5. Beschlüsse
266
Die Beschlussfähigkeit und die Beschlussfassung für alle Organe regelt Art. 50 Abs. 1 SE-VO unmittelbar. Die Beschlussfähigkeit ist gegeben, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend oder vertreten ist (Art. 50 Abs. 1 a SE-VO). Die Beschlüsse werden mit der Mehrheit der anwesenden oder vertretenen Mitglieder gefasst (Art. 50 Abs. 1 b SE-VO).
267
Art. 50 SE-VO sieht jedoch vor, dass in der Satzung abweichende Bestimmungen enthalten sein dürfen. Aufgrund der Anordnung der Satzungsautonomie für die Beschlussfähigkeit und die Beschlussfassung in Art. 50 SE-VO erübrigen sich nationale Ausführungsbestimmungen dazu, da nach Art. 9 Abs. 1 b SE-VO die angeordnete Satzungsfreiheit Vorrang vor nationalen Ausführungsbestimmungen hat.[29]
5 › IV › 6. Haftung der Organmitglieder
6.1 Regelungssystematik
268
Die ersten Entwürfe zur SE-VO sahen in Art. 77 SE-VO 1991 eine eigenständige Haftungsregelung vor, die eine zwingende gesamtschuldnerische Haftung aller Organmitglieder für eigenes und fremdes Fehlverhalten beinhaltete. Dieser Ansatz eines eigenen Haftungssystems, das keine Differenzierungen zwischen den Funktionen und Aufgabenteilungen innerhalb der Organe vorsah, ist in der Literatur stark kritisiert worden.[30]
269
Art. 51 SE-VO sieht nunmehr sowohl für das dualistische als auch für das monistische System einen Verweis in das nationale Aktienrecht vor. Danach haften die Mitglieder des Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgans gem. den im Sitzstaat der SE für die AG maßgeblichen Rechtsvorschriften für die Verursachung von Schäden, die die SE durch eine Pflichtverletzung der Organe erleidet.
270
Für das bisher dem deutschen Recht unbekannte monistische System verweist § 39 SEAG für die Verwaltungsratsmitglieder und § 40 Abs. 8 SEAG für die geschäftsführenden Direktoren auf § 93 AktG. Die Verweisung entspricht der Verweisung in § 116 AktG, der für die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder ebenfalls auf die für den Vorstand geltende Haftungsnorm des § 93 AktG verweist. Durch diese Verweisungen wird die Möglichkeit eröffnet, eine individuelle und an den konkreten Aufgaben des Organs orientierte Haftung der Organmitglieder zu entwickeln und das jeweilige Organmitglied lediglich für eigenes Fehlverhalten haften zu lassen.[31]
6.2 Organhaftung
271
Vorstandsmitglieder haften nach der Grundhaftungsnorm des § 93 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 AktG der Gesellschaft gegenüber auf Schadenersatz, wenn sie bei ihrer Geschäftsführung schuldhaft nicht die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einhalten und der Gesellschaft daraus ein Schaden entsteht. Nach zutreffender h.M. handelt es sich bei § 93 Abs. 2 S. 1 AktG um eine eigene Anspruchsgrundlage, die an die Organstellung und nicht an den Anstellungsvertrag anknüpft, d.h. es ist ein Fall der Organhaftung anzunehmen.[32]
272
Für börsennotierte Gesellschaften wiederholt Ziff. 3.8 des DCGK entsprechend in verkürzter Form den Gesetzestext, indem er anordnet, dass Geschäftsleiter bzw. Aufsichtsratsmitglieder, die schuldhaft die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters verletzen, der Gesellschaft gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet sind.[33]
273
Aufgrund der Fülle der mit der Unternehmensführung verbundenen Sorgfaltspflichten sehen sowohl das Gesetz als auch der DCGK zutreffend davon ab, die haftungsrelevanten Sorgfaltspflichten aus der eigenverantwortlichen Unternehmensleitung i.S.d. § 76 Abs. 1 AktG weitergehend als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu umschreiben bzw. zu definieren.[34]
274
Lediglich für bestimmte Sondertatbestände wird die Sorgfaltspflicht präzisiert. Dies gilt für die Verpflichtung zur Verschwiegenheit in § 93 Abs. 1 S. 3 AktG, die die Vorstandsmitglieder verpflichtet, über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der SE als Ausprägung der organschaftlichen Treuepflicht Stillschweigen zu bewahren.[35]
275
In § 93 Abs. 3 AktG werden außerdem eine Reihe von Pflichtverletzungen, die zu einer Ersatzpflicht führen, genannt. Systematisch handelt es sich bei den in § 93 Abs. 3 AktG genannten Fällen jedoch nicht nur um eine Präzisierung der Pflichtverstöße, sondern gleichzeitig um eine Modifikation des allgemeinen Schadensbegriffs, wie er in §§ 249 ff. BGB vorgegeben ist. Bei Feststellung eines der in § 93 Abs. 3 AktG geregelten Pflichtverstöße besteht der Schaden für die SE bereits im Abfluss der Mittel oder in ihrer Vorenthaltung. Eine Gesamtvermögensbetrachtung unter Einschluss von Ansprüchen auf Rückzahlung der Einlageleistung oder Berücksichtigung von sonstigen Vorteilen ist nicht möglich. Der Einwand des fehlenden Schadens kann nur darauf gestützt werden, dass die entzogenen Beträge tatsächlich wieder zurückgeführt oder die vorenthaltenen Einlagen geleistet wurden.[36]
276
Von diesen gesetzlich geregelten Sonderfällen abgesehen, bestimmt sich die Haftung des Vorstands nach der Generalklausel in § 93 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 S. 1 AktG. Die Haftung ist im Einzelfall am Normzweck des § 93 AktG zu orientieren. Als Gegengewicht zur eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft durch den Vorstand (§ 76 Abs. 1 AktG) und der dadurch begründeten Haftung der Gesellschaft, d.h. zum Auseinanderfallen von Handelndem und Haftendem, muss eine Innenhaftung begründet werden, durch die der Vorstand der Gesellschaft für sein Handeln verantwortlich wird.
277
Vorrangiger Normzweck des § 93 AktG ist daher der Schutz des Gesellschaftsvermögens.[37] Durch den Schutz des Gesellschaftsvermögens über die Haftung der Vorstandsmitglieder sollen auch die Aktionäre und die Gesellschaftsgläubiger, wozu auch die Arbeitnehmer gehören, geschützt werden. Der Vorstand soll durch das bestehende Haftungsrisiko präventiv dazu veranlasst werden, sein Handeln stets am Wohl der Gesellschaft auszurichten.
278
Die relativ strenge Haftung aus § 93 AktG darf aber nicht dazu führen, dass der Vorstand aufgrund der Gefahr einer persönlichen Haftung unternehmerische Entscheidungen nicht mehr trifft. Aus diesem Grund wurde durch das UMAG[38] § 93 Abs. 1 S. 2 AktG eingeführt, um eine Überwälzung des Unternehmerrisikos auf den Vorstand zu verhindern. Dadurch wurde dem Vorstand bei der unternehmerischen Leitung und Führung der Gesellschaft ein unternehmerischer Ermessensspielraum eingeräumt, der dazu führt, dass Fehlentscheidungen keine Pflichtverletzungen sind, sondern im unternehmerischen Risiko der Gesellschaft und ihrer Aktionäre liegen, solange der Vorstand annehmen durfte