2. Schranken-Schranke
a) Verfassungsmäßigkeit der einschränkenden Regelung
Die Norm, auf die die Beschränkung des Schutzbereichs gestützt wird, muss selbst verfassungskonform sein.
aa) Legitimer Zweck
Die Norm muss einen legitimen Zweck verfolgen. Gem. § 27 Abs. 1 BO ist Zweck der Vorschriften über erlaubte sachliche Information und berufswidrige Werbung, insbesondere des § 27 Abs. 3 BO, die Gewährleistung des Patientenschutzes durch sachgerechte und angemessene Information und die Vermeidung einer Kommerzialisierung des Arztberufs. Das Vertrauen der Patienten darin, dass der Arzt aus medizinischer Notwendigkeit und nicht aus Gewinnstreben Untersuchungen vornimmt und Behandlungen vorsieht, soll erhalten bleiben.[26] Die Förderung dieses beruflichen Verantwortungsgefühls und des Vertrauens in den Berufsstand der Ärzte stellt einen legitimen Zweck dar.[27]
bb) Geeignetheit
Das Verbot anpreisender, irreführender oder vergleichender Werbung müsste auch geeignet sein, diesen Zweck zu erreichen. Geeignetheit ist gegeben, wenn die Maßnahme – das Werbeverbot – zur Erreichung des Zwecks zumindest beitragen kann. Bestimmte Formen von Werbung können tendenziell als unsachlich oder Streben nach Gewinn aufgenommen werden. Indem dies gänzlich verboten wird, kann das Vertrauen in die Ärzteschaft als Ganzes gesteigert werden.
cc) Erforderlichkeit
Ferner müsste der verfolgte Zweck nicht durch ein anderes, den Grundrechtsträger weniger stark belastendes Mittel erreicht werden können. Der Eingriff müsste mithin erforderlich sein.
Grundsätzlich ist seit dem Apothekenurteil nach der Drei-Stufen-Lehre insoweit zwischen einer Beeinträchtigung der Berufsausübung einerseits und der Berufswahl andererseits zu differenzieren.[28] Während eine Berufsausübungsbeeinträchtigung lediglich einzelne Aspekte eines Berufs verbietet, also das „Wie“ betrifft, richtet sich eine Maßnahme gegen die Berufswahl gegen den Zugang zu dem Beruf, mithin das „Ob“ der Ausübung. Grundsätzlich ist auch ohne Werbetätigkeit die Ausübung des Arztberufs möglich, denn lange Zeit war Ärzten das Werben gänzlich verboten. Es liegt ein Fall einer Berufsausübungsbeschränkung vor. Diese ist im Gegensatz zu objektiver und subjektiver Berufswahlbeschränkung bereits das mildeste Mittel. Die Maßnahme ist folglich erforderlich.
dd) Verhältnismäßigkeit
Schließlich muss der Eingriff im Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen.[29] Die Drei-Stufen-Lehre verlangt für die vorliegende Berufsausübungsbeschränkung „Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit“[30] im Sinne vernünftiger Erwägungen des Allgemeinwohls. § 27 Abs. 3 BO verbietet insbesondere anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind diese Formen getrennt zu beleuchten.
(1) Anpreisende Werbung
Anpreisend ist eine besonders nachdrückliche Form der Werbung, insbesondere mit reißerischen bzw. marktschreierischen Mitteln, etwa Übertreibungen und besonders wirkungsvollen Herausstellungen eigener Leistungen.[31] Zwar ist eine gewisse Überzeichnung charakteristisch für Werbung, zumal eine überspitzte Darstellung dem Empfänger eher im Gedächtnis bleibt und so der Werbezweck gefördert wird. Ärzten ist aufgrund ihrer Kredibilität in der Gesellschaft aber ein gesteigertes Sachlichkeitsgebot aufzuerlegen. Diese Einschränkung anpreisender Werbung, durch die der Eindruck erweckt wird, der Arzt verfolge in erster Linie ein wirtschaftliches Gewinninteresse, trifft alle Ärzte gleichermaßen. Das primäre Verfolgen eines wirtschaftlichen Gewinninteresses kann in Konflikt zur obersten ärztlichen Pflicht treten, der Gesundheit seines Patienten und der Bevölkerung zu dienen (§ 1 Abs. 1 BO), bzw. den Eindruck erwecken, dass eben jene Pflicht in den Hintergrund rückt bis gar vernachlässigt wird. Somit ist das Verbot anpreisender Werbung als verhältnismäßig anzusehen.
(2) Irreführende Werbung
In Anlehnung an § 5 Abs. 1 S. 2 UWG wird irreführende Werbung über die Eignung definiert, bei einem erheblichen Teil des angesprochenen Verkehrskreises unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls einen unrichtigen Eindruck zu vermitteln. Ärzten wird aufgrund ihrer geachteten Ausbildung, beruflicher Erfahrung und ihres Gesellschaftsstandes großes Vertrauen seitens ihrer Patienten entgegengebracht sowie im Allgemeinen ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit zugeschrieben. Umso höher sind daher die Voraussetzungen, die an die Klarheit und Richtigkeit der ärztlicherseits vermittelten Informationen zu stellen sind. Ein Verbot von irreführender Werbung ist mithin bei Ärzten – § 5 Abs. 1 S. 2 UWG e contrario – erst recht angemessen.
(3) Vergleichende Werbung
Vergleichende Werbung ist in Anlehnung an § 6 Abs. 1 UWG Werbung, die unmittelbar oder mittelbar einen anderen Arzt oder die von ihm angebotenen Dienstleistungen erkennbar macht.[32] Zwar ist Werbung auf Kundenakquise angelegt und daher stets in gewissem Maße vergleichend.[33] Im individuellen Arzt-Patienten-Verhältnis ist ein objektiver Vergleich konkreter ärztlicher Tätigkeit aber schlicht nicht möglich, sodass vergleichende Werbung stets irreführend und ihr Verbot angemessen ist.
ee) Zwischenergebnis
§ 27 Abs. 3 BO ist verfassungsgemäß.
b) Verfassungsmäßigkeit der auf der Regelung beruhenden Einzelmaßnahme
Schließlich müsste auch durch die Einzelmaßnahme – die Entscheidung des Berufungsgerichts – in verfassungsgemäßer Weise von der Beschränkungsmöglichkeit des § 27 Abs. 3 BO Gebrauch gemacht worden sein. Wie oben[34] dargestellt, beschränkt sich die Überprüfung dessen auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf zwei Werbeanzeigen über die ärztliche Tätigkeit des A sowie einem Interview des A. Zu fragen ist, inwieweit die Werbeanzeigen und das Interview den Tatbestand des § 27 Abs. 3 BO erfüllen.
Einschlägig könnte der Tatbestand der anpreisenden Werbung sein. Anpreisend ist eine besonders nachdrückliche Form der Werbung, insbesondere mit reißerischen bzw. marktschreierischen Mitteln, etwa Übertreibungen und besonders wirkungsvollen Herausstellungen eigener Leistungen.[35] A wird in einzelnen Textpassagen als „die unangefochtene Nr. 1 für Bandscheibenvorfälle“ beschrieben, die Erfolgsquote als „sensationell“ bezeichnet. Die Kernaussage, dass die Behandlungsmethode sehr gute Erfolge verzeichne, hätte auch ohne Steigerungen wie „unangefochten“ oder „sensationell“ erreicht werden können. Um die Werbung als solche jedoch als „anpreisend“ bezeichnen zu können, müssten diese genannten Aussagen den Gesamtcharakter selbiger Werbung prägen. Denn alleiniges positives Herausstellen ist gerade typisch für Werbung und macht diese nicht per se sachfremd.[36] Im Rahmen der Abgrenzung zur erlaubten Information i.S.d. § 27 Abs. 2 BO ist vielmehr eine grundrechtsfreundliche Auslegung des Wortsinns einzelner Passagen im Kontext des gesamten Inhalts erforderlich.[37] Der Fokus des Interviews und der Anzeige liegt vorliegend gerade auf der Information über die neuartige Behandlungs- und Operationsmethode für potentielle Patienten, sachliche Informationen überwiegen quantitativ und qualitativ im Vergleich zu sachfremden Zuspitzungen. Der Schwerpunkt der Aussagen liegt in der Information über die Vorzüge, den Inhalt, die Bedeutung und die Möglichkeiten dieser Methode gegenüber der herkömmlichen Behandlung. Die emotionale Prägung der Werbung mit entsprechend assoziativen Begriffen wie „anstrahlen“, „Tänzchen“ oder „bewegend“ (sog. Sympathiewerbung) ist mit Blick auf das persönliche Arzt-Patienten-Verhältnis nach der – nicht über jeden Zweifel erhabenen und recht weitgehenden