Um Doppelansprüche zu vermeiden, heißt es in § 6 Abs. 2 BUrlG, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer eine Bescheinigung über den im laufenden Kalenderjahr gewährten oder abgegoltenen Urlaub auszuhändigen.
Die Praxis zeigt jedoch nicht selten, dass der neue Arbeitgeber von der Anrechnungsmöglichkeit keinen Gebrauch macht und die entsprechende Bescheinigung entweder erst gar nicht ausgestellt oder nicht an den neuen Arbeitgeber weitergereicht wurde oder aber die Bescheinigung dort unberücksichtigt bleibt.
a)Regelfall
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Der Regelfall des Zeitraums der Inanspruchnahme ist in § 7 Abs. 3 BUrlG klar normiert: Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. In diesem Fall muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.
Demgegenüber weicht § 26 Abs. 2 a) TVöD in zulässiger Weise zugunsten des Beschäftigten davon ab, indem er festlegt, dass im Falle der Übertragung der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden muss. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten.
Aufgrund BMI-Rundschreiben wird jedoch auf die jeweils geltende Fassung des § 7 S. 1 und 2 EUrlV Bezug genommen, um für alle Bediensteten des Bundes – Arbeitnehmer wie Beamte – eine einheitliche Behandlung herbeizuführen. Danach wird die Frist, in der alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Erholungsurlaub im Folgejahr noch abwickeln können, von neun auf zwölf Monate verlängert. Weiterhin besteht aber der Grundsatz, dass Erholungsurlaub im Urlaubsjahr genommen werden soll.
Im Gegensatz zu § 26 Abs. 2 a TVöD fordert § 7 EUrlV hinsichtlich der Übertragungsmöglichkeit bis zum 31. Dezember des Folgejahres keine weiteren Voraussetzungen. Um von der Soll-Regelung, den Urlaub im laufenden Kalenderjahr in Anspruch zu nehmen, abweichen zu können, bedarf es nunmehr lediglich vernünftiger, objektiv nachvollziehbarer Gründe. Im Einzelnen können dies sowohl betriebliche als auch persönliche Gründe sein.
§ 7 S. 2 EUrlV stellt eine materielle Ausschlussfrist dar. Dies bedeutet, dass der Urlaubsanspruch nach Fristablauf automatisch verfällt.
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Der EuGH hatte mit seiner Entscheidung Schultz-Hoff[17] aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des LAG Düsseldorf zunächst erkannt, dass der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nicht nach § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG befristet sei, wenn der Arbeitnehmer dauerhaft arbeitsunfähig ist. Zwar verfalle der Mindesturlaubsanspruch, wenn der Arbeitnehmer die tatsächliche Möglichkeit gehabt habe, den ihm verliehenen Urlaubsanspruch auszuüben. Jedoch gewährleiste Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG den Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon arbeitsunfähig erkrankt war. Hat der Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit, den ihm verliehenen Urlaubsanspruch geltend zu machen, sollte dieser auch nicht verfallen können. Dieser Ansicht folgend, kam das BAG mit seiner Folgeentscheidung zu dem Ergebnis, dass gesetzliche Mindesturlaubsansprüche bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht erlöschen konnten.
Gleiches sollte für den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 SGB IX gelten, da dieser mit dem rechtlichen Schicksal des Mindesturlaubs eng verwoben ist.
Damit einher prasselte ein Sturm der Kritik auf den EuGH herab, da bei jahrelangen Krankheitszeiträumen immense Urlaubsansprüche angesammelt werden würden.
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Das LAG Hamm hatte in Anbetracht dieser Problematik daraufhin dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob die in Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24.6.1970 für den Verfall von Urlaub normierte zeitliche Schranke von 18 Monaten als absolute zeitliche Obergrenze zu verstehen sei und Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie daher eingeschränkt auszulegen sei. Krankheitsbedingt angesammelter Urlaub könnte infolgedessen nicht länger als 18 Monate angehäuft werden, mit der Folge, dass er danach verfalle.
Zugrunde lag dem Vorabentscheidungsersuchen die Auseinandersetzung des Arbeitnehmers Schulte mit seiner Arbeitgeberin, der KHS AG. Herr Schulte erlitt 2002 einen Infarkt, infolgedessen er schwerbehindert war und arbeitsunfähig erkrankt war. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Betrieb im August 2008 bezog er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Dem Arbeitsvertrag lag ein Tarifvertrag zugrunde, wonach der Urlaubsanspruch drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres erlosch, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde oder dass Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte.
Konnte der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden, erlosch der Urlaubsanspruch 12 Monate nach Ablauf des zuvor genannten Zeitraums.
Der EuGH[18] hat zunächst festgestellt, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die den Verlust des Urlaubsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraumes umfasst.
Tatsächlich soll der Arbeitnehmer jedoch die Möglichkeit gehabt haben müssen, den Urlaubsanspruch auch wahrzunehmen. Ein Arbeitnehmer, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, sei berechtigt, unbegrenzt alle während des Zeitraums seiner Abwesenheit von der Arbeit erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln. Da der EuGH jedoch erkannt hat, dass seine vorhergehende Entscheidung über das Ziel hinausgeschossen war, hat er seine Auffassung „nuanciert“, sprich in Teilen zurückgenommen.
Nach Ansicht des Gerichts soll nunmehr eine Grenze da erreicht sein, wo der Zweck des Urlaubs nach Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG nicht mehr erreicht werden kann, der darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen.
Die Ruhezeit verliere zunehmend ihre Bedeutung, je später sie genommen werde. Überschreite der Übertrag eine gewisse zeitliche Grenze, so fehle die positive Wirkung für den Arbeitnehmer im Hinblick auf den in der Erholungszeit bestehenden Zweck; erhalten bleibe lediglich der Zweck hinsichtlich des Zeitraums für Entspannung und Freizeit.
In Anbetracht dessen soll der der Entscheidung zugrunde liegende tarifvertragliche 15-monatige Übertragungszeitraum angemessen sein, so dass hiernach der Anspruch auf Urlaub erlischt.
Darüber hinaus hat der EuGH darauf hingewiesen, dass Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation, der eine 18-monatige Obergrenze enthält, so aufgefasst werden kann, dass er „auf der Erwägung beruht, dass der Zweck der Urlaubsansprüche bei Ablauf der dort vorgesehenen Fristen nicht mehr vollständig erreicht werden kann“.
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Das BMI hat sodann unter Bezugnahme auf die EuGH-Entscheidung per Rundschreiben zum gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch bestimmt, dass die zuvor festgelegte Übertragungsmöglichkeit von Urlaubsansprüchen bis zum 31.12. des Folgejahres den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch nicht einschränken kann. Deshalb soll für den gesetzlichen Mindesturlaub, der wegen Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden kann, die Übertragungsfrist auf 15 Monate verlängert werden. Damit hat das BMI gleichwohl die Verfallsfrist, die ansonsten 18 Monate betragen hätte, geschickt zumindest auf 15 Monate begrenzt.
Beispiel