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Nach dem weitesten Verständnis des Verletztenbegriffs in § 172 StPO ist derjenige klageerzwingungsbefugt, der durch die Tat, ihre Begehung unterstellt, eine Beeinträchtigung seiner Rechtssphäre erfahren hat.[1] Dabei soll es keinen Unterschied machen, ob dieses betroffene Recht ein strafrechtliches, zivilrechtliches oder öffentlich-rechtliches ist. Es komme allein darauf an, dass es von der Rechtsordnung anerkannt ist, es sich also beispielsweise nicht bloß um Gefühle oder sonstige Befindlichkeiten handelt.[2] Diese Auffassung, die bereits früh Widerspruch erfuhr,[3] wird heute, soweit ersichtlich, nicht mehr vertreten. Grund dafür ist wohl, dass eine solche Definition den Verletztenbegriff konturlos werden ließe. Denn sie hätte zur Folge, dass auch die entferntesten Folgen einer Straftat, durch die ein beliebiges rechtlich geschütztes Interesse beeinträchtigt wird, die Verletzteneigenschaft begründen könnten.[4]
Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO › II. Berechtigtes Vergeltungs- oder Genugtuungsinteresse
II. Berechtigtes Vergeltungs- oder Genugtuungsinteresse
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Die weiteste, heute noch vertretene Definition des Verletzten i.S.d. § 172 StPO geht auf Eb. Schmidt zurück. Ihr zufolge ist antragsberechtigt, wer „durch die behauptete strafbare Handlung in seinen berechtigten Interessen so beeinträchtigt ist, dass sein Verlangen nach Strafverfolgung einem als berechtigt anzuerkennenden Vergeltungsbedürfnis entspringt“.[5] Die Existenz eines berechtigten Vergeltungsbedürfnisses soll dabei normativ bestimmt werden. Es komme darauf an, ob „vom Standpunkte vernünftiger Lebenserfahrung aus mit einem nicht nur begreiflichen, sondern auch rechtsethisch durchaus zu billigenden Vergeltungsbedürfnis zu rechnen ist, dass er [der von der Tat Betroffene] die Nichtdurchführung des Verfahrens als eine Beeinträchtigung dessen empfinden darf, was er als Staatsbürger von einer gehörigen Erfüllung der Justizgewährungspflicht erwarten darf“.[6] Die Verletzteneigenschaft bejaht Eb. Schmidt etwa bei Familienangehörigen, die, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad, mit dem Opfer eines Tötungsdelikts in enger Lebensgemeinschaft gestanden haben.[7] Gleiches gelte auch für die Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft, wenn das Gesellschaftsvermögen durch eine Straftat geschädigt wurde.[8] Eine Begründung dafür, warum in diesen Fällen bei den Betroffenen ein „rechtsethisch zu billigendes Vergeltungsbedürfnis“ entstehe, dagegen aber etwa bei den Mitgliedern einer durch Beschimpfung beeinträchtigten Religionsgemeinschaft etwas anderes gelte,[9] gibt Eb. Schmidt allerdings nicht. Seine Definition lässt dementsprechend erheblichen Raum für Wertungen. Auch dies mag ein Grund dafür sein, dass sie gelegentlich in der Rechtsprechung – zum Teil zur Begründung von Ergebnissen, die denjenigen Eb. Schmidts widersprechen – verwendet wurde.[10] Auch einige Stimmen in der Literatur griffen die oben genannte Definition auf.[11]
Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO › III. Straftatbestandlicher Schutzzweck
III. Straftatbestandlicher Schutzzweck
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Nach einer engeren, früher in der Literatur vertretenen Auffassung ist verletzt i.S.d. § 172 StPO ausschließlich derjenige, der durch die behauptete Tat in einem Rechtsgut betroffen ist, das von dem möglicherweise erfüllten Straftatbestand zumindest mit geschützt wird.[12] Die Vertreter dieser Ansicht bestimmten den Schutzbereich der Strafnormen dabei jedoch nicht durchgehend in Übereinstimmung mit dem materiellen Strafrecht, sondern modifizierten ihn in Bezug auf § 172 StPO und fassten ihn tendenziell weiter. Dies offenbarte sich beispielsweise bei den Aussagedelikten (§§ 153 ff. StGB). Diese dienten auch nach damals herrschender Auffassung allein dazu, die Zuverlässigkeit der prozessualen Tatsachenermittlungen, ein Rechtsgut der Allgemeinheit, zu schützen.[13] Ohne diesen Schutzbereich nach dem materiellen Recht in Zweifel zu ziehen, gingen die Vertreter dieser Auffassung im Rahmen des § 172 StPO jedoch davon aus, dass auch diejenige Prozesspartei, deren Verfahrenslage infolge der Falschaussage verschlechtert wurde, vom tatbestandlichen Schutzzweck erfasst werde und daher zur Klageerzwingung berechtigt sei.[14] Entsprechendes sollte etwa für die Tatbestände der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) und der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) gelten.[15]
Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO › IV. Straftatbestandlicher Schutzzweck sowie Wertungen des Strafprozessrechts
IV. Straftatbestandlicher Schutzzweck sowie Wertungen des Strafprozessrechts
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Eine etwas weitergehende Auffassung im Schrifttum sucht den Ausgangspunkt für die Auslegung des Verletztenbegriffs ebenfalls in dem, wiederum weit zu bestimmenden, Schutzzweck des möglicherweise erfüllten Tatbestands. Darüber hinaus sollen aber auch Wertungen des Strafprozessrechts die Verletzteneigenschaft einer Person begründen. Letzteres komme immer dann in Betracht, wenn das Gesetz einem von der möglicherweise begangenen Tat Betroffenen bestimmte Mitwirkungsrechte am Strafprozess zugesteht, die Ausdruck einer spezifischen Nähebeziehung zur Tat seien und damit dessen Verhältnis zur Tat prozessrechtlich besonders anerkannt werde.[16] Dies sei etwa bei den in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannten Personen der Fall. Nach dieser Vorschrift sind die Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten bzw. Lebenspartner eines durch eine Straftat Getöteten die berechtigt, sich dem Strafverfahren als Nebenkläger anzuschließen. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung wird die Wertung entnommen, dass im Falle eines vollendeten Tötungsdelikts der beschriebene Personenkreis in einer gesetzlich privilegierten Nähebeziehung zur Tat stehe, welche auch im Klageerzwingungsverfahren Beachtung finden müsse. In Fällen vollendeter Tötungsdelikte seien daher die in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO Genannten durch die Tat verletzt i.S.d. § 172 StPO.[17] Deren Einbeziehung in den Kreis der Antragsberechtigten vermeide zugleich eine als unbefriedigend empfundene Folge einer strengen Orientierung am tatbestandlichen Schutzzweck, die darin liegt, dass mangels eines noch lebenden Verletzten ein Klageerzwingungsverfahren ausgeschlossen wäre. Darüber hinaus wird eine rechtlich anerkannte Nähebeziehung zur Tat zum Teil auch dann angenommen, wenn der Betroffene strafantragsberechtigt ist.[18] Diese Fallgruppe habe jedoch nur geringe praktische Bedeutung, da in der Regel der Verletzte i.S.d. § 77 StGB bereits dem Schutzbereich des erfüllten Tatbestands unterfalle und ihm schon aus diesem Grunde die Befugnis zur Klageerzwingung zukomme.[19] Zudem seien viele Antragsdelikte zugleich mit der Privatklage verfolgbar und somit nach § 172 Abs. 2 S. 3 StPO dem sachlichen Anwendungsbereich des Klageerzwingungsverfahrens entzogen.[20]
Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO › V. Unmittelbare Beeinträchtigung in einem Recht
V. Unmittelbare Beeinträchtigung in einem Recht
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Die h.M. geht schließlich davon aus, dass Verletzter i.S.d. Klageerzwingungsrechts derjenige ist, der durch die Tat, ihre Begehung unterstellt, in seinen Rechten, Rechtsgütern oder rechtlich anerkannten Interessen unmittelbar beeinträchtigt wurde.[21] Rechtlich anerkannt sei ein Interesse, wenn es in irgendeiner Weise von der Rechtsordnung als schutzwürdig bewertet werde.[22] Das Kriterium der Unmittelbarkeit wirkt demgegenüber eingrenzend. Allerdings lässt die Rechtsprechung bei dessen näherer Bestimmung keine einheitliche Linie erkennen. Teilweise wird der Begriff der Unmittelbarkeit gar nicht näher erläutert, teilweise