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Wurde dagegen eine Anlage erlaubt, allerdings unter Missachtung der maßgeblichen Vorschriften, macht sich der Unternehmer nicht wegen § 327 StGB strafbar, wenn er die genehmigte Anlage in Kenntnis der Rechtswidrigkeit weiterbetreibt. Gewiss ist immer zu prüfen, ob genau diese Art der Anlage und des Betriebs wirklich Gegenstand der erteilten Genehmigung war; Schwierigkeiten bereitet insoweit die Abgrenzung von Inhaltsbestimmungen und Auflagen. Fehler machen den begünstigenden Verwaltungsakt aber nur anfechtbar bzw. rücknehmbar; Nichtigkeit nach § 44 VwVfG kommt auch hier nur in Ausnahmefällen in Betracht. Eine Rücknahme von Amts wegen wäre zudem nicht zwingend und nur unter den Voraussetzungen des § 48 VwVfG möglich. Diese Regelungen würde man aushebeln, wenn sich der Adressat im verwaltungsaktsakzessorischen Strafrecht schon vorher nicht mehr auf rechtswidrige Genehmigungen berufen könnte. Einer etwaigen Strafbarkeit des Betreibers z.B. wegen §§ 223, 229 StGB steht der Genehmigungsakt allerdings nicht entgegen, jedenfalls dann, wenn Dritte offensichtlich nicht mehr sozialadäquate Verletzungen ihrer Individualrechtsgüter hinzunehmen haben. Nach Entzug der Genehmigung kann der Weiterbetrieb freilich auch nach § 327 StGB geahndet werden; insoweit ist auf die Vollzugsfähigkeit der Entziehungsentscheidung abzustellen (vgl. Rn. 42).
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Probleme bereiten auch behördliche Duldungen, die gesetzlich nur ansatzweise geregelt sind. Sie haben grundsätzlich keine Legalisierungswirkung und schließen die Strafbarkeit nicht aus[150]. Ausnahmen sind nur dann zu machen, wenn es nicht um bloß informelles Verwaltungshandeln geht und der maßgebliche Tatbestand etwas anderes vorsieht[151]. So ist der Aufenthalt von vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern, deren Abschiebung vorübergehend ausgesetzt wurde, nicht nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthaltsG strafbar (lit. c), obwohl gem. § 60a Abs. 3 AufenthaltsG ihre Ausreisepflicht von der Aussetzung nicht berührt wird.
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Lange Zeit war umstritten, wie es sich mit missbräuchlich erlangten, aber im Tatzeitpunkt noch nicht zurückgenommenen Genehmigungen verhält. Zum Teil wurde insoweit eine Parallele zur Unterscheidung zwischen Einverständnis und Einwilligung gezogen, so dass bei sog. präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt Willensmängel der Behörde als nicht beachtlich anzusehen seien, bei repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt hingegen schon[152]. Eine den Anforderungen des Strafrechts genügende, trennscharfe Beurteilung ist so jedoch kaum durchführbar. Die Entscheidung, in welche Kategorie einzelne genehmigungspflichtige Tätigkeiten, wie die Rechtsberatung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 RDG), das Betreiben einer Bank (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG) oder die Kampfhundehaltung (z.B. Art. 37 Abs. 5 LStVG-Bayern) fallen, erscheint doch mehr oder minder beliebig (dazu auch Rn. 55)[153]. Deshalb ist auch im Strafrecht grundsätzlich allein auf die Wirksamkeit des Verwaltungsakts abzustellen. Zahlreiche Tatbestände enthalten heute allerdings ausdrückliche Missbrauchsklauseln, durch die die strafrechtliche Betrachtung ausdrücklich von der verwaltungsrechtlichen Rechtslage entkoppelt wird, namentlich § 330d Nr. 5 StGB, § 18 Abs. 9 AWG oder § 95 Abs. 6 AufenthaltsG. Demnach steht einem Handeln ohne Genehmigung einem Handeln aufgrund einer durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Genehmigung gleich. Dies ist natürlich zu beachten und gilt wiederum unabhängig von der Kategorisierung der Genehmigungspflicht.
III. Verweisung auf Einzelakte und intertemporales Strafanwendungsrecht
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Unstreitiger Ausgangspunkt für die Beurteilung der Strafbarkeit ist auch hier der zur Tatzeit geltende Rechtszustand. Die nachträgliche Aufhebung oder Außervollzugsetzung eines strafbarkeitsbegründenden justiziellen oder behördlichen Einzelakts, sei es nach den §§ 111a Abs. 2, 132a Abs. 2, 306 Abs. 2, 307 Abs. 2, 309 Abs. 2, 373 StPO, den §§ 48, 49, 51 VwVfG oder den §§ 72, 73, 80 Abs. 5, 113 Abs. 1 VwGO, führt allerdings zu keiner entsprechenden Anwendung des Milderungsgebots gem. § 2 Abs. 3 StGB (bzw. § 4 Abs. 3 OWiG); vgl. dagegen oben Rn. 30. Dies gilt unabhängig von einer etwaigen Rückwirkungsfunktion der Aufhebungsentscheidung, also davon, ob sie ex tunc– oder ex nunc-Wirkung entfaltet[154]. Schon strafprozessual hätte man sonst die Schwierigkeit, dass die Verurteilung von der Zufälligkeit abhinge, ob die Aufhebung vor oder erst nach Rechtskraft des Strafurteils erfolgt. Vor allem jedoch sind es eben auch der Verwaltungsgehorsam als solcher und die Pflicht zur Einhaltung geordneter Verfahren, die hier dem strafrechtlichen Schutz unterliegen (oben Rn. 45). Ebenso unanwendbar ist § 2 Abs. 3 StGB bei nachträglicher tätergünstiger Änderung der Ermächtigungsgrundlage, die dem Einzelakt zugrundliegt. Dies erscheint zwingend, wenn man mit der h.M. davon ausgeht, dass der Hoheitsakt nicht einmal mit der materiellen Rechtslage übereinstimmen muss, die zum Zeitpunkt des Erlasses gilt (oben Rn. 43)[155]. Ein unanfechtbarer Einzelakt hat zudem gerade den Sinn, die bestehende Rechtslage (abgesehen von einigen Durchbrechungen wie §§ 49 Abs. 1, 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) festzuschreiben[156].
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Zur Anwendung käme § 2 Abs. 3 StGB allerdings dann, wenn die gesetzgeberische Grundentscheidung über die Vollziehbarkeit und Dringlichkeit bestimmter Einzelentscheidungen geändert würde, etwa bei Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses und Einführung eines allgemeinen Suspensiveffektes bei § 307 StPO oder bei Abschaffung von § 80 Abs. 2 VwGO. Bei Abschaffung gesetzlicher Folgepflichten kann nichts anderes gelten, als wenn der Gesetzgeber die Strafbarkeit ganz wegfallen ließe.
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Bei Genehmigungen und anderen Hoheitsakten, die die Strafbarkeit ausschließen, kommen die eben aufgestellten Regeln entsprechend zur Anwendung. Die spätere Aufhebung einer Genehmigung wirkt zweifellos nicht strafbarkeitsbegründend; denn unter strafrechtlichen Aspekten muss zum Zeitpunkt des Täterhandelns klargestellt sein, ob das Handeln rechtmäßig oder unrechtmäßig ist[157]. Umgekehrt kann ein Fahren ohne Fahrerlaubnis gem. § 21 StVG nach (Wieder‑)Erlangung derselben selbstverständlich weiter bestraft werden. Dies gilt grundsätzlich für alle Tatbestände, die ein Handeln ohne Genehmigung im weiteren Sinne unter Strafe stellen, solange die Genehmigungspflichtigkeit als solche nicht durch Gesetzesänderung weggefallen ist. Wenn nämlich selbst die Genehmigungsfähigkeit keine Rolle spielen darf, weil es dem Gesetzgeber um die Einhaltung eines formellen Verfahrens mit seiner Kontroll-, aber auch Informationsfunktion geht (vgl. bereits Rn. 46), darf auch eine tatsächliche Nachholung nicht zum Strafausschluss führen[158]. Ausnahmen bei der Strafbarkeit sind lediglich dann zu machen, wenn der jeweils maßgebliche Tatbestand, wie etwa §§ 331 Abs. 3, 333 Abs. 3 StGB[159], ausdrücklich etwas anderes vorschreibt. Freilich wird die nachträgliche, insbesondere die gerichtlich erstrittene Genehmigung auch sonst für eine großzügigere Anwendung der §§ 153 ff. StPO bzw. des § 47 OWiG sprechen.
IV. Verweisung auf Einzelakte und Irrtumsproblematik
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Auch die Behandlung von Irrtumsfragen weist