon landete. Zwischen diesem Handelsplatze und Basra entstand ein Wettbewerb, aus welchem die damals noch junge Khalifenstadt als Siegerin hervorging; Teredon verödete, meist wohl auch infolge der allmählichen, aber unaufhaltsamen Versandung des Flusses, während Basra als Stapelplatz der nach Bagdad bestimmten Waren zu solcher Bedeutung gelangte, daß der persische Golf das »Meer von Basra« genannt wurde.
In einer wohlangebauten Gegend liegend und unter dem besondern Schutze des Khalifen stehend, kam diese Stadt nicht nur zu großem materiellen Reichtum, sondern auch zu hohem litterarischen Ruhme, weil die hervorragendsten Dichter und Gelehrten der moslemitischen Welt sich hier zusammenfanden, besonders nachdem Ibn Risaa, der Gefeierte, da eine der ersten Gelehrtenschulen gegründet hatte. Die geistige und geistliche Bedeutung dieser Akademie war eine so hohe, daß Basra durch sie den Ehrennamen Kubbet el Islam, Kuppel des Islam, erhielt. Diese Herrlichkeit war aber nicht von langer Dauer; die Stadt ging an demselben Schicksale zu Grunde, welchem ihre einstige Rivalin Teredon erlegen war, der mit der Zeit unerbittlich fortschreitenden Austrocknung des Flusses, wozu sich auch höchst ungünstige politische Verhältnisse gesellten. Jetzt besteht die »Kuppel des Islam« nur aus zwischen Ruinen liegenden armen Hütten und ist, obgleich Ausgangspunkt der nach Arabien bestimmten Karawanen, fast bedeutungslos. Sogar den Namen hat es eingebüßt; es wird jetzt Zobeïr genannt, nach einer kleinen Grabmoschee, welche auf der Stelle steht, wo der gleichnamige Parteigänger von Muhammeds Witwe Aïscha den Tod gefunden hat. Übrigens ist das alte Basra auch dadurch interessant, daß Muhammed als Knabe seinen Oheim Abu Taleb auf einer Reise hierher begleitete und da mit einem christlichen Mönche Namens Dscherdschis (Georgius) zusammentraf, der sich viel mit ihm beschäftigte und dann den Onkel auf die geistigen Anlagen des Neffen aufmerksam machte. Wahrscheinlich ist hier die Wurzel zu den christlichen Anschauungen zu suchen, deren Blüten so oft im Kuran zu entdecken sind.
Basra liegt jetzt ungefähr zwei Meilen nordöstlich von der alten Stadt. Wer etwa infolge von »Tausend und eine Nacht« in poetisch gehobener Stimmung ankommt, der sieht sich von einer so unpoetischen Misère umgeben, daß er schon in der ersten Stunde wünscht, den Schauplatz süßer Märchen so bald wie möglich wieder verlassen zu können. Zunächst liegt die Stadt leider nicht direkt am Flusse, sondern eine halbe Stunde davon an einem stagnierenden und darum übelriechenden Wasser. Der Ort bietet dem Auge des Besuchers nur die Zeichen des Verfalles; er steht auf versumpftem Grunde, welcher gefährliche Miasmen erzeugt. Die jahraus, jahrein hier brütenden Fieber sind so berüchtigt, daß z.B. die Versetzung eines Beamten von Bagdad nach Basra für eine Verurteilung zum sichern Tode gehalten wird. Kein einheimischer Arzt kennt ein wirksames Mittel gegen diese Fieber, und da auch unsere Medizinen sich als machtlos erweisen, so kommt auch der Europäer nur, um schnell wieder zu gehen. Die Bevölkerung, noch in den zwanziger Jahren auf wenigstens sechzigtausend geschätzt, kann jetzt kaum den zehnten Teil davon betragen, und wenn es hier nicht den Kut-i-Frengi[1] für die großen Seedampfer gäbe, welche den Handelsverkehr zwischen Mesopotamien und Indien vermitteln, so würde Basra an seiner jetzigen Stelle bald vergeblich zu suchen sein.
Obgleich ich das alles sehr wohl wußte, war ich doch mit meinem Hadschi Halef hierhergekommen, um Alt-Basra zu besuchen und dann aber ja nicht zu verweilen, sondern über den Schatt el Arab und Qarun zu setzen und dann am Ufer des Dscherrahi oder auch Ab Ergun in die Berge zu reiten, durch deren Pässe dann ein Weg nach Schiras zu suchen war. Meine Leser wissen, daß ich früher schon einmal mit Halef in Basra gewesen bin.[2] Wir hatten schon damals die Absicht, nach Persien zu gehen, waren aber auf die Pilgerstraße nach Mekka abgelenkt und dann ganz verhindert worden, diesen Vorsatz auszuführen. Was wir dabei in Alt-Basra erlebt hatten, war so interessant, daß wir jetzt diese Gegend nicht berühren wollten, ohne die Stätte wieder aufzusuchen. Heute waren wir von diesem Ritte zurückgekehrt und saßen nun unweit der Zollgebäude in dem Kahwe[3], welches neben dem Thore in der Mauer liegt. Wir hatten die Pferde in dem engen, schmutzigen Hofe stehen und warteten auf den Fährmann, der uns an das linke Ufer des Schatt el Arab bringen sollte. Der liebe Mann hatte uns abgewiesen und auf später vertröstet, weil er vorhin jemand hinübergerudert habe und sich nun erst einmal tüchtig ausruhen müsse. Dieser Zeitverlust um einer so albernen Ursache willen war ärgerlich, mußte aber ruhig hingenommen werden, da der Starrkopf unsern Einwand, daß wir selbst rudern wollten und er dabei ruhen könne, mit der Widerrede beantwortete, daß er seine Ruder nur für sich und nicht für andere Leute habe. Aber wie jede Verdrießlichkeit auch eine gute Seite hat, so sollte es sich auch in diesem Falle zeigen, daß die Verzögerung nicht ohne freundliche Folgen für uns sei. Ja, sie brachte uns eine Ueberraschung, wie wir sie uns größer und besser gar nicht hätten wünschen können.
Ich muß bemerken, daß die Wände des Kaffeehauses grad so wie diejenigen der Zollgebäude aus geflochtenem Rohre bestanden. Es gab zwei Räume, einen größern und einen kleinern; wir saßen ganz allein in dem letzteren und konnten durch die dünne, lückenreiche Scheidewand alles, was in dem ersteren vorging, sehen und auch alles deutlich hören, was gesprochen wurde. Bis jetzt waren einige Leute dagewesen, nun aber wieder gegangen. Der Wirt saß faul auf seinem Kissen, hatte die ausgegangene Tabakspfeife auf den Knieen liegen und sah schläfrig vor sich hin. Der junge Somali, welcher der Bedienung der Gäste obzuliegen hatte, war beschäftigt, die Tschibuks, die an der Wand hingen, einen nach dem andern herabzunehmen, um sie zu stopfen; sie waren für die rauchlustigen Gäste bestimmt. Es war sehr still hier in den Räumen, auch draußen: nur zuweilen hörten wir einen lauten Kommandoruf, welcher auf dem Verdecke des englischen Dampfers erscholl, der gegen Abend die Anker lichten wollte, um nach Karatschi und Bombay zu gehen. Dann ertönte die begrüßende Stimme einer kräftigen Schiffspfeife. Es kam ein neuer Dampfer an, ob von oben herab oder von der See herauf, das wußten wir nicht, weil wir ihn nicht sehen konnten. Dieses Schiff brachte uns die Ueberraschung, welche ich vorhin erwähnte. Es waren seit dem Pfeifensignale kaum zehn Minuten vergangen, so hörten wir, daß ein neuer Gast in das Café trat.
»Sallam!« grüßte er kurz.
»Sallam aaleïkum!« antwortete der Wirt in müdem, gleichgültigem Tone.
Wir hatten gar keinen Grund, uns um die Besucher dieses Hauses zu bekümmern, aber die Langeweile des Wartens veranlaßte uns, durch die Lücken der Scheidewand einen Blick auf den Eingetretenen zu werfen. Kaum hatten wir das gethan, so wollte Halef aufspringen; er öffnete den Mund zu einem Ausrufe der Verwunderung; ich aber bedeckte ihm die Lippen schnell mit der Hand, drückte ihn auf sein Sitzkissen nieder und raunte ihm zu:
»Still, ganz still, Halef! Das ist eine außerordentliche Begegnung; auch ich freue mich so darüber, daß ich laut werden möchte, aber wir wollen warten; er ist allein und ich möchte gern beobachten, wie er, der weder arabisch noch türkisch versteht, sich benehmen wird.«
Der Mann, auf den sich diese meine Worte bezogen, war eine Person, die schon an jedem Orte des Abendlandes und wie viel mehr hier in diesem Winkel des Orientes die Aufmerksamkeit auf sich ziehen mußte. Seine Gestalt war überaus lang und knochig. Ein hoher, grauer Cylinderhut saß auf seinem schmal ausgezogenen Kopfe. Ein unendlich breiter, dünnlippiger Mund legte sich einer Nase quer in den Weg, die zwar scharf und lang genug war, aber dennoch die Absicht verriet, sich noch weiter, bis zum Kinn hinab, zu verlängern. Wenn ich dazu bemerke, daß diese Nase von den Spuren einer einst auf ihr gesessenen Aleppobeule verschönert wurde, so