Ziel des Erkenntnisverfahrens ist die Erlangung eines vollstreckbaren Titels gegen die beklagte Partei. Das anschließende Vollstreckungsverfahren dient der zwangsweisen Durchsetzung eines Titels durch staatliche Vollstreckungsorgane. Aufgrund der Dauer eines Zivilprozesses stellt die ZPO für besonders dringliche Fälle zusätzlich das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Verfügung (§§ 916 ff. ZPO). Hier kommt der Anspruchsberechtigte quasi über Nacht zu einem Titel, der im Regelfall aber die bloße Sicherung des Anspruchs gewährt. Arrest und einstweilige Verfügung sind die Formen des einstweiligen Rechtsschutzes.
Detailkenntnisse über den Zivilprozess sind für das erste juristische Staatsexamen fehl am Platz, da es keine „reinen ZPO-Klausuren“ gibt. Jedoch werden in sämtlichen Prüfungsordnungen der sechzehn Bundesländer den Studierenden Grundkenntnisse des Zivilprozessrechts abverlangt. Diese werden meist als Zusatzfragen zum materiellen Recht gestellt. Spezialkenntnisse werden erst dann erforderlich, wenn es in Richtung „Berufstätigkeit“, sei es als Referendar/Referendarin, Richter/Richterin, Anwalt/Anwältin oder Justiziar/Justiziarin, geht. Hier ist eine vertiefte Beschäftigung mit der Materie des Prozessrechts unerlässlich.
Anmerkungen
Näher Zöller/Vollkommer ZPO Einl. Rn. 48.
Eine Übersicht gibt Adolphsen Zivilprozessrecht § 2 Rn. 33 ff.
Grunsky/Jacoby Zivilprozessrecht Rn. 858.
1. Teil Einführung in das Zivilprozessrecht › B. Ausgangsfall
B. Ausgangsfall[1]
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Zivilprozessrecht ist alles andere als „graue Theorie“. Denn jeder Zivilprozess setzt einen „echten Streit“ zwischen zwei Personen, also einen Fall aus dem Zivilrecht, voraus. Dementsprechend wird in diesem Lehrbuch ein Ausgangsfall aus dem Kaufrecht zugrunde gelegt. Anhand dieses realen Ausgangsfalls werden die Schritte und Abfolgen eines Zivilprozesses erläutert und mögliche Varianten und Fallstricke für die beteiligten Personen aufgezeigt. Soweit es zum besseren Verständnis für einzelne Themenbereiche erforderlich ist, wird der Ausgangsfall in den jeweiligen Kapiteln in kleinere Varianten zerlegt.
1. Teil Einführung in das Zivilprozessrecht › B. Ausgangsfall › I. Sachverhalt
I. Sachverhalt
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Ausgangsfall
Mona (M) studiert im fünften Semester Rechtswissenschaft in Köln. Seit Bestehen der Zwischenprüfung ist sie – aufgrund einer großzügigen Schenkung ihrer Eltern – Eigentümerin einer 2-Zimmer-Wohnung im Stadtteil Sürth, die sie zusammen mit ihrem Freund Thomas, einem Betriebswirtschaftsstudenten, bewohnt. Nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in Pisa als Erasmusstudentin beschließt Mona, ihr altes Bad zu renovieren. Bei der „VORORT Fliesen GmbH“ (V-GmbH) im Kölner Süden findet sie italienische Markenfliesen zu günstigen Preisen. Am 2.1.2017 kauft Mona 30 polierte Bodenfliesen zum Gesamtpreis von 600 €, die ihr Fliesenleger Felix Fromm (F) nach mehrfacher Erinnerung für 400 € fachgerecht verlegt. Kurze Zeit später zeigen sich auf den Fliesen hässliche Verfärbungen. Der Geschäftsführer der V-GmbH, Gerald Grün (G), streitet nach Rücksprache mit dem Hersteller jegliche Verantwortung ab. Mona beauftragt daraufhin den Sachverständigen Simon Sand (S). Dieser stellt fest, dass die Fliesen falsch poliert wurden und Abhilfe nur durch einen kompletten Austausch möglich sei. Die Kosten hierfür beziffert der Sachverständige auf insgesamt 2400 € (= 2000 € Ausbau- und Entsorgungskosten der alten Fliesen, 400 € Einbaukosten für die neuen Fliesen). Für seine Expertise stellt der Sachverständige Mona zudem 200 € in Rechnung. Auch nach Vorlage des Sachverständigengutachtens verweigert die V-GmbH mit Schreiben vom 14.2.2017 die Lieferung 30 neuer Bodenfliesen und die Übernahme der Kosten des Austausches von 2400 €. Die Firma argumentiert, dass sie lediglich Händlerin sei und für das Verschulden des italienischen Herstellers nicht einstehen müsse. Schließlich seien die Nacherfüllungskosten in Höhe von insgesamt 3000 € (Austauschkosten 2400 € einschließlich neuer Fliesen für 600 €) angesichts des vereinnahmten Kaufpreises von 600 € absolut unverhältnismäßig.
1. Teil Einführung in das Zivilprozessrecht › B. Ausgangsfall › II. Materielle Rechtslage – Erfolgsaussichten einer Klage?
II. Materielle Rechtslage – Erfolgsaussichten einer Klage?
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Versuchen Sie zunächst selbst, diesen Gewährleistungsfall zu lösen. Nutzen Sie die Gelegenheit und machen Sie sich mit den neuen Vorschriften im kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht vertraut, die ab 1.1.2018 gelten.
Als Studierende der Rechtswissenschaft wird Mona zunächst die materielle Rechtslage prüfen, wie sie dies in zahlreichen Klausuren gelernt hat. Die Urteile des EuGH (NJW 2011, 2269) sowie des BGH (NJW 2012, 1073, NJW 2013, 220 und NJW 2014, 2183) sind Mona bedauerlicherweise nicht bekannt, da sie für ihre Recherche ausschließlich einen veralteten BGB-Kommentar verwendet. Die Neuregelungen der §§ 439 Abs. 3, 475 Abs. 4, 6 BGB,[2] die eine Reaktion des Gesetzgebers auf die Vorgaben des EuGH darstellen, gelten erst ab 1.1.2018 und sind daher im Februar 2017 noch nicht relevant. Mona stellt folgende Überlegungen an:
1. Mögliche Anspruchsgrundlagen
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Ein Anspruch auf Nacherfüllung könnte sich aus §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 BGB ergeben. Dies setzt einen Kaufvertrag (§ 433 Abs. 1 BGB), eine mangelhafte Sache (§ 434 BGB) sowie das Vorliegen eines Sachmangels bei Gefahrübergang (§ 446 BGB) voraus. Hier geht es um einen Verbrauchsgüterkauf, da Mona als Privatkäuferin Verbraucherin (§ 13 BGB) und die V-GmbH gewerblich handelnde Unternehmerin (§ 14 BGB) ist und die Fliesen bewegliche Sachen sind (§ 474 BGB). In diesem Fall muss Mona das Vorhandensein der Verfärbungen bei Gefahrübergang nicht beweisen (§ 477 BGB n.F.), da sich der Mangel innerhalb von sechs Monaten gezeigt hat.[3] Nach § 439 Abs. 1 BGB steht ihr als Käuferin ein Wahlrecht zwischen Reparatur und Ersatzlieferung zu. Da die Reparatur der Fliesen technisch unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB), bleibt Mona nur das Recht auf Ersatzlieferung. Problematisch ist die Frage, ob die Nacherfüllung aus § 439 Abs. 1 BGB nur die Neulieferung von 30 Fliesen beinhaltet oder auch die Ausbaukosten der alten Fliesen und die Einbaukosten der neuen Fliesen umfasst. Hierzu ist der Meinungsstand ziemlich breit gefächert. So hatte der BGH im Jahr 2008 entschieden, dass die Kosten der Neuverlegung (= Einbaukosten) nicht unter den Nacherfüllungsanspruch des § 439 BGB fallen.[4] Mona überlegt daher, ob ein Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB möglich wäre. Voraussetzung des Schadensersatzanspruches ist ein Vertretenmüssen des Verkäufers (§§ 280 Abs. 1 S. 2, 276 BGB). Da die V-GmbH die Fliesen nicht selbst hergestellt hat und der Verkäufer als reiner Händler nicht zur Prüfung der Fliesen auf Fehlerfreiheit verpflichtet ist, wäre Mona kaum in der Lage, ein schuldhaftes Handeln der V-GmbH nachzuweisen, zumal der Hersteller auch nicht Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) des Händlers ist.[5] Immerhin stellt Mona fest, dass einige Gerichte und Autoren die Meinung vertreten, der Verkäufer einer mangelhaften Sache müsse zumindest die Kosten für den Ausbau tragen, da er nach § 439 BGB zur Rücknahme der mangelhaften