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Wenn die gleiche Software unter Dual License gegen Lizenzgebühr oder unter Copyleft Lizenz angeboten wird, entfällt einerseits das Argument der Alternativlosigkeit, andererseits erhöht sich das Risiko der Rechtsverfolgung, da der Rechtsinhaber eher geneigt ist, Verletzungen der FOSS Variante zu verfolgen und Schadensersatz auf Grundlage der Lizenzanalogie einzufordern.
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Auf der Seite der Schadenspotenziale sollte kalkuliert werden, welche Auswirkungen ein erfolgreich geltend gemachter Unterlassungsanspruch hätte. Ein solcher Anspruch sorgt bis zum Austausch der Software mindestens zu einem Auslieferungsstopp, u.U. auch zu einem Produktrückruf. Eine solche Rückrufpflicht ergibt sich für bereits veräußerte Gegenstände nicht automatisch aus dem Unterlassungsanspruch, mittelbar jedoch aus den Gewährleistungsansprüchen, wenn das nunmehr illegale Werk vom Käufer nicht mehr weitergegeben werden kann. Der Importeur einer Webcam mag dieses Risiko niedriger einschätzen als ein Automobilhersteller, dem die Stilllegung seiner Flotte droht. Im Business-to-Business-Bereich wiederum können Nachbesserungsaufwände im Rahmen von Wartungsverträgen zu verschmerzen sein.
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Bei Umsetzung der künftig vorgeschriebenen Over-the-Air-Updates ergeben sich leichtere Korrekturmöglichkeiten für heilbare Lizenzverletzungen wie beispielsweise fehlende Pflichtangaben. Soweit jedoch die Lizenzkonformität nur durch Freigabe von eigenem Source Code erreicht werden kann, kann dies schon alleine daran scheitern, dass der Lizenzverletzer gar nicht über die notwendigen Rechte verfügt, um den entsprechenden Code unter einer FOSS Lizenz freizugeben.
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Basic: Pflichtangaben und Source Code Freigabe (siehe Rn. 765ff.)
Die FOSS Lizenzen unterscheiden sich teils deutlich im Regelungsgehalt und Umfang der Regelungen, insbesondere bzgl. des Copyleft. So gut wie alle FOSS Lizenzen fordern jedoch für Verwertungshandlungen eine Auflistung von bestimmten Angaben, wir nennen sie Pflichtangaben. Es handelt sich meist um Copyright Hinweise, Lizenztexte und teils weitere Angaben wie z.B. Informationen zur Veränderung.
Copyleft Lizenzen fordern in der Regel die Mitlieferung oder dasAngebot der Mitlieferung des Source Code der FOSS Komponente unter der entsprechenden Lizenz, auch wenn das Copyleft für verbundene oder veränderte Software nicht greift. Greift Copyleft, muss entsprechend auch der veränderte oder verbundene Code bereitgestellt werden.
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Wer selbst innerhalb einer Zulieferkette FOSS einsetzt, muss in seiner Kalkulation berücksichtigen, dass er für die Schäden seines Kunden haftet, soweit es ihm nicht gelingt, diese Haftungen vertraglich zuverlässig auszuschließen, worauf wir in diesem Buch noch eingehen werden. Natürlich sind die Zeiten vorbei, in denen Rechtsabteilungen apodiktisch jeglichen Einsatz von FOSS verboten haben. Andererseits verbietet sich der kritiklose ungeprüfte Einsatz.
c) Was schlimmstenfalls passieren kann
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Die Rechtsabteilungen haben selbstverständlich im Blick, wie wahrscheinlich und groß die drohenden Schadensszenarien sind. Eines ist meist eindeutig klar: Eigener proprietärer Code soll nicht in großem Umfang unter einer FOSS Lizenz freigegeben werden. Die Vorgabe, Copyrightvermerke zusammen mit der jeweiligen Lizenz bei Weitergabe beizufügen, nehmen die Verwender meist schon deutlich weniger ernst. In der Praxis kommt häufig die Frage, ob das denn überhaupt jemand merkt und dann tatsächlich auch noch verfolgt.
aa) Häufiger Irrtum: Copyleft führt automatisch zur Freigabe als FOSS
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Die Geschichte ist so dramatisch, dass sie in fast jedem FOSS Vortrag vorkommt. Sie ist trotzdem falsch. Es wird behauptet, dass die Auslösung des Copyleft Effekts dazu führt, dass die eigene Software – infiziert von einer winzigen Dosis Copyleft – auch zum Copyleft Zombie wird. Auf dieser Grundlage wird dann die Freigabe des kompletten kommerziellen Produkts gefordert, das entsprechend infiziert ist. Richtig ist, dass Werke, die von Copyleft lizenzierten Werken abgeleitet werden, ebenfalls unter Copyleft Lizenz gestellt werden müssen, um die Lizenzbedingung zu erfüllen (siehe hierzu Rn. 225ff.). Es gibt jedoch keinen Automatismus.
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Der Rechtsinhaber hat die Wahl, die Copyleft Lizenz dadurch zu erfüllen, dass er seine eigene Software auch unter gleiche Lizenz stellt oder auf die Vorzüge der FOSS Lizenz, insbesondere auf das gewährte Nutzungsrecht zu verzichten. Das mag sich nach einem Dilemma anhören, da die Verletzung der Lizenz Rechtsnachteile bedeuten kann; es ist aber gleichwohl die Entscheidung des Rechtsinhabers, ob er die Freigabe seines Code und der FOSS Lizenz vornehmen will oder nicht. Dass kein Automatismus bestehen kann, ergibt sich schon alleine aus dem Umstand, dass der Verwerter möglicherweise gar nicht in der Lage ist, eine Lizenzierung unter einer FOSS Lizenz vorzunehmen. Wäre es anders, könnte man eine fremde kommerzielle Software mal eben mit GPL infizieren, so dass sie dann für jedermann frei nutzbar wäre.
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Der Gedanke hält sich gleichwohl hartnäckig und liegt sogar der Entscheidung des LG Berlin im Fall AVM ./. Cybits (Surfsitter)6 zugrunde. Das an mehreren Stellen angreifbare Urteil (siehe ausführlich Rn. 605ff.) geht davon aus, dass der Hersteller der Fritzbox keine Unterlassungsansprüche gegen Cybits geltend machen darf, wenn das linux-basierte FritzOS verändert wird. Die Richter statuierten, dass mit Copyleft Effekt infizierte Software quasi „vogelfrei“ wird und der Rechtsinhaber seine Ansprüche aus dem Urheberrecht verlieren soll. Anders ausgedrückt sollen Sammelwerke, die aus FOSS bestehen, als Ganzes den Bedingungen der FOSS mit Copyleft Effekt unterliegen. Spätere Rechtsprechung hat diesen Fehler erkannt und auch unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung und dem Unclean-Hands-Einwand Einwendungen gegen das Verwertungsrecht zurückgewiesen.7
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Die Möglichkeiten für Lizenznehmer, wegen FOSS Verstößen Kostenfreiheit zu erlangen, sind etwas kleiner als angenommen. FOSS Lizenzen können nur die Instrumente des Urheberrechts einsetzen. Das Sanktionsarsenal beschränkt sich daher darauf, das kostenlos gewährte Nutzungsrecht an der FOSS entfallen zu lassen. Die Lizenz kann keine zusätzlichen Nutzungsrechte für jedermann an proprietärer Software erzeugen.
bb) Ungenutztes Schädigungspotenzial der Rechtsinhaber
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Die „offene“ Verbreitung von FOSS bietet Vorteile, aber zugleich nicht zu unterschätzende Risiken, weniger für den Anwender als vielmehr für denjenigen, der FOSS für die eigene Entwicklung einsetzen und auch an Endkunden vertreiben will.
(1) Rechtlicher Fokus
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Die Lizenzbedingungen der jeweiligen FOSS legen die urheberrechtlichen Rahmenbedingungen fest, unter denen der Entwickler der Software bzw. deren Rechtsinhaber anderen Nutzungsrechte an der FOSS einräumen will. Da die FOSS Lizenzbedingungen auf diese Weise die Ausübung des Urheberrechts konkretisieren, stellt jede Verletzung der Lizenzbedingungen eine Urheberrechtsverletzung dar, die urheberrechtliche Ansprüche der §§ 69f, 69a Abs. 4 i.V.m. §§ 97ff. UrhG auslöst, sofern die jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen gegeben sind (siehe auch Rn. 499ff.).8
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Automatischer Rechtsfortfall oder inhaltliche Beschränkung?
Die Geltendmachung von urheberrechtlichen Ansprüchen durch den Urheber wegen lizenzwidriger FOSS Nutzung hängt im Wesentlichen davon ab, ob das lizenzwidrige Verhalten zu einem Wegfall der durch die FOSS Lizenz eingeräumten Nutzungsrechte führt ober ob eine bloße Verletzung vertraglicher Pflichten vorliegt, was den Rechtsinhaber auf die bloße Durchsetzung von schuldrechtrechtlichen Ansprüchen gegen