3. Gemeindekategorien
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Die Individualität einer Gemeinde zeigt sich im organisationsrechtlichen Status nur begrenzt, da sowohl die Begriffsbestimmung im einfachen Recht als auch in der Verfassung in Art. 28 Abs. 2 GG von der Einheitsgemeinde ausgeht. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Größe, Struktur, Einwohnerzahl und Leistungskraft der Gemeinden stark divergieren; unter den Gemeindebegriff fallen nämlich sowohl Millionenstädte wie München und Köln als auch Kleinstgemeinden wie Gröde (rund zehn Einwohner) im nordfriesischen Wattenmeer. Die Gemeindeordnungen tragen diesem Umstand im Interesse einer sachgerechten Aufgabenerledigung Rechnung, indem es in Gestalt (mittlerer und großer) kreisangehöriger sowie der kreisfreien Gemeinden unterschiedliche Gemeindekategorien gibt. Dieses hat Auswirkungen auf das Aufgabentableau und die Bestimmung der jeweils zuständigen staatlichen Aufsichtsbehörde. Darüber hinaus führen Bürgermeister in Gemeinden ab einer bestimmten Größe zum Teil die Bezeichnung „Oberbürgermeister“[46].
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Das Gebiet der Gemeinde besteht aus den Grundstücken, die nach geltendem Recht zu ihr gehören (§§ 16 Abs. 1 S. 1 GO NRW, 23 Abs. 1 S. 1 KVG Nds), und soll so bemessen sein, dass die örtliche Verbundenheit der Einwohner gewahrt und die Leistungsfähigkeit der Gemeinde zur Erfüllung ihrer Aufgaben gesichert ist (§§ 15 Abs. 1 GO NRW, 23 Abs. 2 KVG Nds). Insbesondere zur Schaffung und Erhaltung hinreichender Verwaltungskraft wurden Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts breit angelegte territoriale Neugliederungen, gepaart mit Funktionalreformen, durchgeführt[47]. Um in den so entstandenen größeren Einheiten bürgerschaftlichen Entfremdungen vorzubeugen, sind interne Gebietsaufgliederungen in Gestalt von Bezirksverfassungen vorgeschrieben oder doch ermöglicht worden[48]. Seit der Wiedervereinigung sind Gebiets- und Funktionalreformen vor allem auf Kreisebene in den Mittelpunkt gerückt[49].
II. Die Verfassungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG
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Die Gemeinden sind als Verwaltungsträger Teil der vollziehenden Gewalt im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG,[50] und zwar der Länderstaatlichkeit[51]. Letzteres verdeutlicht seit der Föderalismusreform I im Jahre 2006 auch Art. 84 Abs. 1 S. 7 u. 85 Abs. 1 S. 2 GG, wonach es dem Bund untersagt ist, den Gemeinden durch Bundesgesetz Aufgaben zu übertragen[52]. Die staatsorganisationsrechtliche Zuordnung der Gemeinden zu den Bundesländern verhindert, dass von einem dreigliedrigen Staatsaufbau gesprochen werden kann[53]. Die Gemeinden werden dabei aber nicht in den landesunmittelbaren Behördenaufbau eingegliedert, sondern bilden das wesentliche Element der mittelbaren Landesverwaltung mit Selbstverwaltung[54]. Sie sind demnach zwar Teil der organisierten Staatlichkeit, dies aber „als dezentralisiert-partizipative Verwaltung mit einem eigenen System demokratischer Legitimation, das der Bürgernähe, Überschaubarkeit, Flexibilität und Spontanität verbunden sein soll“[55].
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Das Verhältnis der Gemeinden zum Staat wird maßgeblich von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG bestimmt, der sog. Verfassungsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung.[56] Danach „muss (den Gemeinden) das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“. Selbstverwaltung bedeutet, dass eine vom Staat ausgegliederte, verselbstständigte juristische Person des öffentlichen Rechts Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen und durch eigene Organe aufgrund gesetzlicher Ermächtigung oder Zuweisung mit eigenen Finanzen unter staatlicher Aufsicht wahrnimmt[57]. Bedenkt man, dass es sich bei den Gemeinden „um einen Teil des Staates“[58] handelt, kann es sich bei der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nicht um ein Grundrecht handeln; vielmehr stellt diese eine institutionelle Garantie dar[59]. Innerhalb von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG werden üblicherweise drei Garantieebenen voneinander getrennt: die Rechtssubjektgarantie, die Rechtsinstitutionsgarantie und die subjektive Rechtsstellungsgarantie[60].
1. Rechtssubjektgarantie
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Anknüpfungspunkt für diesen Gewährleistungsgehalt im Wortlaut des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG bildet das Merkmal „die Gemeinden“[61]. Die Rechtssubjektgarantie gewährleistet die Institution der Gemeinde, was bedeutet, dass es überhaupt Gemeinden als Basis des Verwaltungsaufbaus geben muss[62]. Sie verhindert, dass der Staat die institutionell verselbstständigte Verwaltung auf der Ortsstufe ganz oder überwiegend aufgibt und statt dessen eine unselbstständige Verwaltungsebene einzieht[63]. Daraus folgt allerdings nicht, dass jede Gemeinde individuell garantiert wird[64]. Die Gemeinden sind gegen Eingemeindungen und Auflösungen im Zuge einer kommunalen Gebietsreform mithin nicht absolut geschützt. Umgekehrt stehen territoriale Neugliederungen auch nicht zur freien Disposition des Staates, wenn nur hinreichend viele kommunale Körperschaften übrigbleiben. Vielmehr ist der Gesetzgeber zum einen aufgerufen, erst und nur nach vorheriger Anhörung der betroffenen Gemeinde(n)[65], vollständiger und zutreffender Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen[66] sowie aufgrund einer Defizitanalyse[67] zu entscheiden; zum anderen sind Gebietsreformen nur aus Gründen des öffentlichen Wohls[68] und nach gründlicher Abwägung aller Neugliederungsziele mit den dadurch prognostisch erreichbaren Vorteilen gegen die damit verbundenen Eingriffe in das Selbstverwaltungsrecht der betroffenen Gemeinde bzw. Kreise[69] zulässig. Zur Rechtssubjektgarantie zählt auch der Schutz des Gemeindenamens[70].
2. Rechtsinstitutionsgarantie
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Die Rechtsinstitutionsgarantie stellt sicher, dass die kommunale Selbstverwaltung nicht bei formaler Aufrechterhaltung der gemeindlichen Einrichtungsebene verletzt, ausgehöhlt oder inhaltlich entwertet wird[71]. Schutzgehalte sind die Allzuständigkeit und die Eigenverantwortlichkeit des gemeindlichen Wirkungskreises, die jeweils unter Gesetzesvorbehalt stehen. Diese Gewährleistungsebene bildet den Maßstab für die Vereinbarkeit staatlicher Maßnahmen mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, sei es, dass etwa durch den Entzug von Aufgaben das „Ob“ der kommunalen Aufgabenwahrnehmung, sei es, dass bspw. durch organisatorische Vorgaben das „Wie“ der Erledigung beeinträchtigt wird.
a) Örtliche Allzuständigkeit
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Aus Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG folgt die universelle („alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“) Zuständigkeit der Gemeinde. Dieser Grundsatz der „örtlichen Allzuständigkeit“ oder der „subsidiären Universalität“ ist bereits in der Stein‚schen Städteordnung aus dem Jahre 1808 anerkannt und seitdem Inhalt der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie[72]. Daraus folgt eine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Gemeinden, deren Verbandskompetenz jedoch ebenso durch die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft begrenzt wird. Dieses Prinzip der Aufgabenverteilung bildet den Wesensgehalt des Selbstverwaltungsrechts.
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Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind „diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen Gemeinde) betreffen“[73]. Auf die Verwaltungskraft der Gemeinde kommt