Vors.: Solch feine Kleidung kostet doch viel Geld?
Zeuge: Für 100 Mark kann man schon einen sehr eleganten Anzug erhalten.
Vors.: 100 Mark ist doch schon viel Geld.
Zeuge: Es kommt darauf an; wenn man bei einem Einbruch Glück hat, dann sind 100 Mark keine große Summe.
Auf Auffordern des Vorsitzenden schilderte der Zeuge noch einmal ausführlich den Vorgang bei dem Einbruch in die Hirsch-Apotheke. Nitter blieb trotz aller Vorhaltungen dabei, daß sein Komplice nicht Knitelius, sondern der »schwarze Artur« war. Er habe gestern hier mehrere Stunden in einer Detentionszelle sitzen müssen. In dieser habe eine so furchtbar schlechte Luft geherrscht, daß er heftige Kopfschmerzen bekam. Er habe deshalb vergessen, mitzuteilen, daß er seinen Schirm Sonnabend, den 24. Oktober 1908, abends dem Knitelius geliehen habe, da dieser noch weitergehen wollte und es mit Regen gedroht habe.
Vors.: In der hiesigen Wohnung des Knitelius ist auch eine Ihnen gehörige Kleiderbürste gefunden worden. Daraus geht doch hervor, daß Sie mit Knitelius noch in Magdeburg sehr intim verkehrt haben.
Zeuge: Von einer Bürste ist mir nichts bekannt.
Vors.: Die Bürste wird Ihnen noch vorgelegt werden.
Es wurden alsdann nochmals Kriminalkommissar Eggert und Kriminalpolizei-Inspektor Schmidt (Magdeburg) über die Persönlichkeit des Nitter und seine Vernehmung vernommen. Sie wiederholten, Nitter habe sich zunächst Franz Schröder, Architekt aus Hannover, genannt und gesagt, daß er seinen Komplicen am Abend vorher in Magdeburg kennengelernt habe. Er wisse nur, daß er Fritz heiße. Der Polizeiinspektor bekundete noch: Er habe sofort an der Aussprache erkannt, daß Nitter kein Hannoveraner, sondern Berliner sei. Nitter habe auch schließlich zugegeben, daß er Edwin Nitter heiße und aus Berlin sei. Als ihm gesagt wurde, sein Komplice sei sein Freund Knitelius aus Berlin, gab er das schließlich zu. Er habe zu Nitter gesagt: Sie lassen sich Rechtsanwalt Doktor Schwindt aus Berlin als Verteidiger kommen; ein solch tüchtiger Verteidiger kostet doch viel Geld. Darauf versetzte Nitter: Das wird alles bezahlt. Der Polizeiinspektor bemerkte noch: Sonntagsdiebe arbeiten niemals zu dreien, höchstens zu zweien. Die Berliner reisenden Diebe sind ganz besonders gerissen. Sie wissen sehr genau, daß bei dreien die Gefahr der Entdeckung viel größer ist als bei zweien.
Landrichter Dr. Löwenthal war bei der Verhandlung gegen Nitter, der sich im Mai 1909 vor der Magdeburger Strafkammer zu verantworten hatte, Referent. Nitter habe ganz aus freien Stücken in der Hauptverhandlung angegeben, daß Knitelius sein Komplice war. Er habe den Vorgang auch ganz ausführlich geschildert.
Frau Margarete Wernatowski (Berlin): Knitelius habe im Frühjahr 1908 einige Monate bei ihr unangemeldet in der Seydelstraße unter dem Namen Turban gewohnt. Er sagte, er wolle nur kurze Zeit bei ihr wohnen. Seine Angehörigen wollten nicht, daß er ein Verhältnis mit Fräulein Bethge habe, deshalb habe er sich ein eigenes Zimmer gemietet. Der Angeklagte habe angegeben, daß er mit Juwelen handle. Er ging stets elegant gekleidet und ließ auch seine Briefschaften stets offen liegen.
Vors.: Ließ er auch seinen Koffer offen stehen?
Zeugin: Nein, der Koffer, der sehr schwer war, war stets verschlossen. (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Den Angeklagten habe vier- bis fünfmal ein bartloser, rotblonder junger Mann besucht.
Vors.: Sehen Sie sich einmal diesen Menschen (auf Nitter zeigend) an.
Zeugin: Der Mann trug einen eleganten Paletot mit Pelzkragen.
Der Vorsitzende befahl, daß Nitter der Paletot mit Pelzkragen angezogen werde.
Zeugin: Ich glaube bestimmt, daß es dieser Mensch gewesen ist.
Vors.: Erhielt Knitelius auch noch anderen Besuch?
Zeugin: Nein.
Landgerichtsrat Reschke: Er habe gegen Nitter, später auch gegen Knitelius die Untersuchung geführt. Er habe eines Tages zu Nitter gesagt: Wollen Sie nicht angeben, wer Ihr Komplice war? Da sagte Nitter: Mein Komplice war Knitelius. Bald darauf sagte Nitter: Ich habe mich versprochen, Knitelius war es nicht. Ich sagte: Es ist klar, daß Sie Ihren Komplicen kennen; es glaubt Ihnen niemand, daß Sie den Komplicen erst am Abend vorher kennengelernt haben und Sie nur wissen, daß er Fritz hieß. Schließlich sagte Nitter: Ich werde die Wahrheit in der Hauptverhandlung sagen.
Nitter: Ich wurde an diesem Tage 2 1/2 Stunden lang vernommen, so daß ich halb ohnmächtig wurde. Ich bat, mir einen Stuhl und ein Glas Wasser zu bringen. Dies wurde mir auch sofort gewährt. Infolge dieser meiner Schwäche hatte ich mich versprochen.
Landgerichtsrat Reschke bekundete ferner auf Befragen des Vorsitzenden: Knitelius wurde sogleich als Mittäter mit Hilfe der Berliner, Breslauer, Frankfurter und Kölner Polizei in allen Erdteilen verfolgt. Es wurden ausführliche Steckbriefe mit Photographie an alle Polizeibehörden in Deutschland und alle Hauptstädte des Auslandes, selbst nach Neuyork, Chikago, Rio de Janeiro gesandt. Leider waren alle Bemühungen ohne Erfolg. Es war auch nicht eine Spur zu entdecken. Endlich kam die Nachricht, Knitelius sei in Rio de Janeiro festgenommen. Ich habe sofort nach seiner Einlieferung in Magdeburg ihn eingehend vernommen. Er bestritt mit großer Entschiedenheit, jemals in Magdeburg gewesen zu sein. Ich sagte ihm: Er solle lieber zugeben, denn wenn ihm das Gegenteil bewiesen werde, mache das einen sehr schlechten Eindruck. Ich sagte ihm auch, daß Nitter ihn bereits als Mittäter angegeben und eine Magdeburger Prostituierte, namens Haars, bekundet habe, daß sie in der Nacht vom 24. zum 25. Oktober 1908 in Magdeburg mit ihm zusammengewesen sei. Knitelius blieb aber dabei, daß er noch niemals in Magdeburg war. Ich sagte ihm, wenn er Mittäter sei, so liege es vielleicht in seinem Interesse, ein Geständnis zu machen. Es sei ja möglich, daß es kein Mord war. Es seien vielleicht bisher unbekannte Umstände vorhanden, die die Sache in sehr mildem Licht erscheinen lassen. Knitelius blieb jedoch bei seiner Behauptung. Er sagte, er sei mit einer Dame, deren Namen er nicht nennen wolle, um sie nicht zu kompromittieren, von Berlin im Luxuszug nach Monte Carlo gefahren. Von dort sei er, nachdem ihm die Dame 10000 Mark gegeben, nach Lissabon, Madrid und London und schließlich mit einem englischen Dampfer nach Rio de Janeiro gefahren. Der Angeklagte wußte nicht anzugeben, in welchem Hotel er in Monte Carlo gewohnt habe. Er konnte auch keine Schilderung von Monte Carlo machen. Er sagte auf Befragen, er sei nach Rio de Janeiro gegangen, um dort Geschäfte mit Juwelen zu machen. Er habe unter falschem Namen gelebt, um seine Familie nicht zu kompromittieren. Daß er seinen Steckbrief, der mit Photographie wiederholt durch fast alle größeren Zeitungen der Welt gegangen war, nicht gelesen habe, halte ich für unwahr. Ich sagte dem Angeklagten, er müsse doch einen triftigen Grund gehabt haben, ganz plötzlich spurlos aus Europa zu verschwinden. Einer bloßen Brillantenschmuggelei wegen entflieht kein Mensch nach Brasilien. Da versetzte der Angeklagte: Vielleicht habe ich eine andere Straftat begangen. Ich erwiderte: Wenn Sie eine andere Straftat begangen haben, dann sagen Sie es doch. Sie werden alsdann wieder entlassen, da Sie bloß wegen Mordes ausgeliefert sind. Soviel mir bekannt, liefert Brasilien einer geringen Missetat wegen nicht aus. Knitelius verweigerte aber trotzdem jede weitere Auskunft.
Auf Befragen des Vorsitzenden bemerkte Landgerichtsrat Reschke noch: Er habe der inzwischen verstorbenen Haars drei verschiedene Photographien vorgelegt. Die Haars habe die Photographie von Knitelius sofort herausgefunden und mit vollster Bestimmtheit erklärt: Das ist der Mann, mit dem ich zusammengewesen bin.
Vert.: Konnte Nitter annehmen, daß er, wenn er Knitelius als Mittäter angibt, auf eine mildere Strafe zu rechnen hat?
Zeuge: Das halte ich für ausgeschlossen.
Schuhmacher Vogt: Ich habe mit Nitter in einer Zelle im Magdeburger Untersuchungsgefängnis gesessen. Ich fragte Nitter, wozu er nach Magdeburg gefahren sei, da versetzte Nitter: Wir wollten Geld machen und sagten uns, wenn es keins gibt, dann wird einer abgemurkst. (Große Bewegung im Zuhörerraum.) Ich fragte, wer