3.4.1 Zuständigkeiten
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Hauptaufgabe des Aufsichtsrats ist die Überwachung des Vorstands. Überwachungsgegenstand ist die Geschäftsführung des Vorstands. Ob der Begriff der Geschäftsführung in § 111 Abs. 1 AktG mit dem des § 77 Abs. 1 AktG übereinstimmt[135] oder die Überwachung sich auf die Leitungsmaßnahmen des Vorstands konzentrieren soll,[136] kann dahinstehen, weil Einigkeit darüber besteht, dass keine Überwachung in allen Einzelmaßnahmen zu erfolgen hat, auf der anderen Seite aber bei wesentlichen Einzelmaßnahmen auch die einschränkendere Auffassung eine Überwachungspflicht bejaht.[137] Die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats ist sowohl vergangenheitsbezogene Kontrolle als auch präventive Überwachung durch Beratung des Vorstands im Rahmen der zukünftigen Geschäftspolitik.[138]
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Im Lichte moderner Corporate Governance ändert sich die Überwachungsaufgabe des Vorstands zunehmend. Sie wird nicht mehr nur unter dem traditionellen Blickwinkel der vergangenheitsbezogenen Prüfung des Vorstandshandelns nach Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit definiert, sondern stellt zunehmend auf die gemeinsame zukunftsbezogene Planung und Beratung ab. Der DCGK hat deshalb in Ziff. 3 einen separaten Passus über das Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat aufgenommen. In Ziff. 3.2 ist vorgesehen, dass der Vorstand die strategische Ausrichtung des Unternehmens mit dem Aufsichtsrat abstimmt und mit ihm in regelmäßigen Abständen zukunftsbezogen die Strategie festgelegt.[139] Als Maßstab der Überwachung sind die vier zentralen Aspekte Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Leitung der Gesellschaft und des Konzerns, sowohl vergangenheits- als auch zukunftsbezogen anerkannt.[140]
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Seine Überwachungsaufgabe nimmt der Aufsichtsrat durch die Entgegennahme und Prüfung der Berichte des Vorstands (§ 90 AktG) sowie durch eigene Prüfungsmaßnahmen (§ 111 Abs. 2 S. 1 AktG) gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Sachverständigen (§ 111 Abs. 2 S. 2 AktG) wahr. Er kann gem. § 19 SEAG, § 111 Abs. 4 S. 2 AktG anordnen, dass bestimmte Arten von Geschäften nur nach seiner Zustimmung vom Vorstand vorgenommen werden dürfen. Generell gilt, dass die Intensität der gebotenen Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats von der jeweiligen Risikolage des Unternehmens abhängt (sog. abgestufte Überwachungspflicht).[141]
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Wenn der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Überwachung zu dem Ergebnis kommt, dass er einzuschreiten hat, stehen ihm verschiedene Eingriffsmöglichkeiten zur Wahl. Diese Eingriffsmittel sind abgestuft im Rahmen der Verhältnismäßigkeit einzusetzen. Die wesentlichen Eingriffsmittel sind: die Stellungnahme bzw. Gegenvorstellung zu Einzelmaßnahmen gegenüber dem Vorstand, eine formelle Beanstandung einer Geschäftsführungsmaßnahme gegenüber dem Vorstand, der Erlass, die Änderung oder Verschärfung der Geschäftsordnung für den Vorstand, gegebenenfalls verbunden mit einer Änderung der Ressortverteilung, die Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnis einzelner Vorstandsmitglieder, die Erweiterung von Zustimmungsvorbehalten nach § 111 Abs. 4 S. 2 AktG, die Aufnahme von Hinweisen im Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung, die Abberufung von Vorstandsmitgliedern, der Hinweis auf die Beanstandungen im Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung sowie die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung.[142]
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Die Aufzählung der Eingriffsmittel zeigt, dass der Aufsichtsrat im Rahmen der Geschäftsführung keine eigene Entscheidungskompetenz hat, sondern lediglich auf die Überwachung beschränkt ist. Es gibt jedoch Bereiche, in denen dem Aufsichtsrat durch das Gesetz eigene Entscheidungskompetenzen zugewiesen werden. Die wichtigste Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrats nach der Überwachungsaufgabe oder neben der Überwachungsaufgabe sind die Personalentscheidungen. Wie bereits bei der Behandlung des Vorstands dargestellt,[143] entscheidet der Aufsichtsrat gem. § 84 AktG über die Bestellung und Abberufung des Vorstands. Er entscheidet auch über Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern (§ 114 AktG). Auch über Kreditvergaben an Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder hat der Aufsichtsrat zu beschließen (§§ 89, 115 AktG). Im Bereich der Vorstandsorganisation hat der Aufsichtsrat das Recht, die Geschäftsordnung für den Vorstand zu erlassen (§ 77 Abs. 2 S. 1 AktG). Er kann Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands seiner vorherigen Zustimmung unterwerfen (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG). Im Zusammenhang mit der Erstellung des Jahresabschlusses erteilt der Aufsichtsrat dem Abschlussprüfer gem. § 111 Abs. 2 S. 3 AktG den Prüfungsauftrag. Den vom Vorstand erstellten Jahresabschluss hat der Aufsichtsrat zu prüfen und ihn dann gemeinsam mit dem Vorstand festzustellen (§§ 170, 172 AktG). Wenn er es für das Wohl der Gesellschaft für erforderlich hält, kann der Aufsichtsrat gem. § 111 Abs. 3 AktG die Hauptversammlung einberufen. Bei Kapitalmaßnahmen entscheidet er gemeinsam mit dem Vorstand über die Ausnutzung des genehmigten Kapitals (§§ 202 Abs. 3 S. 2, 204 Abs. 1 S. 2 AktG).
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Viele dieser originären Entscheidungszuständigkeiten des Aufsichtsrats hängen mit seinen Überwachungspflichten zusammen. Andere beruhen darauf, dass der Vorstand diese Aufgaben aufgrund von Interessenkonflikten nicht wahrnehmen kann und der Aufsichtsrat als notwendiges Organ der SE daher nach dem Willen des Gesetzgebers tätig werden soll.[144]
3.4.2 Wahrnehmung von Geschäftsführungsaufgaben
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Art. 40 Abs. 1 S. 2 SE-VO und § 111 Abs. 4 S. 1 AktG ordnen übereinstimmend an, dass Geschäftsführungsmaßnahmen nicht auf den Aufsichtsrat übertragen werden dürfen. Gemeint ist damit die Übertragung von Geschäftsführungsaufgaben auf den Aufsichtsrat als Plenum, der lediglich Überwachungs- und Kontrollfunktionen hat. Art. 39 Abs. 3 S. 2 SE-VO gestattet es, dass das Aufsichtsorgan eines seiner Mitglieder zur Wahrnehmung der Aufgaben eines Mitglieds des Leitungsorgans abstellen kann, wenn ein Leitungsorganposten nicht besetzt ist. Während des Abstellungszeitraums ruht die Mitgliedschaft im Aufsichtsorgan. Die SE-VO gestattet den Mitgliedstaaten eine zeitliche Begrenzung der Abstellung vorzusehen (Art. 39 Abs. 3 S. 4 und 5 SE-VO). Von der Ermächtigung der zeitlichen Begrenzung hat der deutsche Gesetzgeber in § 15 SEAG Gebrauch gemacht, indem er eine Jahresfrist vorgesehen hat. § 15 SEAG ist inhaltsgleich mit § 105 Abs. 2 AktG.
3.5.1 Aufsichtsratsvorsitzender und sein Stellvertreter
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Das Aufsichtsorgan wählt gem. Art. 42 S. 1 SE-VO aus seiner Mitte einen Vorsitzenden. Bei mitbestimmten SE darf der Vorsitzende nur ein von der Hauptversammlung der Aktionäre bestelltes Mitglied sein (Art. 42 S. 2 SE-VO).[145] Dies gilt aufgrund analoger Anwendung des Art. 42 S. SE-VO ebenfalls für dessen Stellvertreter.[146] Diese Einschränkung ergibt sich daraus, dass der Stellvertreter die Befugnisse des Vorsitzenden bei dessen Verhinderung erhält und somit auch über das Recht zum Stichentscheid nach Art. 50 Abs. 2 verfügt.[147] Diese Beschränkung stellt auch keine unzulässige Korrektur der Verordnung durch den nationalen Gesetzgeber dar,[148] da Regelungen über den Stellvertreter im Ermessen der Mitgliedstaaten liegen.[149] Weitergehende Vorgaben gibt die SE-VO nicht. Auch das SEAG enthält keine Regelungen, sodass über Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO § 107 AktG für das Aufsichtsorgan der SE zur Anwendung kommt.
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Der Aufsichtsrat muss gem. § 107 Abs. 1 S. 1 AktG einen Vorsitzenden und mindestens einen Stellvertreter aus seinen Reihen wählen. Diese Bestimmung ist zwingend. Die Satzung kann die Wahlbefugnis weder auf die Hauptversammlung verlagern noch einem Aktionär oder einer Aktiengattung das Recht einräumen, den Aufsichtsratsvorsitzenden zu bestimmen.[150] Bestimmungen,