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Ultra-vires-Kontrolle durch nationale Gerichte
Schließlich findet auch die bundesverfassungsgerichtliche Ultra-vires-Rechtsprechung[246] in zahlreichen Mitgliedstaaten ein Äquivalent, etwa in Dänemark[247], Polen[248] und Tschechien[249]. Gerade das tschechische Verfassungsgericht geht dabei insofern weiter als das BVerfG, als es eine besondere Evidenz oder Gewichtigkeit der Kompetenzüberschreitung nicht für erforderlich hält. Das tschechische Verfassungsgericht war es auch, das eine Entscheidung des EuGH erstmals für ultra vires und in der Folge unbeachtlich erklärte.[250] Zuletzt hat sich der dänische Oberste Gerichtshof geweigert, einem EuGH-Urteil nachzukommen, das die vorrangige Berücksichtigung des (ungeschriebenen) allgemeinen Rechtsgrundsatzes eines Verbots der Altersdiskriminierung in einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatparteien gefordert hatte.[251]
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Relativierungen
Die Mitgliedstaaten haben damit ihre Kontrollvorbehalte nicht nur als präventiv wirkendes Damoklesschwert in der Hinterhand gehalten, sondern zuletzt auch tatsächlich einen offenen Konflikt gesucht. Dies kann selbstverstärkende Effekte zur Folge haben. Zugleich darf dieser clash of courts nicht überbewertet werden. Befördert durch die Internalisierung nationaler Wertungen im Rahmen unionsrechtlicher Rücksichtnahmeklauseln (Art. 4 Abs. 2 und 3 EUV) auf der einen Seite und des verfassungsrechtlichen Auslegungsgrundsatzes der Unionsrechtsfreundlichkeit sowie der Vorlagepflicht (Art. 267 AEUV) auf der anderen Seite sind gegenseitige Bemühungen um Kooperation und Konvergenz unübersehbar. Wirkliche Konfliktsituationen sind höchst selten – auch das ist ein Grund für die hohe Aufmerksamkeit, die diese erlangen.[252]
4. Folgerungen: Unauflösbarer Dissens und pragmatische Konfliktbewältigungsstrategien
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Produktive Kraft einer Schwebelage
In der Sache prägt weitgehende Akzeptanz des Vorrangs des Unionsrechts das Bild. Aufgrund der divergierenden Begründungen bleibt aber ein Spannungsverhältnis zwischen den miteinander unversöhnlichen Ansätzen eines umfassenden Vorranganspruchs des Unionsrechts und der in der mitgliedstaatlichen Souveränität wurzelnden Ansprüche nationalen Rechts bestehen. Auswirkungen hat diese Divergenz hauptsächlich in der Frage, ob die mitgliedstaatlichen Gerichte die Letztentscheidungsgewalt über Ausmaß und Grenzen des Vorrangs behalten.[253] Der „Schwebelage“[254] lassen sich aber auch positive Aspekte abgewinnen: Sie sorgt für produktive Reibungen, die die unionalen und mitgliedstaatlichen Kompetenzen permanent austarieren. Überdies wird so eine effektive (mitgliedstaatliche) Kontrolle der Einhaltung der Grenzen der Unionskompetenzen gewährleistet. Dies zeigte sich früh an den Wirkungen der Solange (I)-Judikatur auf die Entwicklung des EU-Grundrechtsschutzes[255] und zuletzt etwa daran, dass es nicht zuletzt ein Appell des BVerfG[256] gewesen sein dürfte, der den EuGH veranlasst hat, bei der Auslegung von Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh nach der vorausgegangenen, richterrechtlich contra legem forcierten EU-Kompetenzerweiterung[257] teilweise wieder zurückzurudern.[258] Man kann diesem Zustand eines checks and balances somit auch eine präventive Warnfunktion, Impulsfunktion sowie „befruchtend[e] und befriedend[e]“[259] Wirkung beimessen, die eine konstruktiv-kooperative[260] und maßvolle Fortentwicklung des europäischen Rechts(schutz)systems befördern.[261]
1. Recht und Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung
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Vorrang der Auslegung
Für die Mitgliedstaaten, ihre Gerichte und Behörden ergibt sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV[262] die Pflicht, das nationale Recht im Allgemeinen und unbestimmte Rechtsbegriffe im Besonderen unionsrechtskonform, insbesondere richtlinienkonform,[263] auszulegen.[264] Diese Pflicht betrifft sowohl nationales Recht, mit dem Unionsrecht umgesetzt wird, als auch alle anderen Akte nationalen Rechts, die inhaltliche Bezüge zu einem Unionsrechtsakt aufweisen.[265] Die Möglichkeit unionsrechtskonformer Auslegung ist dabei zur Schonung der nationalen Souveränität gegenüber der strikten Anwendung des Vorrangprinzips insofern vorrangig,[266] als sie nicht nur der Durchsetzung des Vorrangs des Unionsrechts, sondern zugleich dem Erhalt (favor legis) und der Anwendbarkeit des mitgliedstaatlichen Rechts dient.[267] Konkret ist unter mehreren möglichen Auslegungen also diejenige bzw. eine derjenigen zu wählen, die dem Unionsrecht – unter Berücksichtigung seines Wortlauts, des ihm zugrundeliegenden Zwecks und seiner Entstehungsgeschichte[268] – entspricht.[269]
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Rechtsfortbildung und ihre Grenzen
Im Falle von Lücken des nationalen Rechts kann ein Gericht dabei auch zu einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung berufen sein.[270] Dabei vermag allerdings auch das Unionsrecht nicht die Grenzen der (nationalen) Methodik zu überspielen. In der Folge hat die Rechtsprechung kein Mandat, sich aus unionsrechtlichen Erwägungen entgegen der deutschen[271] Praxis über den ausdrücklich entgegenstehenden Wortlaut,[272] ggf. auch eine eindeutig abweichende Entstehungsgeschichte der Norm, – contra legem – hinwegzusetzen.[273] Die Grenzlinie zwischen Auslegung und Außer-Anwendung-Lassen im Rahmen des Vorrangs ist damit freilich in hohem Maße von der Flexibilität der Formulierung des nationalen Rechts abhängig.[274]
a) Anwendungsvorrang statt Geltungsvorrang
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Unanwendbarkeit ipso iure
Ist eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich, so muss dem Vorrang des Unionsrechts zur Durchsetzung verholfen werden. Das Unionsrecht begnügt sich insoweit nicht mit einer Verpflichtung zur Aufhebung unionsrechtswidrigen Rechts. Es wirkt vielmehr insofern selbst auf die nationale Rechtsordnung ein, als entgegenstehendes Recht „ohne weiteres“[275], das heißt ipso iure und ohne Aktivierung nationaler Mechanismen zur Aufhebung, „unangewendet“[276] bleiben muss. Die Reichweite bestimmt sich dabei nach der Kollision: Dies kann zur Konsequenz haben, dass eine mitgliedstaatliche Norm nur in bestimmten Konstellationen zurückzustellen ist[277] oder auch nur Teile einer Norm oder einzelne Tatbestandsmerkmale unangewendet gelassen werden können,[278] soweit damit einerseits dem Unionsrecht zur effektiven Durchsetzung verholfen wird und andererseits die derart verbleibende Restregelung dem (mutmaßlichen) Willen des nationalen Gesetzgebers entspricht.[279]
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Anwendungs- statt Geltungsvorrang
Zur Durchsetzung dieses Vorrangs verlangt das Unionsrecht keinen Geltungsvorrang, der mitgliedstaatliches Recht bricht.[280] Dafür fehlte dem EuGH auch die Kompetenz:[281] Hat der EuGH noch nicht einmal das Mandat, über die Vereinbarkeit einer