Während einige Autoren von einer inhaltlichen Beschränkung der Nutzungsrechte i.S.d. § 31 Abs. 1 Satz 2 UrhG ausgehen,9 nimmt die h.M. eine auflösend bedingte Rechtseinräumung nach § 158 Abs. 2 BGB an.10 Im Ergebnis kann der GPL-2.0 nicht nur eine schuldrechtliche Verpflichtung zur Einhaltung der Lizenzbedingungen entnommen werden, so dass die h.M. zutreffend davon ausgeht, dass dem Lizenznehmer die Nutzungsrechte unter der auflösenden Bedingungen eingeräumt werden, dass dieser sich an die Lizenzbedingungen hält (siehe Rn. 152f.). Wird gegen die Pflichten verstoßen, fallen die Nutzungsrechte automatisch ex nunc weg und der Lizenznehmer begeht eine Urheberrechtsverletzung, wenn er die Software entgegen den Lizenzbedingungen vertreibt.11
(2) Realitätsfokus
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Eine „Massenabmahnwelle“ der FOSS Entwickler ist bisher nicht losgebrochen, aber in Anbetracht des doch weitreichenden FOSS Einsatzes in Produkten aller Art künftig nicht per se ausgeschlossen. Die Konsequenzen aus der auch gerichtlichen Verfolgung der bei lizenzwidrigem FOSS Einsatz entstehenden Ansprüche können recht weitreichend sein. So ist u.U. der Rückruf ganzer Produktserien, in denen FOSS Komponenten ohne Einhaltung der Lizenzbedingungen implementiert sind, nicht undenkbar. Dies kann nicht zuletzt immense wirtschaftliche Schäden und Reputationsverluste für die in Anspruch genommenen Unternehmen nach sich ziehen.
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Die entstehenden rechtlichen Risiken sind abhängig von der Strenge der jeweiligen FOSS Lizenz und von dem Pflichtenprogramm, das von den Lizenzbedingungen vorgeschriebenen ist und durch eine Weitergabe der jeweiligen FOSS z.B. in einem Endprodukt ausgelöst wird. Dies betrifft v.a. den Vertrieb der FOSS an Endkunden. Das rechtliche Risiko wird zusätzlich erhöht, wenn FOSS Komponenten mit proprietären Programmkomponenten z.B. verbunden im Rahmen von sogenannten Value added Produkten12 vertrieben werden. Handelt es sich bei der verbundenen oder auch nur bei Installation und Ausführung interagierenden FOSS um eine solche mit angeordnetem strengem Copyleft (wie z.B. bei der GPL-2.0 oder GPL-3.0 der Fall), so ist u.U. der Vertrieb nur gestattet, wenn alle Programme, die von der GPL Software abgeleitet sind, ebenfalls unter die GPL gestellt werden (siehe weiterführend Rn. 234ff.).
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Die deutsche Rechtsprechung hat noch immer keinen gemeinsamen Nenner gefunden; v.a. zur Reichweite des Copyleft Effekts der GPL fehlen Entscheidungen, soweit ersichtlich, bisher völlig.13 Jedoch ist ein Großteil der Entscheidungen der letzten Jahre (siehe Rn. 36ff. und ausführlich Anhang Rn. 837.)14 zugunsten der Rechtsinhaber von FOSS ergangen, die von den jeweiligen Prozess-Kontrahenten ohne Beachtung der jeweiligen FOSS Lizenzbedingungen und damit urheberrechtswidrig eingesetzt worden ist. Die bisherigen FOSS Urteile schärfen daher den Fokus hinsichtlich der sich tatsächlich auch in der Praxis realisierenden Rechtsrisiken und fördern immer mehr das Bedürfnis von Unternehmen unterschiedlichster Wirtschaftszweige nach FOSS Compliance. Diese verfolgt das Ziel, einen kontrollierten Einsatz von FOSS und deren rechtskonformen Vertrieb v.a. in Verbindung mit Value added Produkten oder in eingebetteten Systemen zu ermöglichen.
d) Was bisher geschah...
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In den letzten Jahren sind einige Vertreter aus der Open Source Community (siehe auch Rn. 48ff.) aufgetreten, die das Bild ergangener Gerichtsentscheidungen bzgl. der Verfolgung von Rechtsverstößen im FOSS Bereich geprägt haben. Außerdem wurden einige interessante Verfahren in Übersee im FOSS Bereich ausgetragen.
aa) Harald Welte: Pionier der deutschen FOSS Rechtsprechung
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Allen voran und gleichsam als Initiator einiger richtungsweisender FOSS Urteile in Deutschland zu nennen ist Harald Welte, der Miturheber und -entwickler des Linux kernel. Welte betreibt unter der URL gpl-violations.org eine zentrale Informations- und Community-Webseite zu FOSS und katalogisiert dort zahlreiche Fälle, in denen die GPL (insbesondere die GPL-2.0) in der Praxis verletzt wurde. Ein Überblick der von ihm auch gerichtlich verfolgten FOSS Verletzungsfälle und weitere FOSS News findet sich ebenfalls auf der genannten Community-Webseite.15
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Die Klärung von einigen wesentlichen Grundsatzfragen im FOSS Bereich für das deutsche (Urheber-)Recht vor den deutschen Gerichten geht auf von Welte angestrengte gerichtliche Verfahren zurück.
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Die wesentlichen Grundsatzfragen:
– FOSS Lizenzbedingungen als AGB (siehe Rn. 141ff.);
– Wirksamkeit von FOSS Lizenzbedingungen in Deutschland (siehe Rn. 149ff.);
– Rechtsfortfallklausel gem. Ziff. 4 GPL-2.0 als auflösend bedingte Rechtseinräumung (siehe Rn. 150ff.);
– Verstoß gegen FOSS Lizenzbedingungen als Urheberrechtsverstoß, der Ansprüche nach den §§ 97ff. UrhG auslöst.
bb) Patrick McHardy: Kommerzialisierung der Rechtsverfolgung
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Jedenfalls von der Open Source Community eher kritisch betrachtet wird die Rechtsverfolgung von Patrick McHardy, der u.a. auch Verfahren vor den deutschen Gerichten mit gleichwohl bisher mäßigem Erfolg angestrengt hat.16
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Bereits seit 2013 geht McHardy im größeren Stil zunächst außergerichtlich gegen angebliche Urheberrechtsverletzungen der GPL-2.0 mit der Behauptung vor, er sei Miturheber bzw. Bearbeiterurheber des Linux kernel, und Unternehmen, die Linux beispielsweise im Zusammenhang mit von ihnen vertriebener Hardware nutzen, hätten die FOSS Lizenzbedingungen bzgl. der von McHardy zumindest mitentwickelten Linux Komponenten urheberrechtswidrig nicht eingehalten. Im Wege anwaltlicher Abmahnungen werden vor allem urheberrechtliche Ansprüche auf Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten geltend gemacht.
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In den Fällen, die wir bisher gesehen haben, wirkte McHardy darauf hin, auf Abmahnungen möglichst weit gefasste Unterlassungserklärungen zu erhalten, und beobachtete sodann die weitere Betätigung der abgemahnten mittelständischen Unternehmen am Markt. In einem nächsten Schritt wurde ein Verstoß gegen abgegebene Unterlassungserklärungen und damit eine Vertragsstrafe geltend gemacht. Ähnliche Berichte gibt es von weiteren Fällen, wobei viele Auseinandersetzungen nicht in gerichtlichen Klageverfahren mündeten, sondern in außergerichtlichen Vergleichen endeten, deren Vergleichssummen McHardy zuflossen.17
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Das Vorgehen von McHardy gerade im größeren Stil18 ist zumindest in Deutschland ein Novum im FOSS Bereich und rief erhebliche Kritik in der Open Source Community hervor. Der im Grunde nicht Community konforme Alleingang McHardys führte daher bereits im Sommer 2016 zu dessen Ausschluss aus dem sog. Core Team des Linux kernel für den Bereich Netfilter.19
cc) Schlaglichter FOSS relevanter Verfahren im Ausland
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Auch ein kurzer Blick auf FOSS Verfahren im Ausland soll an dieser Stelle nicht fehlen. Zu den relevanten Auseinandersetzungen in den USA20 gehören die von der Software Freedom Conservancy21 angestoßenen Gerichtsverfahren insbesondere im Zusammenhang mit der Rechtsverfolgung von Verstößen gegen die GPL Lizenzbedingungen rund um BusyBox (siehe auch Rn. 62). Bei dem Verfahren BusyBox v. Westinghouse ging es im Jahr 2010 um die erste Rechtsdurchsetzung der GPL-2.0 in einem gerichtlichen Verfahren vor dem United States District Court, Southern District of New York, das zu einer Verurteilung der Beklagten zu Schadensersatz nach dem U. S. Copyright Act wegen Nichteinhaltung der Lizenzbestimmungen führte.22 Weitere Verfahren mit FOSS Bezug wurden vor U.S.-Gerichten