Ich versteckte mich an der Haustüre. Dann kam der Muck heraus. Mein Vater hielt ihn an der Hand. Mir war gar nicht wohl zumute[28]. Ich blieb daher lange in meinem Versteck. Endlich trieb mich der Hunger heraus. Mit gesenktem Kopf trat ich vor meinen Vater.
«Du hast, wie ich höre, den guten Muck beschimpft?«sprach er.»Ich will dir die Geschichte dieses Muck erzählen. Du wirst ihn gewiss nicht mehr auslachen. Und vor- und nachher bekommst du das Gewöhnliche[29]!«
Das Gewöhnliche aber waren fünfundzwanzig Hiebe. Er nahm daher sein langes Pfeifenrohr und schraubte die Bernsteinmundspitze ab. Dann bearbeitete er mich ärger als je zuvor.
Als die Fünfundzwanzig voll waren, erzählte er mir von dem kleinen Muck.
Der kleine Muck heißt eigentlich Muckrah. Sein Vater war ein angesehener, aber armer Mann hier in Nicea. Er lebte einsiedlerisch wie jetzt sein Sohn. Er liebte ihn nicht, weil er sich seiner Zwerggestalt schämte. Der kleine Muck war noch in seinem sechzehnten Jahr ein lustiges Kind. Sein Vater, ein ernster Mann, tadelte ihn immer, dass er so dumm und läppisch war.
Der Alte starb und zurückließ den kleinen Muck arm und unwissend. Die harten Verwandten jagten den armen Kleinen aus dem Hause. Sie rieten ihm, in die Welt hinauszugehen und sein Glück zu suchen. Der kleine Muck antwortete, er ist schon fertig. Er bat sich aber nur noch den Anzug seines Vaters. Sein Vater war ein großer, starker Mann, daher paßten die Kleider nicht. Muck schnitt ab, was zu lang war, und zog dann die Kleider an. Sein Aufzug, wie er noch heute hat ist, der große Turban, der breite Gürtel, die weiten Hosen, das blaue Mäntelein. Alles dies sind Erbstücke seines Vaters. Den langen Damaszenerdolch[30] seines Vaters steckte er in den Gürtel, ergriff ein Stöcklein und wanderte zum Tor hinaus.
Fröhlich wanderte er den ganzen Tag. Er war ausgezogen, um sein Glück zu suchen. Wenn er eine Scherbe auf der Erde im Sonnenschein sah, so steckte er sie. Er sah die Kuppel einer Moschee – und eilte er voll Freude darauf zu. Denn er dachte, in einem Zauberland angekommen zu sein. Aber ach! Jene Trugbilder verschwanden in der Nähe. Nur erinnerten ihn seine Müdigkeit und sein vor Hunger knurrender Magen, dass er noch im Lande der Sterblichen sich befinde.
So war er zwei Tage gereist unter Hunger und Kummer. Er verzweifelte, sein Glück zu finden. Die Früchte des Feldes waren seine einzige Nahrung, die harte Erde sein Nachtlager. Am Morgen des dritten Tages erblickte er eine große Stadt.
Hell leuchtete der Halbmond auf ihren Zinnen. Bunte Fahnen schimmerten auf den Dächern. Überrascht stand er stille. Er betrachtete Stadt und Gegend.
«Ja, dort wird der kleine Muck sein Glück finden«, sprach er zu sich,»dort oder nirgends!«
Er schritt auf die Stadt zu. Aber konnte er sie doch erst gegen Mittag erreichen. Seine Glieder waren sehr klein. Er musste sich oft in den Schatten einer Palme setzen, um auszuruhen.
Endlich war er an dem Tor der Stadt angelangt. Er legte sein Mäntelein zurecht. Er band den Turban schöner um. Er zog den Gürtel noch breiter an. Er steckte den langen Dolch schiefer. Dann wischte er den Staub von den Schuhen. Er ergriff sein Stöcklein und ging mutig zum Tor hinein.
Er hat schon einige Straßen durchwandert. Aber nirgends öffnete sich ihm die Türe. Nirgends rief man:
«Kleiner Muck, komm herein! Iss und trink hier!«
Er schaute gerade an einem großen, schönen Haus hinauf. Da öffnete sich ein Fenster. Eine alte Frau schaute heraus. Sie rief:
«Herbei, herbei!
Gekocht ist der Brei,
Den Tisch ließ ich decken,
Drum lasst es euch schmecken;
Ihr Nachbarn herbei,
Gekocht ist der Brei.«
Die Türe des Hauses öffnete sich. Muck sah viele Hunde und Katzen. Er stand in Zweifel, ob er der Einladung folgen soll. Endlich aber ging er in das Haus. Vor ihm her gingen ein paar junge Kätzlein. Er beschloss, ihnen zu folgen.
Als Muck die Treppe hinaufgestiegen war, begegnete er jener alten Frau. Sie sah ihn mürrisch an.
«Du hast ja jedermann zu deinem Brei eingeladen«, antwortete der kleine Muck,»und weil ich so gar hungrig bin, bin ich auch gekommen.«
Die Alte lachte und sprach:
«Woher kommst du denn, wunderlicher Gesell? Die ganze Stadt weiß, dass ich für niemand koche als für meine lieben Katzen.«
Der kleine Muck erzählte der alten Frau, wie es ihm nach seines Vaters Tod ist. Er bat sie, ihn heute mit ihren Katzen speisen zu lassen.
Die alte Frau erlaubte ihm, ihr Gast zu sein. Sie gab ihm reichlich zu essen und zu trinken. Als er gesättigt und gestärkt war, betrachtete ihn die Frau lange und sagte dann:
«Kleiner Muck, bleibe bei mir in meinem Dienst[31]!«
Der kleine Muck, dem der Katzenbrei geschmeckt hat, willigte ein. Er wurde also der Bedienstete der Frau Ahavzi. Er hatte einen leichten, aber sonderbaren Dienst. Frau Ahavzi hatte zwei Kater und vier Katzen. Der kleine Muck musste alle Morgen den Pelz kämmen und mit Salben einreiben. Wenn die Frau ausging, musste er auf die Katzen Achtung geben. Wenn sie aßen, musste er ihnen die Schüsseln vorlegen. Nachts musste er sie auf seidene Polster legen. Musste er auch sie mit samtenen Decken einhüllen.
Auch waren noch einige kleine Hunde im Haus, die er bedienen musste. Übrigens führte Muck ein so einsames Leben wie in seines Vaters Haus. Außer der Frau sah er den ganzen Tag nur Hunde und Katzen.
Eine Zeitlang ging es dem kleinen Muck ganz gut. Er hatte immer zu essen und wenig zu arbeiten. Die alte Frau war zufrieden mit ihm. Aber nach und nach[32] wurden die Katzen unartig. Wenn die Alte ausgegangen war, sprangen sie in den Zimmern umher. Sie warfen alles durcheinander und zerbrachen manches schöne Geschirr. Wenn sie aber die Frau hörten, verkrochen sie sich auf ihre Polster. Wenn die Frau Ahavzi ihre Zimmer verwüstet sah, schob sie alles auf Muck. Sie glaubte ihren Katzen, mehr als ihrem Diener.
Der kleine Muck war sehr traurig. Beschloss er bei sich, den Dienst der Frau Ahavzi zu verlassen. Und beschloss er den Lohn, den ihm seine Gebieterin immer versprochen, aber nie gegeben hat, sich zu verschaffen. Es befand sich in dem Hause der Frau Ahavzi ein Zimmer, das immer verschlossen war. Und fiel ihm ein, dass dort die Schätze der Frau waren. Aber immer war die Tür fest verschlossen. Er konnte daher den Schätzen nie beikommen.
Eines Morgens war die Frau Ahavzi ausgegangen. Zupfte ihn eines der Hundlein an seinen weiten Beinkleidern und schaute, dass Muck ihm folgen soll. Muck folgte ihm. Das Hundlein führte ihn in die Schlafkammer der Frau Ahavzi vor eine kleine Türe. Die Türe war halb offen. Das Hundlein ging hinein. Muck folgte ihm. Er sah, dass er sich in dem Gemach befand!
Er spähte überall umher, ob er kein Geld fand. Er fand aber nichts! Nur alte Kleider und geformte Geschirre standen umher. Eines dieser Geschirre war von Kristall. Schöne Figuren waren darauf ausgeschnitten. Er hob es auf. Aber, o Schrecken! Er hat nicht bemerkt, dass es einen Deckel hat. Der Deckel fiel herab und zerbrach in tausend Stücke.
Lange stand der kleine Muck vor Schrecken leblos. Jetzt muss er entfliehen, sonst schlug ihn die Alte tot. Er sah ein Paar große Pantoffeln. Sie waren zwar nicht schön, aber seine waren viel schlechter. Er zog schnell seine Töffelein aus und fuhr in die großen hinein. Dann sah er ein Spazierstöcklein mit einem Löwenkopf in der Ecke. Er nahm es also mit und eilte zum Zimmer hinaus. Schnell ging er jetzt auf seine Kammer. Er zog sein Mäntelein an. Er setzte den väterlichen Turban auf. Er steckte den Dolch in den Gürtel und lief – zum Haus und zur Stadt hinaus. Vor der Stadt lief er, immer weiter fort.
So