Es war ein großes Ölgemälde in der kräftigen farbensatten Manier der belgischen Schule gemalt. Sein Gegenstand war seltsam genug.
Ein schönes Weib, ein sonniges Lachen auf dem feinen Antlitz, mit reichem, geschlungenem Haare. Der weiße Puder lag wie leichter Reif auf es. Es hat Auf den linken Arm gestützt. Es war nackt in einem dunkeln Pelz auf einer Ottomane. Ihre rechte Hand spielte mit einer Peitsche. Während ihr bloßer Fuß stützte sich nachlässig auf den Mann. Er lag vor ihr wie ein Sklave, wie ein Hund. Und dieser Mann war mit den scharfen, aber wohlgebildeten Zügen. Auf diesen Zügen lag brütende Schwermut und hingebende Leidenschaft. Er sah mit dem schwärmerischen brennenden Auge eines Märtyrers zu ihr empor. Dieser Mann war Severin, aber ohne Bart, wie es schien um zehn Jahre jünger.
«Venus im Pelz!» rief ich. Ich deutete auf das Bild. «So habe ich sie im Traum gesehen.» – «Ich auch», sagte Severin, «nur habe ich meinen Traum mit offenen Augen geträumt.»
«Wie?»
«Ach! das ist eine dumme Geschichte.»
«Dein Bild hat offenbar Anlass zu meinem Traum gegeben», fuhr ich fort, «aber sage mir endlich einmal, was damit ist. Es hat eine Rolle in deinem Leben gespielt, und vielleicht eine sehr entscheidende, kann ich mir denken. Aber das weitere erwarte ich von dir.»
«Sieh dir einmal das Gegenstück an», sagte mein seltsamer Freund, ohne auf meine Frage zu antworten.
Das Gegenstück bildete eine treffliche Kopie der bekannten «Venus mit dem Spiegel» von Titian in der Dresdener Galerie.
«Nun, was willst du damit?»
Severin stand auf und wies mit dem Finger auf den Pelz, mit dem Titian seine Liebesgöttin bekleidet hat.
«Auch hier “Venus im Pelz“», sprach er fein lächelnd. «Ich glaube nicht, dass der alte Venetianer damit eine Absicht verbunden hat. Er hat einfach das Porträt von einer vornehmen Messaline gemacht. Er hat die Artigkeit gehabt, ihr den Spiegel halten zu lassen. Darin prüft sie ihre majestätischen Reize mit kaltem Behagen. Aber die Arbeit scheint ihm sauer genug zu werden. Das Bild ist eine gemalte Schmeichelei. Später hat ein ›Kenner‹ der Rokokozeit die Dame auf den Namen Venus getauft. Der Pelz der Despotin ist zu einem Symbol der Tyrannei und Grausamkeit geworden, welche im Weib und seiner Schönheit liegt.
Aber genug, so wie das Bild jetzt ist, erscheint es uns als die pikanteste Satire auf unsere Liebe. Venus, die im abstrakten Norden, in der eisigen christlichen Welt in einen großen schweren Pelz schlüpfen muss, um sich nicht zu erkälten[11].»
Severin lachte und zündete eine neue Zigarette an.
Eben ging die Tür auf. Eine hübsche volle Blondine mit klugen freundlichen Augen, in einer schwarzen Seidenrobe, kam herein. Sie brachte uns kaltes Fleisch und Eier zum Tee. Severin nahm eines der letzteren und schlug es mit dem Messer auf. «Habe ich dir nicht gesagt, dass ich sie weich gekocht haben will?» rief er mit einer Heftigkeit. Die junge Frau zitterte.
«Aber lieber Sewtschu —» sprach sie ängstlich.
«Was Sewtschu», schrie er, «gehorchen sollst du, gehorchen, verstehst du», und er riß den Kantschuk, welcher neben seinen Waffen hing, vom Nagel.
Die hübsche Frau floh wie ein Reh rasch und furchtsam aus dem Zimmer.
«Warte nur, ich erwische dich noch», rief er ihr nach.
«Aber Severin», sagte ich, meine Hand auf seinen Arm legend, «wie kannst du die hübsche kleine Frau so erschrecken!»
«Sieh dir das Weib nur an», antwortete er. Er winkte humoristisch mit den Augen zu, «hätte ich ihr geschmeichelt, so hätte sie mir die Schlinge um den Hals geworfen[12]. Weil ich sie mit dem Kantschuk erziehe, betet sie mich an.»
«Geh mir!»
«Geh du mir, so muss man die Weiber dressieren.»
«Leb meinetwegen wie ein Pascha in deinem Harem, aber stelle mir nicht Theorien auf —»
«Warum nicht», rief er lebhaft, «nirgends passt Goethes ›Du musst Hammer oder Amboss sein‹[13] so vortrefflich wie auf das Verhältnis von Mann und Weib. Das hat dir beiläufig Frau Venus im Traum auch zugegeben. In der Leidenschaft vom Mann ruht die Macht vom Weib. Es versteht sie zu benützen, wenn der Mann sich nicht vorsieht. Er hat nur die Wahl, der Tyrann oder der Sklave vom Weib zu sein. Wie er sich hingibt, hat er auch schon den Kopf im Joche und wird die Peitsche fühlen[14].»
«Seltsame Maximen!»
«Keine Maximen, sondern Erfahrungen», sagte er mit dem Kopf nickend, «ich bin im Ernst gepeitscht worden. Ich bin geheilt, willst du lesen wie?»
Er erhob sich und holte aus seinem massiven Schreibtisch eine kleine Handschrift, welche er vor mir auf den Tisch legte.
«Du hast früher nach jenem Bild gefragt. Ich bin dir schon lange eine Erklärung schuldig. Da – lies.»
Severin setzte sich zum Kamin, den Rücken gegen mich. Er schien mit offenen Augen zu träumen. Wieder war es still, und wieder sang das Feuer im Kamin, und der Samowar und das Heimchen im alten Gemäuer und ich schlug die Handschrift auf und las:
«Bekenntnisse eines Übersinnlichen», an dem Rande vom Manuskript standen als Motiv die bekannten Verse aus dem Faust variiert:
«Du übersinnlicher sinnlicher Freier,
Ein Weib betrügt dich!»
Ich schlug das Titelblatt um und las: «Das Folgende habe ich aus meinem damaligen Tagebuch zusammengestellt, weil man seine Vergangenheit nie unbefangen darstellen kann. So aber hat alles seine frischen Farben, die Farben der Gegenwart.»
Gogol, der russische Molière, sagt – ja wo? – nun irgendwo – «die echte komische Muse ist jene, welcher unter der lachenden Larve die Tränen herabrinnen[15].»
Ein wunderbarer Ausspruch!
So ist es mir recht seltsam zumute, während ich das niederschreibe. Die Luft scheint mir mit einem Blumenduft gefüllt. Er betäubt mich und macht mir Kopfweh. Der Rauch des Kamines kräuselt. Ich muss unwillkürlich lächeln, ja laut lachen, indem ich meine Abenteuer niederschreibe. Doch schreibe ich nicht mit gewöhnlicher Tinte, sondern mit dem roten Blut. Es träufelt aus meinem Herzen, denn alle seine vernarbten Wunden haben sich geöffnet. Es zuckt und schmerzt, und fällt eine Träne auf das Papier.
Die Tage in einem kleinen Karpaten-Kurort ziehen sich träge an. Man sieht niemand und wird von niemand gesehen. Es ist langweilig zum Idyllenschreiben.
Ich musste hier eine Galerie von Gemälden liefern, ein Theater für eine ganze Saison mit neuen Stücken, ein Dutzend Virtuosen mit Konzerten, Trios und Duos versorgen. Aber – was spreche ich da. Ich tue am Ende doch nicht viel mehr, als die Leinwand aufspannen, die Bogen zurechtglätten, die Notenblätter liniieren. Denn ich bin – ach! nur keine falsche Scham, Freund Severin, lüge andere an. Aber es gelingt dir nicht mehr recht, dich selbst anzulügen. Also bin ich nichts weiter, als ein Dilettant. Ein Dilettant in der Malerei, in der Poesie, der Musik und noch in einigen anderen sogenannten brotlosen Künste. Sie sichern heutzutage das Einkommen eines Ministers, ja eines kleinen Potentaten. Und vor allem bin ich ein Dilettant im Leben.
Ich habe bis jetzt gelebt, wie ich gemalt und gedichtet habe. Das heißt, ich bin nie weit über die Grundierung, den Plan, den ersten Akt, die erste Strophe gekommen. Es gibt einmal solche Menschen, die alles anfangen und doch nie mit etwas zu Ende kommen. Und