Der Kalif war sehr glücklich. Er entließ den Gelehrten und schenkte ihm ein schönes Kleid. Zu seinem Großwesir aber sagte er:
«Das heiß ich gut einkaufen, Mansor! Wie freue ich mich, bis ich ein Tier bin. Morgen früh kommst du zu mir. Wir gehen dann miteinander aufs Feld. Wir schnupfen etwas weniges aus meiner Dose und belauschen dann, was die Tiere in der Luft und im Wasser, im Wald und Feld sagen.«
II
Am anderen Morgen hat der Kalif Chasid gefrühstückt und sich angekleidet. Dann der Großwesir erschien. Der Kalif steckte die Dose mit dem Zauberpulver in den Gürtel. Dann machte er sich mit dem Großwesir ganz allein auf den Weg. Sie gingen zuerst durch die weiten Gärten des Kalifen, um ihr Kunststück zu probieren. Dann der Wesir schlug endlich vor, weiter hinaus an einen Teich zu gehen. Er sah da viele Tiere, namentlich Störche.
Der Kalif ging mit ihm dem Teich zu. Als sie dort angekommen waren, sahen sie ein Storchen. Zugleich sahen sie auch weit oben in der Luft einen anderen Storch.
«Gnädigster Herr«, sagte der Großwesir,»wollen wir Störche sein? Warum nicht?«
«Gut!«antwortete der Kalif.»Aber vorher wollen wir noch einmal betrachten, wie man wieder Mensch wird. Richtig! Wir müssen dreimal Mutabor sagen – so bin ich wieder Kalif und du Wesir. Aber müssen wir nicht lachen!«
Während der Kalif also sprach, sah er den anderen Storchen über ihrem Haupte. Schnell zog er die Dose aus dem Gürtel und nahm eine gute Prise. Dann bot er sie dem Großwesir dar, der gleichfalls schnupfte, und beide riefen:
«Mutabor!«
Da schrumpften ihre Beine ein[13] und wurden dünn und rot. Die schönen gelben Pantoffel des Kalifen und seines Begleiters wurden unförmliche Storchfüße. Die Arme wurden zu Flügeln. Der Hals fuhr aus den Achseln und ward eine Elle lang. Der Bart war verschwunden, und den Körper bedeckten weiche Federn.
«Ihr habt einen hübschen Schnabel, Herr Großwesir«, sprach der Kalif.»Beim Bart des Propheten[14], so etwas habe ich in meinem Leben nicht gesehen.«
«Danke«, erwiderte der Großwesir,»aber Eure Hoheit sehen als Storch noch hübscher aus denn als Kalif. Aber kommt! Wir werden unsere Kameraden dort belauschen und erfahren, ob wir wirklich Storchisch[15] können.«
Indem war der andere Storch auf der Erde angekommen. Er putzte sich mit dem Schnabel seine Füße. Er legte seine Federn zurecht und ging auf den ersten Storchen zu. Die beiden neuen Störche aber beeilten sich, in ihre Nähe zu kommen. Sie vernahmen zu ihrem Erstaunen folgendes Gespräch:
«Guten Morgen, Frau Langbein[16], so früh schon auf der Wiese?«
«Schönen Dank, lieber Klapperschnabel[17]! Ich habe mir nur ein kleines Frühstück geholt. Wollen wir vielleicht ein Viertelchen Eidechse oder ein Froschschenkelein essen?«
«Danke, aber habe ich heute gar keinen Appetit. Ich soll heute vor den Gästen meines Vaters tanzen.«
Zugleich schritt die junge Störchin durch das Feld. Der Kalif und Mansor sahen ihr verwundert nach. Als sie aber auf einem Fuß stand und mit den Flügeln anmutig dazu wedelte, da konnten sich die beiden nicht mehr halten. Ein Gelächter brach aus ihren Schnäbeln hervor. Der Kalif fasste sich zuerst wieder[18]:
«Das war einmal ein Spaß«, rief er,»der nicht mit Gold man kaufen kann! Es ist schade, dass die dummen Tiere durch unser Gelächter erschrocken sind!«
Aber jetzt fiel es dem Großwesir ein, dass das Lachen während der Verwandlung verboten war. Er teilte seine Angst deswegen dem Kalifen mit.
«Das wird ein schlechter Spaß, wenn ich ein Storch bleiben will! Besinne dich doch auf das dumme Wort! Ich bring es nicht heraus.«
«Dreimal gen Osten müssen wir uns bücken und dazu sprechen: mu – mu – mu.«
Sie stellten sich gegen Osten und bückten sich in einem fort. Aber das Zauberwort war ihnen entfallen. Der Kalif bückte, sein Wesir rief mu – mu, aber könnten sie das Wort nicht sagen.
Der arme Chasid und sein Wesir waren und blieben[19] Störche.
III
Traurig wandelten die Verzauberten durch die Felder. Sie wussten gar nicht, was sie anfangen sollten. Aus ihrer Storchenhaut konnten sie nicht heraus, in die Stadt zurück konnten sie auch nicht. Wollen die Einwohner von Bagdad ein Storchen zum Kalifen haben?
So schlichen sie mehrere Tage umher und ernährten sich kümmerlich von Feldfrüchten. Zu Eidechsen und Fröschen hatten sie übrigens keinen Appetit. Aber konnten sie fliegen. So flogen sie oft auf die Dächer von Bagdad.
In den ersten Tagen bemerkten sie große Unruhe und Trauer in den Straßen. Aber ungefähr am vierten Tag saßen sie auf dem Palast des Kalifen. Da sahen sie unten in der Straße einen prächtigen Aufzug. Ein Mann in einem goldgestickten Scharlachmantel saß auf einem geschmückten Pferd. Halb Bagdad sprang ihm nach und alle schrien:
«Heil Mizra, dem Herrscher von Bagdad!«
Da sahen die beiden Störche auf dem Dache des Palastes einander an, und der Kalif Chasid sprach:
«Ahnst du jetzt, warum ich verzaubert bin, Großwesir? Dieser Mizra ist der Sohn meines Todfeindes[20], des mächtigen Zauberers Kaschnur. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf. Komm mit mir! Wir wollen zum Grabe des Propheten wandern. Vielleicht, an heiliger Stätte, der Zauber wird gelöst.«
Sie erhoben sich vom Dach des Palastes und flogen der Gegend von Medina zu.
Aber das war sehr schwer. Die beiden Störche hatten noch wenig Übung.
«O Herr«, ächzte nach ein paar Stunden der Großwesir,»Ihr fliegt gar zu schnell! Auch ist es schon Abend. Wir müssen ein Unterkommen für die Nacht suchen.«
Unten im Tale erblickte Chasid eine Ruine, so flogen sie dahin. Der Ort war ein Schloss. Schöne Säulen ragten aus den Trümmern hervor. Schöne Gemächer zeugten von der ehemaligen Pracht des Hauses. Chasid und sein Begleiter gingen durch die Gänge umher, um sich ein trockenes Plätzchen zu suchen.
Plötzlich blieb der Storch Mansor stehen.
«Herr und Gebieter«, flüsterte er leiser,»es ist töricht für einen Großwesir, noch mehr aber für einen Storchen, sich vor Gespenstern zu fürchten. Aber etwas hat ganz vernehmlich geseufzt und gestöhnt.«
Der Kalif blieb nun auch stehen und hörte ganz deutlich ein leises Weinen. Er wollte gehen, woher die Klagetöne kamen. Der Wesir aber packte ihn mit dem Schnabel am Flügel. Der Wesir bat ihn flehentlich, sich nicht in neue, unbekannte Gefahren zu stürzen.
Aber eilte der Kalif in einen finsteren Gang. Bald war er an einer Türe angelangt. Er stieß mit dem Schnabel die Türe auf. In dem verfallenen Gemach sah er eine große Nachteule am Boden. Dicke Tränen rollten ihr aus den großen, runden Augen. Mit heiserer Stimme stieß sie ihre Klagen. Als sie aber den Kalifen und seinen Wesir erblickte, erhob sie ein lautes Freudengeschrei. Zu dem großen Erstaunen der beiden rief sie in gutem menschlichem Arabisch:
«Willkommen, ihr Störche! Ihr seid mir ein gutes Zeichen meiner Errettung! Durch Störche werde mir ein großes Glück kommen!«
Der Kalif bückte sich mit seinem langen Hals. Er brachte seine dünnen Füße in eine zierliche Stellung und sprach:
«Nachteule! Deine Hoffnung ist vergeblich. Du wirst unsere Hilflosigkeit selbst erkennen, wenn du unsere Geschichte hörst.«
Die Nachteule