Zehntes Kapitel Kommunalrecht › § 64 Kommunalverfassung › B. Stellung der Gemeinden im Staat
I. Institution der Gemeinde
5
Die Verfassungen von Bund und Ländern enthalten ebenso wenig wie die Gemeindeordnungen der Länder eine unmittelbare gesetzliche Definition des Begriffs der Gemeinde. Sie betrachten die Gemeinde als überkommene Institution und erkennen sie an. In den einleitendenden Vorschriften der Kommunalverfassungen finden sich aber Formulierungen, welche die Gemeinden als Gebietskörperschaften beschreiben, die das Wohl ihrer Einwohner in freier Selbstverwaltung durch ihre von der Bürgerschaft gewählten Organe fördern[17]. Darüber hinaus sind sie die Grundlage des demokratischen Staatsaufbaus[18].
1. Gemeinde als Gebietskörperschaft
6
Die Gemeinden sind eine organisierte Form räumlichen Zusammenlebens auf der untersten Stufe des Staatsaufbaus[19]. Dabei haben sie den Status einer Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts. Unter Körperschaften des öffentlichen Rechts versteht man mitgliedschaftlich organisierte, rechtsfähige Verbände öffentlichen Rechts, die hoheitliche Aufgaben selbstverantwortlich, jedoch unter staatlicher Aufsicht, wahrnehmen[20]. Die Körperschaft unterscheidet sich von der Anstalt des öffentlichen Rechts dadurch, dass sie Mitglieder hat, die Anstalt jedoch nur Benutzer kennt. Der Begriff der öffentlich-rechtlichen Körperschaft stellt dabei keine apriorische Größe dar, sondern bildet eine Ordnungskategorie für eine bestimmte Gruppe von Funktionseinheiten[21]. Gebietskörperschaften[22] sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, bei denen sich die Mitgliedschaft aus dem Wohnsitz im Gebiet der Körperschaft ergibt und die mit Gebietshoheit ausgestattet sind[23]. Bei den Gemeinden sind die Mitglieder die Einwohner, d.h. alle Menschen, die sich nicht nur vorübergehend im Gebiet der betreffenden Gemeinde aufhalten, sondern durch Wohnsitz dort fester gebunden leben[24]. Gebietshoheit bedeutet, dass jedermann, der sich auf dem Gebiet der Körperschaft aufhält, der Herrschaftsgewalt der Körperschaft unterworfen wird[25]. Wesentlich für die Gebietskörperschaft ist somit das unmittelbare Verhältnis, welches zwischen Personen, Fläche und hoheitlicher Gewalt besteht[26].
7
Die Gemeinden sind juristische Person des öffentlichen Rechts. Deshalb kommt ihnen Rechtsfähigkeit zu, d.h., sie sind fähig, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Öffentlich-rechtlich gewendet, gehören sie damit zu den Verwaltungsträgern. In Bezug auf das Privatrecht ist vor allem bedeutsam, dass sie rechtsgeschäftlich zu handeln, insbesondere Verträge abzuschließen imstande sind. Die Rechtsfähigkeit besteht (nur) im Rahmen der Verbandskompetenz der Gemeinden, die sich gemäß Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG auf die „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ erstreckt. Verwaltungsakte, die Gegenstände außerhalb des kommunalen Wirkungskreises regeln, sind mangels Verbandskompetenz formell rechtswidrig; öffentlich-rechtliche Verträge sind nach der Fehlerfolgenregelung des § 59 VwVfG zu beurteilen und sonstige Willenserklärungen ebenso wie privatrechtliche Handlungen sind nach der Ultra-Vires-Lehre als nicht existent anzusehen[27]. Die Gemeinden sind im Verwaltungsverfahren nach § 11 Nr. 1 Alt. 2 VwVfG beteiligungsfähig und durch ihre Organe nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG handlungsfähig. Im Zivilprozess sind die Gemeinden aufgrund ihrer Rechtsfähigkeit parteifähig nach § 50 Abs. 1 ZPO. Im Verwaltungsrechtsstreit sind die Gemeinden nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO fähig, am Verfahren beteiligt zu sein. Prozessfähigkeit kommt ihnen nach § 62 Abs. 3 VwGO zu, indem sie im Verwaltungsprozess durch ihren Bürgermeister als gesetzlichem Vertreter vertreten werden[28].
8
Die Gemeinde ist ferner dienstherrenfähig, worunter man die Befugnis versteht, „auf sich selbst bezogene“ Beamtenverhältnisse zu begründen, was bei den Gemeinden dann nach Maßgabe des jeweiligen Landesbeamtengesetzes erfolgt[29].
9
Schließlich steht ihnen als juristische Person auch das Namensrecht zu; die Gemeindeordnungen räumen diesbezüglich den Gemeinden ein Recht auf ihren geschichtlichen Namen ein[30]. Art. 28 Abs. 2 GG vermittelt Schutz gegenüber Verletzungshandlungen Dritter; in materiell-rechtlicher Hinsicht kann ergänzend auf § 12 BGB zurückgegriffen werden[31]. Die Bezeichnung „Stadt“ dürfen solche Gemeinden führen, denen dies nach altem Recht zusteht oder auf Antrag von der Landesregierung verliehen wird[32].
2. Grundlage des demokratischen Staatsaufbaus
10
Die Gemeinden sind nicht nur verfassungsrechtlich (Art. 28 Abs. 2 GG), sondern auch einfach-gesetzlich mit dem Recht auf Selbstverwaltung ausgestattet, d.h., die Bürger sind dazu aufgerufen, die Angelegenheiten ihrer örtlichen Gemeinschaft selbst zu regeln und zu verwalten. Selbstverwaltung bedeutet somit Verwaltung durch die Betroffenen selbst in eigener Verantwortung[33]. Bei den Gemeinden handelt es sich um eine Form der mittelbaren Staatsverwaltung,[34] welche gegeben ist, wenn der Staat seine Verwaltungsaufgaben nicht durch eigene Behörden erfüllt, sondern rechtlich selbstständigen Organisationen in Gestalt von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen überträgt oder überlässt[35].
11
Die Gemeinden nehmen aber im Rahmen der mittelbaren Staatsverwaltung eine Sonderstellung ein und unterscheiden sich von jedem anderen Anwendungsfall mittelbarer Staatsverwaltung[36]. Deutlich wird dies daran, dass die Landesverfassungen teilweise ausdrücklich in den Gemeinden die Grundlage des demokratischen Staatsaufbaus erblicken[37]. Das Bundesverfassungsgericht sieht in den Gemeinden die Keimzellen der Demokratie[38]. Das Verhältnis von Selbstverwaltung und Demokratie war aber lange Zeit umstritten[39]. Zum Teil wurde nämlich vorgebracht, dass kommunale Selbstverwaltung und Demokratie zu trennen seien, weil sich die Selbstverwaltung nicht wie die Demokratie in der Ausübung eines Wahl- und Stimmrechts erschöpfe, sondern die aktive Mitarbeit der Gemeindebürger bei der Durchführung der kommunalen Verwaltungsaufgaben umfasse, weshalb die Gemeinden administrative Gebilde seien, die an der politischen Willensbildung nicht teilnähmen[40]. Das vermag aber nicht zu überzeugen, weil der Begriff der Demokratie keineswegs für die Bezeichnung einer bestimmten Staatsform reserviert ist und deshalb die Möglichkeit besteht, ein demokratisches Gemeinwesen in Stufen aufzugliedern[41]. Die kommunale Selbstverwaltung lässt sich ihrer Funktion nach als eine Form besonderer integrativer örtlicher Demokratie begreifen[42]. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht herausgestellt, indem es darauf hinweist, dass sich das Grundgesetz für eine auf Selbstverwaltungskörperschaften aufgebaute Demokratie entschieden hat[43].
12
Das Grundgesetz lässt in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG eine Einbeziehung der Kreise und Gemeinden in den Aufbau der Demokratie hinreichend klar erkennen, indem auch die Gemeinden und Kreise eine Volksvertretung haben müssen, die aus demokratischen Wahlen hervorgegangen ist. Indes ist die Gemeindevertretung kein Parlament, sondern Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft. Die Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinden ist trotz eines gewissen legislatorischen Charakters im System der staatlichen Gewaltenteilung dem Bereich der Verwaltung und nicht dem der Gesetzgebung zuzuordnen[44].
13