An jene Zerstreuungen des Junggesellenlebens, die Wronskiy bei früheren Reisen ins Ausland beschäftigt hatten, war nicht mehr zu denken, da schon ein einziger Versuch dieser Art einen unerwarteten, einem verspäteten Abendbrot unter Bekannten nicht entsprechenden Trübsinn in Anna hervorrief. Beziehungen zu der Gesellschaft des Ortes, auch den Russen hier, konnten sie bei der Unbestimmtheit ihrer Verhältnisse ebenfalls nicht unterhalten. Eine Besichtigung der Sehenswürdigkeiten hatte, abgesehen davon, daß sie alles schon gesehen hatten, für ihn als einen Russen, und verständigen Menschen, nicht jene unerklärbare Bedeutung, wie sie die Engländer diesem Punkte beimessen.
Wie daher das hungernde Tier nach jedem fallenden Gegenstande schnappt, in der Hoffnung, in ihm etwas zu fressen zu finden, so griff auch Wronskiy vollständig instinktiv bald zur Politik, bald nach neuen Büchern, bald nach der Malerei.
Da er von Kindheit an Talent zur Malerei gehabt, und, indem er nicht wußte, wofür er sein Geld verausgaben sollte, Stahlstiche zu sammeln begonnen hatte, so blieb er endlich bei der Malerei, und begann sich mit ihr zu beschäftigen und jenen brachliegenden Wust von Wünschen, welcher nach Verwirklichung verlangte, in ihr abzulagern.
Er besaß die Fähigkeit, die Kunst zu erfassen, und in der That mit Geschmack die Kunst nachzuahmen; er meinte auch, daß er dasselbe besäße, was der Künstler brauche, und befaßte sich, nachdem er einige Zeit geschwankt hatte, welches Genre der Malerei er erwählen solle: das religiöse, historische oder realistische, mit Malen. Er verstand sich auf jedes Genre und konnte sich für dieses, wie für jenes begeistern, aber er vermochte sich nicht vorzustellen, daß es auch möglich sei, ganz und gar nichts zu wissen, was es für Richtungen in der Malerei gebe, und sich unmittelbar von dem inspirieren zu lassen, was in der Seele lebte, ohne Sorge, ob das, was man malte, auch zu einem bestimmten Genre in der Kunst gehörte. Da er dies nicht kannte, und sich nicht unmittelbar vom Leben beeinflussen ließ, sondern mittelbar, vom Leben wie es durch die Kunst schon verkörpert war, so begeisterte er sich sehr schnell und leicht und erreichte ebenso schnell und leicht, daß das, was er malte, demjenigen Genre sehr ähnlich wurde, welches er nachzuahmen wünschte.
Vor allem gefiel ihm die französische Schule, die graziöse und effektvolle, und nach dieser begann er, das Bild Annas in italienischem Kostüm zu malen. Das Porträt erschien ihm und jedermann, der es sah, als sehr gelungen.
9
Der alte vernachlässigte Palazzo mit den hohen bossierten Plafonds und Fresken an den Wänden, Mosaikboden und schweren gelben Stoffgardinen an den hohen Fenstern; Vasen auf den Konsolen und Kaminen, geschnitzten Thüren und dämmerigen Sälen, die mit Gemälden vollgehängt waren – dieser Palazzo hielt, nachdem sie in ihn übergesiedelt waren, schon in seiner äußeren Erscheinung in Wronskiy eine angenehme Täuschung wach, die, daß er weniger ein russischer Gutsherr und Stallmeister ohne Amt sei, als vielmehr ein erlauchter Liebhaber und Kunstmäcen, und er selbst – ein bescheidener Künstler, der sich von der Welt losgesagt hatte, von seinen Verbindungen und dem Ehrgeiz – für ein geliebtes Weib.
Die Rolle, welche Wronskiy mit seinem Umzug in den Palazzo erwählt hatte, gelang vollständig und durch Vermittelung Golenischtscheffs mit einigen interessanten Personen bekannt geworden, fühlte er sich für die Anfangszeit beruhigt. Er malte unter der Leitung eines italienischen Professors der Malerei Studien nach der Natur und beschäftigte sich mit dem Kunstleben Italiens im Mittelalter. Das mittelalterliche Kunstleben Italiens hatte für Wronskiy in letzter Zeit soviel Reiz gewonnen, daß dieser selbst einen Hut und das Plaid über der Schulter nach der mittelalterlichen Mode zu tragen begann, was ihm sehr gut stand.
„Da leben wir hier und wissen gar nichts davon,“ sagte eines Tages Wronskiy zu Golenischtscheff, der früh zu ihm gekommen war. „Hast du das Gemälde Michailoffs gesehen?“ Er reichte die am Morgen soeben erhaltene russische Zeitung hin, und wies auf einen Artikel über einen russischen Maler, der in der nämlichen Stadt lebte und hier ein Gemälde ausgeführt hatte, über welches schon lange Gerüchte umliefen und das schon im voraus angekauft worden war.
In dem Aufsatz wurden der Regierung und der Akademie Vorwürfe gemacht, daß der vorzügliche Künstler jeder Aufmunterung und Unterstützung entbehre.
„Ich habe das Bild gesehen,“ antwortete Golenischtscheff, „natürlich ist er nicht talentlos, aber er verfolgt eine vollständig verkehrte Richtung; das ist noch immer jene Richtung Iwanoff-Strauß-Rénan, Christus und der kirchlichen Malerei gegenüber.“
„Was stellt das Gemälde dar?“ frug Anna.
„Christus vor Pilatus. Christus ist als Hebräer mit allem Realismus der neuen Schule dargestellt“ – durch die Frage nach dem Inhalt des Gemäldes auf eines seiner Lieblingsthemen gebracht, begann Golenischtscheff zu erklären.
„Ich begreife nicht, wie man einem so groben Irrtum verfallen kann. Christus hat doch schon seine bestimmte Verkörperung in der Kunst der größten Altmeister. Wenn man nicht Gott darstellen will, sondern einen Revolutionär oder Weisen, so mag man sich den Sokrates aus der Geschichte wählen, den Franklin, die Charlotte Corday – aber nur nicht Christus. – Man nimmt da aber gerade diejenige Gestalt, die man für die Kunst nicht nehmen soll, und dann“ —
„Aber ist es denn wahr, daß sich dieser Michailoff in so großer Armut befindet?“ frug Wronskiy in dem Gedanken, daß er, als russischer Mäcen, ohne Rücksicht darauf, ob das Gemälde gut oder schlecht sei, dem Künstler helfen könne.
„Kaum; er ist ein bedeutender Porträtmaler. Ihr habt wohl sein Porträt der Wasiljtschikowa gesehen? Er scheint indessen nicht mehr Porträts malen zu wollen, und kann es allerdings möglich sein, daß er sich wirklich in Not befindet. Ich sage, daß“; —
„Könnte man ihn nicht bitten, ein Porträt der Anna Arkadjewna zu malen?“ sagte Wronskiy.
„Weshalb meines?“ fiel Anna ein, „außer dem deinigen möchte ich kein anderes haben. Oder noch besser wäre Any“ – so nannte sie ihr kleines Mädchen – „da ist sie gerade,“ fügte sie hinzu, durch das Fenster auf eine hübsche italienische Amme schauend, welche das Kind in den Garten trug, und dann sorglich verstohlen auf Wronskiy blickend.
Die hübsche Amme, deren Kopf Wronskiy für sein Gemälde porträtiert hatte, bildete das einzige geheime Leid im Leben Annas. Wronskiy hatte sie gemalt, sich in ihre Anmut und Mittelalterlichkeit verliebt, und Anna wagte nicht, sich zu gestehen, daß sie fürchtete, sie könne auf diese Amme eifersüchtig werden. Infolge dessen behandelte sie dieselbe ausnehmend gut und verzärtelte sie sogar, ebenso wie den kleinen Sohn derselben.
Wronskiy blickte ebenfalls durch das Fenster und dann Anna in die Augen, wandte sich jedoch hierauf sogleich wieder zu Golenischtscheff und sagte:
„Kennst du diesen Michailoff?“
„Ich bin ihm begegnet, doch ist er ein Sonderling und ohne jede Bildung. Wißt Ihr, er ist einer jener Wilden, jener Neuerer, die man jetzt so häufig trifft; einer jener Freidenker, welche d'emblée, in den Begriffen des Unglaubens, der Negierung und des Materialismus aufgezogen sind. Früher,“ fuhr Golenischtscheff fort, ohne zu bemerken, oder bemerken zu wollen, daß auch Wronskiy und Anna zu reden wünschten, „früher war ein Freidenker ein Mensch, der in den Begriffen Religion, Gesetz und Moral erzogen worden, und selbst durch Kampf und Mühe zum Freidenkertum gelangt war; jetzt zeigt sich ein neuer Typus der selbstgewordenen Freidenker, welche emporwachsen, ohne auch nur davon gehört zu haben, daß es Gesetze der Moral, der Religion giebt, und daß Autoritäten existieren; solcher, die eben geradezu in den Begriffen des absoluten Nein, das heißt also, wie Wilde aufwachsen. So Einer ist er nun; der Sohn eines höheren Moskauer Lakaien wohl, der keinerlei Bildung empfangen hat. Nachdem er in die Akademie eingetreten war und sich einen Namen gemacht hatte, begann er, gerade kein Dummkopf,