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Wenn das Gesetz sie nicht ausdrücklich als Verwaltungsverträge bezeichnet (wie das u.a. bei Verträgen über öffentliche Bauarbeiten, bei Verträgen über die öffentliche Inanspruchnahme, öffentlichen Aufträgen, der Übertragung von services publics und Partnerschaftsverträgen der Fall ist), folgt die Unterscheidung von privatrechtlichen Verträgen und Verwaltungsverträgen subtilen Regeln, die zum Teil schlicht eine öffentlich-rechtliche „ambiance“ für maßgeblich erklären.
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„Ein Vertrag, der zwischen zwei juristischen Personen des öffentlichen Rechts abgeschlossen wird, hat grundsätzlich Verwaltungscharakter, so dass über Streitigkeiten über die Verletzung daraus resultierender Verpflichtungen die Verwaltungsgerichtsbarkeit entscheidet, sofern nicht in Anbetracht des Vertragsgegenstands zwischen den Vertragsparteien ausschließlich privatrechtliche Beziehungen entstanden sind.“[76] Auf dieser Grundlage wird bei einem „Zusammentreffen zweier öffentlich-rechtlicher Handlungen normalerweise“ der verwaltungsrechtliche Charakter des Vertrags vermutet. Dennoch ist auch der Vertragsinhalt nicht ohne Bedeutung. Wird ein Vertrag zwischen zwei Privaten abgeschlossen, ist die Vermutung seines privatrechtlichen Charakters widerlegt, wenn eine Vertragspartei „durch die Verwaltung“ zum Vertragsschluss bestimmt worden ist, mithin „auf Rechnung“ einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gehandelt hat.[77] Folglich ist ein Vertrag zwischen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und einem Privaten ein Verwaltungsvertrag, wenn er einer Regelung unterliegt, die vom Privatrecht abweicht. Er unterliegt einer solchen Regelung, wenn sein Vertragsinhalt es rechtfertigt. Das ist in zwei Konstellationen der Fall: Zunächst ist ein Vertrag Verwaltungsvertrag, wenn er „die Erfüllung eines service public“ überträgt.[78] Ferner liegt ein Verwaltungsvertrag vor, wenn das Vertragsverhältnis aufgrund der Vertragsbestimmungen oder der Vertragsbedingungen vom Privatrecht abweicht.[79] Das ist der Fall, wenn der Vertrag übermäßig viele Klauseln aus dem Privatrecht enthält, aber auch bei bestimmten Modalitäten, nach denen das Verhältnis zwischen den Vertragsparteien organisiert ist. Der Richter sucht also in den Verträgen nach Elementen, die erkennen lassen, dass sie dem öffentlichen Recht unterliegen, und begründet so ihre Autonomie.
bb) Umsetzung
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Nach dem privilège de préalable haben Verwaltungsakte auch ohne vorherige gerichtliche Überprüfung Tatbestandswirkung. Der Verwaltungsakt ist mithin zu befolgen und gilt als rechtmäßig, bis er von einem Richter aufgehoben oder von der Verwaltungsbehörde selbst ex nunc (abrogation) oder ex tunc (retrait) aufgehoben wird. Für den Adressaten bedeutet das zugleich, dass ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat. In einem besonderen Verfahren kann aber die Suspendierung des Verwaltungsakts beantragt werden.[80] Die vorläufige Vollstreckung des Verwaltungsakts (exécution par provision oder exécution provisionnelle) ist die Ausnahme. In der Regel erfolgt die Erfüllung einer Norm freiwillig. Nur teilweise ist die Vollstreckung zulässig. Verwaltungszwang bleibt damit zwar die Ausnahme, die Verwaltungsbehörde kann aber bei Nichtbefolgung des Verwaltungsakts eine Strafe verhängen, die als repressive Maßnahme den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK genügen muss. Ferner kann sie bei Gericht entsprechende Strafen beantragen. Der administré wird so durch eine drohende Verwaltungs- oder Kriminalstrafe dazu angehalten, sich der Verwaltungsentscheidung freiwillig zu fügen. Angesichts der damit verbundenen Gefahren für die Grundrechte hat die Verwaltungsbehörde hingegen grundsätzlich nicht das Recht, ihre Entscheidungen im Wege des Verwaltungszwangs zu vollstrecken: Sie „darf nicht selbst die öffentliche Gewalt in Bewegung setzen, um den Vollzug von Akten der öffentlichen Gewalt mit Zwangsmitteln sicherzustellen, und … muss sich an die ordentliche Gerichtsbarkeit wenden, die die Nichtbefolgung feststellt, das Vergehen bestraft und die Anwendung materieller Zwangsmittel erlaubt“.[81] Daher ist Verwaltungszwang nur in drei Fällen zulässig: wenn das Gesetz ihn ausdrücklich zulässt, in Dringlichkeitsfällen und wenn die Vollstreckung durch die Verwaltung die einzig mögliche Art der Vollstreckung ist. Verwaltungszwang bedarf einer vorangehenden Androhung und erfolgt auf Risiko der Verwaltung.
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Bei der Vollziehung von Verträgen hat die Verwaltungsbehörde ein Weisungs- und Kontrollrecht. Dieses beinhaltet die Befugnis, bei einer Vertragsverletzung durch den Vertragspartner eine Strafe zu verhängen. Zusätzlich darf sie aus Gründen des allgemeinen Interesses den Vertrag einseitig ändern und auflösen. Sicher: Weder das Prinzip der Unantastbarkeit noch das der Änderbarkeit ist gesetzlich verankert; überdies unterliegt die Ausübung der entsprechenden Befugnisse, die nicht im Ermessen der Verwaltung steht, Beschränkungen. So dürfen weder der Vertragsgegenstand noch Sinn und Zweck des Vertrags geändert werden. Auch führt jede Änderung zu einer Entschädigung. Dennoch steht die Befugnis zu einseitigem Handeln im Gegensatz zur Logik des Vertrags, nach der der Vertrag das Gesetz der Vertragsparteien ist (Art. 1134 Code civil).
b) Die Ausübung administrativer Gewalt
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Das Verwaltungsverfahren, also die Gesamtheit der Vorschriften, die den Erlass administrativer Akte regeln, ist in Frankreich traditionell nicht kodifiziert. Obwohl an diesem Punkt zwei wichtige Anliegen der Regierenden zusammentreffen – nämlich einerseits der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, der insbesondere in einer Verbesserung des Zugangs der Bürger zum Recht Ausdruck findet und in dessen Lichte Zugänglichkeit und Verständlichkeit des Gesetzes zu Zielen mit Verfassungsrang erhoben worden sind,[82] sowie andererseits die Modernisierung des Staates, in deren Mittelpunkt die Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Verwaltung und administrés steht –, hat es lange gedauert, bis die Kodifizierung des Verwaltungsverfahrens auf die Agenda gerückt ist, nur um dann schließlich doch ausdrücklich aufgegeben zu werden.[83] Dieses Schicksal der Kodifizierung des Verwaltungsverfahrens illustriert das konfliktbeladene Verhältnis zwischen Kodifikationsidee und französischem Verwaltungsrecht besonders deutlich. Mehr noch: Es zeigt; dass das Verwaltungsverfahren als Opfer der Aufwertung des Richters zum überlegenen Beschützer der Rechte der administrés gegenüber Verwaltungswillkür als eigener Untersuchungsgegenstand lange vernachlässigt worden ist.[84] So werden Verfahrensgarantien zum Schutz Privater wie etwa die Entscheidungsreife (maturité des décisions administratives) häufig unter dem negativen Begriff „procédure administrative non contentieuse“ zusammengefasst. Freilich bedeutet diese Vernachlässigung des Verwaltungsverfahrens nicht, dass es keine Regelungen gibt. So zielt die Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Verfahrensrechte, die auch im französischen Recht anerkannt sind, wenn sie in Art. 41 das „Recht auf eine gute Verwaltung“ proklamiert, das insbesondere das Recht, gehört zu werden, das Recht auf Zugang zu den Akten und die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen, umfasst.
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Auch wenn die Verfahrensregeln, die sich auf den gesamten Entscheidungsvorgang beziehen, um Qualität und Effektivität des Verwaltungshandelns zu gewährleisten, ein einheitliches Ziel verfolgen, nämlich