F. Rechtsquellen des IPR und ihre Rangfolge
1. Teil Einführung und Überblick › A. Prüfungsrelevanz
A. Prüfungsrelevanz
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Viele Examenskandidaten[1] neigen dazu, auf dem Feld des Internationalen Privatrechts (IPR) auf „Lücke zu setzen“, obwohl dieses Rechtsgebiet für die meisten Studierenden zum Pflichtstoff gehört. Dieses Risiko sollten Sie nicht eingehen, da ein solches Vorgehen zu Verunsicherung führen kann und immer häufiger schief geht, denn das IPR erfreut sich aufgrund der fortschreitenden Internationalisierung des Rechts zunehmender Beliebtheit bei den Prüfungsämtern.[2]
Deshalb spart eine am Aufwand-Nutzen-Verhältnis orientierte Examensvorbereitung das IPR nicht vollständig aus, sondern beschränkt sich auf einen Überblick der prüfungsrelevanten[3] Grundlagen.[4] Um diesen in knapper Form[5] liefern zu können, haben wir die hohe Komplexität des Stoffes stark reduziert.
Gerade im IPR, das zu den komplexesten Rechtsgebieten überhaupt zählt,[6] sind Grundkenntnisse, eine gewisse Übersicht und ein geschulter Umgang mit dem Gesetz für das Examen völlig ausreichend.[7] Diesem Umstand Rechnung tragend, werden die folgenden Ausführungen dem Examenskandidaten ebenso wie ausländischen Studierenden, die häufig mit dem IPR befasst sind, das nötige Grundlagenwissen vermitteln; den Studierenden im Schwerpunktbereich IPR mögen sie den Einstieg in das Rechtsgebiet erleichtern und zur Vertiefung anregen, wozu nicht zuletzt die zahlreichen Verweise in den Fußnoten dienen.
Hinweis
Herr Professor Dr. Stephan Lorenz von der LMU München stellt seine exzellenten Vorlesungen als Podcast unter http://lorenz.userweb.mwn.de/podcastallg.htm kostenlos zur Verfügung. Schwerpunktstudierenden sei die Vorlesung zum IPR wärmstens empfohlen! Außerdem können Sie unter http://lorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/index.htm leicht Zugriff auf aktuelle und zentrale Rechtsprechung zum IPR/IZPR nehmen. Eine IPR-Vorlesung von Herrn Privatdozent Dr. Martin Fries können Sie direkt über youtube beziehen: https://www.youtube.com/playlist?list=PLtTfF9gcZMIHot8zNHxWvIxqy6fD11UBt
Anmerkungen
Soweit hier und im Folgenden allein die männliche Form verwendet wird, dient das allein der besseren Lesbarkeit; die weibliche Form soll damit selbstverständlich inbegriffen sein.
Vgl. Staudinger/Steinrötter JA 2011, 241; allgemein zur Bedeutung der Internationalisierung des Rechts für die juristische Ausbildung Voßkuhle JuS 2011 Heft 1 S. III sowie § 5a Abs. 2 S. 2 DRiG.
Abschnitte zu versteckten Kollisionsnormen, Substitution, Erst- und Teilfragen (dazu etwa Rauscher Rn. 495 ff.) etc. gehören in der IPR-Studienliteratur zum Standard, sind jedoch eher selten Gegenstand von Klausuren und können zumindest im Examen kaum erwartet werden. Auf sie und viele weitere Aspekte mit geringer Prüfungsrelevanz wird bewusst nicht eingegangen, um den Lernaufwand überschaubar zu halten.
Vgl. auch Kadner Graziano AD LEGENDUM 2013, 136, 143: „Auch die meisten Juristen müssen in ihrem Berufsleben heute mit Fällen mit Auslandsberührung rechnen. Angesichts der praktischen Bedeutung des IPR sind Studierende heute daher gut beraten, sich zumindest mit den Grundlagen vertraut zu machen […]“.
Noch deutlich knapper Weller/Hategan JuS 2016, 969 ff. und 1063 ff. Dieser lesenswerte „Examens-Crashkurs“ spart u.a. das Internationale Erb- und Scheidungsrecht vollständig aus und erscheint deshalb für die Examensvorbereitung zu knapp.
Vgl. nur Weller RabelZ 81 (2017), 747, 748.
Vgl. Zimmermann IPRax 2017, 209: „Bei der Berücksichtigung des Internationalen Privatrecht im zivilrechtlichen Pflichtenkanon geht es nicht um eine Anhäufung von kollisionsrechtlichem Spezialwissen. Es geht um die Vermittlung methodischer Grundfertigkeiten im Umgang mit grenzüberschreitenden Fällen.“
1. Teil Einführung und Überblick › B. Begriff, Bedeutung und Gegenstand des IPR
B. Begriff, Bedeutung und Gegenstand des IPR
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„Es gilt das Grundgesetz, und nicht die Scharia“, behauptete Bundeskanzlerin Angela Merkel am 6.10.2010.[1] Tatsächlich müssen auch deutsche Gerichte ihre Urteile mitunter auf der Grundlage ausländischer Gesetze wie der Scharia fällen.[2] Wann dies der Fall ist, darüber entscheidet das IPR.
Der Begriff IPR ist irreführend. Auch wenn das IPR mehr und mehr durch Staatsverträge und Europarecht geregelt wird, handelt es sich zumindest traditionell um nationales Recht.[3] Das bringt die Legaldefinition des IPR in Art. 3 EGBGB am Ende zum Ausdruck, wonach sich das anzuwendende Recht bei Sachverhalten mit einem ausländischen Staat nach den Vorschriften „dieses Kapitels“ (= Art. 3 bis Art. 46 EGBGB) bestimmt, sofern nicht vorrangiges Europa- oder Völkerrecht anzuwenden sind. Seinen internationalen Charakter erhält das (nationale) IPR dadurch, dass es nur bei Sachverhalten mit Auslandsbezug Anwendung findet.
Beispiel
Wenn ein deutsches Gericht mit der Frage befasst ist, ob dem Scheidungsantrag der Inländerin F, die seit sechs Monaten von ihrem deutschen Ehemann E getrennt lebt, zu entsprechen ist, wird es die Antwort nach deutschem Recht (hier: §§ 1565, 1566 BGB) ermitteln. Mangels Berührungspunkten zu ausländischen Rechtsordnungen spielt das IPR keine Rolle
Im Zeitalter der Globalisierung sind grenzüberschreitende Sachverhalte häufiger geworden. Internet, Migration, Import und Export von Waren, weltweites Reisen, kurz: die Internationalisierung der Lebensverhältnisse führt zu einem steten Bedeutungszuwachs des IPR – in der Ausbildung wie in der gerichtlichen Praxis.[4]
Hinweis
Der massive Zuzug von Flüchtlingen ab September 2015 hat in der Praxis zu einem sprunghaften Anstieg von Fällen mit Auslandsbezug