Von Marschel Schöne und Martin Herrnkind*
Szene: 2002. Ein Polizeidirektor, stellv. Leiter einer pol. Ausbildungseinrichtung, am Fenster im Büro. Blick auf das gegenüberliegende Gebäude für Berufsethik und Sozialwissenschaften. Ruhig führt er seine Zigarette zum Mund, nimmt einen tiefen Zug, deutet mit einem Wink in Richtung Gebäude und spricht: „Alles schwule Themen“.
Szene: 2019. Rhetorik-Training an einer FH Polizei. Ein Student fragt den Dozenten ostentativ: „Das ist doch hier das Fach mit all‘ den schwulen Themen, oder?“.
Wie sind die beiden exemplarischen Äußerungen einzuordnen? Die Ablehnung der (Sozial-)Wissenschaften kann zunächst zusammengedacht werden mit der geschlechtsspezifischen Verfasstheit der Organisation Polizei. Die homophobe Tendenz beider Episoden scheint in dem Kontext unstrittig. Das Adjektiv „schwul“ ist hier abwertend konnotiert. Die direkte und indirekte Geringschätzung der (Sozial-)Wissenschaften ist partiell das Produkt einer habituellen Homophobie, die der traditionellen und tradierten männlichen Herrschaft konstitutiv eingeschrieben ist. Bereits Niederhoffer (1969: 129) beschrieb die Polizei als extrem homophobes Arbeitsfeld: „Of all occupations the police are apparently most free from the taint of homosexuality. The merest hint of effiminacy would absolutely bar a candidate from appointment to the force, and after the probationary period, any sign of homosexuality would lead to his immediate dismissal or forced resignation.“
Homophobie im Feld Polizei geht einher mit Geringschätzung, zotigem Humor, maskulinen Imponiergehabe, also ostentativer Männlichkeit. Das Adjektiv „schwul“ reicht dabei weit über die homophobe Konnotation hinaus: Es steht hier vor allem für alles „Nicht-Maskuline“ im Feld Polizei. Der Student meinte damit Rhetorik-Trainings, Anti-Konflikt-Trainings, Interkulturelle Trainings. Der Polizeidirektor meinte die Fächer Ethik, Psychologie, Verhaltenstraining, Soziologie, Politologie oder Kriminologie.
Für Bourdieu1 ist das biologische Geschlecht zunächst eine elementare Dimension des Habitus, die „alle mit den fundamentalen sozialen Faktoren zusammenhängenden sozialen Eigenschaften modifiziert“ (Bourdieu 1997: 222). Die geschlechtsspezifische Sozialisation ist dabei untrennbar mit der Sozialisation für eine bestimmte soziale Position der Akteure verbunden (vgl. Bourdieu, 1997: 222ff.). Das biologische Geschlecht wird also als sozial konstruiertes Ordnungsprinzip feldspezifisch determiniert und bestimmt entscheidend die Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata der sozialen Akteure. Und damit darüber, ob etwas als schwul wahrgenommen wird.
Die Organisation Polizei wurde ursprünglich von Männern für Männer konzipiert und kann auch gegenwärtig noch als Feld der institutionalisierten männlichen Herrschaft gesehen werden. Seine Feldstrukturen und die Habitus der Akteure sind auf männliche Herrschaft abgestimmt und trotz des (wachsenden) Frauenanteils von ca. 20 % dominieren männliche Kulturen noch mit apodiktischer Direktheit die Berufswelt Polizei. Der geschlechtliche Transformationsprozess der Polizei ist analog zur Token Theorie aufgrund der weiblichen Minderheitenposition in Teilen lediglich noch ein Formenwandel, nicht aber ein tatsächlicher Paradigmenwandel polizeilicher Grundbedingtheit.
Harry Callahan: Sie kommen aus der Gegend?
Chico Gonzales: Ja, aber ich bin nicht hier zur Schule gegangen.
H. C.: Baseball?
C. G.: Äh, Nein, ich hab geboxt, Mittelgewicht.
H. C.: Ich wollt schon immer mal'n Studenten.
C. G.: Bisher haben Sie noch nichts an mir entdeckt, was Ihnen zusagt, hm?
H. C.: Der Tag ist noch lang. Ham' Sie 'n Examen?
C. G.: Soziologie.
H. C.: Ooh, Soziologiiie. Wenn Sie leben bleiben: wär nützlich für Sie.
C. G.: Ich hoffe noch lange.
H. C.: Denken Sie nicht zu sehr an die Soziologie. Es könnte Sie umbringen und mich dazu!
In der Folge spiegeln manche spontanen Denk- und Handlungsweisen im Feld Polizei noch deutlich konservativ tradierte Denkweisen: diskriminierend, homophob, sexistisch, rassistisch. Das ist eine der profanen Wahrheiten und Realitäten einer wertkonservativen Organisation, deren sozialer Wandel systembedingt lange Vorlaufzeiten hat. Oder anders: Ein dergestalt verpolizeilichter Habitus ist ein sozialer Habitus, ist die wirkmächtige Einschreibung polizeilicher Kategorien, die zuvorderst kollektive Kategorien sind, unbewusst und bewusst erworben, praktiziert und reproduziert, ist die Verinnerlichung und Verkörperung der Logik der männlich geprägten sozialen Welt Polizei.
Hierzu gehört das polizeiliche Selbstverständnis der crimefighter, dass den Gefahren und der Gewalt beherzt und mutig begegnet werden muss. Wahrnehmung und Verhalten folgen einem Worst-Case-Thinking. Wir beobachten im Habitus der Polizei eine Überbetonung alltäglicher physischer, psychischer und damit letztlich auch symbolischer Gewalt, die sich im Extrem im Selbstbild mancher Polizist*innen als eine Art Gewaltfetisch widerspiegelt, der partiell in der eigenen Angst und dabei auch in der Angst vor dem Weiblichen in einem selbst gründet (vgl. Bourdieu 2013: 95–96).
In gewisser Weise resultiert aus den Wirkkräften des Berufsfeldes Polizei auch eine autoritäre Reaktion (vgl. Oesterreich 1996: 46ff.), die sich in Rigidität zeigt, in Schwarzweißdenken, vor allem aber auch einer Abwehr der Intrazeption: Die Angst, von eigenen Gefühlen übermannt zu werden, scheint dem Polizeihabitus immanent. „Ich wär‘ am liebsten gleich wieder abgehauen!“, sagte ein Teilnehmer, nachdem er erstmalig den Stuhlkreis im Seminarraum gesehen hatte. Stuhlkreis = „Wolldeckenseminar“. Reflexion eigener Subjektivität während Verhaltenstrainings, Interkultureller Trainings oder in Seminaren für Konfliktmanagement und die damit einhergehende Komplexitätserhöhung löst zum Teil Ängste und Irritationen, ja eine Krise der natürlichen sozialen Ordnung des Feldes Polizei aus.
Dies öffnet eine weitere (Erklärungs-) Dimension auf derselben Basis: Die mit den sozialwissenschaftlichen Fächern verbundene Intellektualität steht im Feld Polizei für etwas Verweichlichtes, ist unsexy, trübt den Quell maskulinen männlichen Selbstbewusstseins. Das (1988: 138ff.) differenziert in historischer Betrachtung der Polizeiausbildung in traditionelle und nicht-traditionelle Ausbildungs- und Studienfächer. Den traditionellen Fächern ordnet er beispielhaft die Rechtsfächer zu, ebenso Einsatztraining, Kriminalistik, Umgang mit Waffen oder Sport – eben die handwerkliche Kunst der Polizeiarbeit. Zu den nicht-traditionellen Lehrinhalten rechnet er soziologisches, philosophisches und psychologisches Wissen. Nicht-traditionelle Lehrinhalte gehören seit den siebziger Jahren zum Fächerkanon. Auf allen Hierarchieebenen wurde ihnen mit anfangs großer Skepsis begegnet. Der Streit um ihre Relevanz für die praktische Polizeiarbeit dauert bis heute an.
Zwei Beamten, die sich für ein erweitertes Training interkultureller Kompetenz einsetzten, wurde von einem Leitenden Polizeidirektor erwidert: „Ach wissen Sie, mir reicht es, wenn der deutsche Schutzmann weiß, dass er einem Türken kein Schweinefleisch anbietet.“
Im Anschluss an Bourdieu (2013: 181f.) verwenden wir die Dichotomie hard und soft. Traditionelle Lehrinhalte gelten als die harten, gleichermaßen maskulin assoziiert. Nicht-traditionelle Lehrinhalte gelten als soft – oder um mit den Worten der von Chan (2003: 315, 131) interviewten Studierenen zu sprechen – als: „Warm and fuzzy stuff“ und werden tendenziell als feminin (jedenfalls „unmännlich“) assoziiert. Analog zur tradierten Geschlechterordnung steht das hard hierarchisch über dem soft. Die soften Fächer sind Spielverderber, weil sie die polizeilichen Akteure durch ihren Gegenstand zu kognitiven Dissonanzen zwingen. Zu Selbstreflexionen, einem epistemologischen Bruch mit vertrauten Welt- und Wahrheitskonstruktionen. Und