C.Verweisung auf Verwaltungsakte und andere konstitutive Einzelanordnungen37 – 55
I.Erscheinungsformen und Gesetzlichkeitsprinzip37 – 41
II.Umfang der Akzessorietät, Bedeutung von Vollziehbarkeit und Rechtmäßigkeit42 – 49
1.Belastende Einzelakte42 – 45
2.Begünstigende Einzelakte46 – 49
III.Verweisung auf Einzelakte und intertemporales Strafanwendungsrecht50 – 52
IV.Verweisung auf Einzelakte und Irrtumsproblematik53 – 55
D.Rechtsnormative Tatbestandsmerkmale56 – 64
I.Erscheinungsformen und Gesetzlichkeitsprinzip56 – 58
II.Rechtsnormative Tatbestandsmerkmale und intertemporales Strafanwendungsrecht59 – 61
III.Rechtsnormative Tatbestandsmerkmale und Irrtumsproblematik62 – 64
1. Abschnitt: Das Strafrecht im Gefüge der Gesamtrechtsordnung › § 4 Anknüpfung des Strafrechts an außerstrafrechtliche Normen › A. Einleitung und Vorfragen
A. Einleitung und Vorfragen
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Die Strafbarkeit bestimmter Verhaltensweisen hängt nicht immer ausschließlich von den einschlägigen Strafnormen ab. Auch außerstrafrechtliche Regelungen und Rechtsverhältnisse sind in vielfältiger Weise an der Konstituierung von Strafbarkeiten beteiligt, seien sie zivil-, öffentlich- oder europarechtlicher Natur. Dieses Phänomen tritt nicht nur im Wirtschafts-, Umwelt- und Steuerstrafrecht (etwa §§ 264 ff., 266, 266a, 283 ff., 324 ff. StGB, § 15a InsO und § 370 AO) oder im sonstigen Nebenstrafrecht (etwa §§ 95 ff. AufenthG; §§ 29 ff. BtMG und § 21 StVG) auf, sondern auch im Kernstrafrecht: Man denke nur an den Diebstahl gem. § 242 StGB, wo die Fremdheit der Sache und die Rechtswidrigkeit der Zueignung nach dem Bürgerlichen Recht zu bestimmen ist[1].
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Die Einbeziehung anderer Rechtsgebiete führt prozessual nicht dazu, dass Strafgerichte an die Entscheidungen anderer Fachgerichte gebunden sind. Hängt die Strafbarkeit einer Handlung von einem außerstrafrechtlichen Rechtsverhältnis ab, so entscheidet das Strafgericht gem. § 262 Abs. 1 StPO vielmehr auch über dieses nach den für das Verfahren und den Beweis in Strafsachen geltenden Vorschriften. Die Beibringungsmaxime im Zivilprozess, dortige Beweislastregeln und Beweisvermutungen können im Straf- und Bußgeldverfahren, wo insbesondere der Grundsatz in dubio pro reo gilt, keine Bedeutung erlangen[2]. Ausnahmen kommen nur dann in Betracht, wenn der Tatbestand es auf den Schutz des geordneten Verfahrens und dessen Gestaltungswirkung anlegt, etwa beim strafbewehrten Verwaltungsakt. Keine Bindungswirkung besteht wiederum für die von anderen Fachgerichten vertretenen Rechtsansichten[3]. Dennoch sind Abweichungen rechtspolitisch mit Blick auf Einheit der Rechtsordnung natürlich nicht erstrebenswert und können theoretisch zu einer Vorlagepflicht nach §§ 121 Abs. 2, 132 Abs. 2 GVG zu den Vereinigten Großen Senaten führen.
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Materiell hängen die Probleme mit dem strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzip (allgemein dazu → AT Bd. 1: Stefanie Schmahl, Verfassungsrechtliche Vorgaben für das Strafrecht, § 2 Rn. 48 ff.) zusammen, dessen strikte Geltung unterlaufen zu werden droht, wenn Strafbarkeiten durch außerstrafrechtliche Regelungen faktisch mitbegründet werden. Insoweit geht es um die Frage der Anwendbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG, sei es in Ausprägung des Bestimmtheitsgebots, wie es sich an den Gesetzgeber richtet, oder des Analogieverbots, wie es für die Gesetzesauslegung im Strafrecht gilt. Um weitere Facetten angereichert wird das Thema durch die Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen, sei es auf einen nationalen Verordnungsgeber oder die Europäische Union. Ferner stellt sich die Frage der Zulässigkeit einer Bezugnahme auf ausländisches Recht und privat gesetzte Normen. Die Anknüpfung an außerstrafrechtliche Vorschriften führt ferner in Bezug auf das intertemporale Strafanwendungsrecht (allgemein zum zeitlichen Geltungsbereich von Strafvorschriften § 28) zu Besonderheiten, namentlich hinsichtlich der Rückwirkungsproblematik des § 2 Abs. 3 und 4 StGB. Gerade im Nebenstrafrecht, das heute wohl „aus annähernd 1000 Gesetzen“[4] besteht und wo einzelne Sachmaterien manchmal gleich auf zwei oder drei Normenwerke verteilt sind, kann der Bürger darüber hinaus natürlich auch einmal den Überblick verlieren und sich über das Verbotensein seines Tuns irren. Besonders hohe Praxisrelevanz hat deshalb die Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum (allgemein zur Irrtumslehre → AT Bd. 2: Tonio Walter, Irrtümer auf Tatbestandsebene, § 46), die im hiesigen Kontext mitunter als das „am wenigsten gelöste Problem der gesamten Irrtumslehre“ bezeichnet wird[5], andere bescheinigen dem Streitstand eine „konfuse Lage“[6]. Selbst der Gesetzgeber ist vor Fehlleistungen nicht gefeit und hat sich bereits das ein oder andere Mal im „Vorschriftengestrüpp“ verfangen[7].
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Bei all den genannten Fragestellungen spielt es nach zutreffender Auffassung eine entscheidende Rolle, ob das jeweilige Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes, welches die Verknüpfung zu einem anderen Rechtsgebiet herstellt, als Blankettverweisung (Rn. 6 ff.) oder rechtsnormatives Tatbestandsmerkmal (Rn. 56 ff.) anzusehen ist. Die Erkenntnis, dass die Einordnung in eine der genannten Kategorien auf verschiedenen Ebenen jeweils ganz bestimmte Folgen hat, erleichtert in Zweifelsfällen die Ermittlung des gesetzgeberischen Willens, von welcher Verweisungsform er Gebrauch machen wollte. Dabei ist allerdings zu beachten, dass einzelne Straftatbestände sowohl Blankettmerkmale als auch rechtsnormative Tatbestandsmerkmale enthalten können, Ausfüllungsnormen manchmal sogar ihrerseits als Blankette von weiteren Vorschriften ausgefüllt werden oder auf normative Tatsachen Bezug nehmen[8]. Für zumindest begriffliche Unklarheiten sorgt, dass bei Tatbeständen, die auf Verwaltungsakte (Rn. 37 ff.) oder andere konstitutive Einzelanordnungen (z.B. Berufsverbot gem. § 70 StPO oder § 132a StPO) verweisen, oft ebenfalls von „Blanketten“ die Rede ist[9], wenngleich insofern große Unterschiede zur erstgenannten Verweisungsform bestehen[10].
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