Abweichend von derartigen speziell für Ausbildungszwecke konstruierten Situationen muss in der Lebenswirklichkeit die Fallfrage dagegen häufig erst noch herausgearbeitet werden und ist der Sachverhalt nicht selten streitig (z.B. ob der Angeklagte wirklich die maskierte Person ist, die beim Banküberfall von der Videokamera aufgezeichnet wurde), was sich in der Rechtspraxis sogar als weitaus problematischer erweisen kann als die juristische Beurteilung des Geschehens (z.B. nach § 239a Abs. 1, §§ 249, 250 Abs. 1 Nr. 1 bzw. §§ 253, 255, 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB).[7] Auch muss dort das rechtlich Relevante aus dem vom Mandanten etc. mitgeteilten „Rohsachverhalt“ vom Juristen (z.B. Rechtsanwalt) regelmäßig erst noch herausgefiltert bzw. – bei aus juristischer Perspektive unzureichendem tatsächlichen Vorbringen – erfragt werden.[8]
Anmerkungen
Im Gegensatz zu (subjektiven) Meinungen sind (objektive) – äußere (z.B. § 242 Abs. 1 StGB: „Sache […] wegnimmt“) wie innere (z.B. § 242 Abs. 1 StGB: „Absicht […], die Sache sich […] zuzueignen“) – Tatsachen dem Beweis zugänglich („wahr oder falsch“), siehe Wienbracke, Einführung in die Grundrechte, 2013, Rn. 373, 375 m.w.N. Siehe auch Rn. 90 f.
Butzer/Epping, Arbeitstechnik, S. 32; Mann, Einführung, Rn. 152, 155. Siehe auch Rn. 223.
Nach Wank, Auslegung, S. 3.
Nach Wank, Auslegung. S. 5.
Nach Wienbracke, Einführung in die Grundrechte, 2013, Rn. 275 m.w.N.
Vgl. Muthorst, Grundlagen, § 6 Rn. 5.
Vogel, Methodik, S. 11, 101; Wank, Auslegung, S. 3 f.
Schwacke, Methodik, S. 57; Vogel, Methodik, S. 20 ff. Siehe auch Rn. 227.
1. Teil Einführung › A. Rechtsquellen
A. Rechtsquellen
4
Maßstab für die Beantwortung juristischer Fragestellungen ist im Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 3 GG) „weder Brauch noch Sitte, Moral, Religion oder Politik, sondern allein – das Recht“[1], vgl. auch § 313 Abs. 3 ZPO, § 267 Abs. 3 S. 1 StPO, § 39 Abs. 1 S. 2 VwVfG.
5
„Recht ist […] die Summe aller geltenden Rechtsnormen“[2], das sog. objektive Recht.[3]
6
Normen bestehen aus zumeist[4] sprachlichen Sätzen, die zur Steuerung menschlichen Verhaltens allgemein (vgl. Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG), d.h. für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen (abstrakt) und Personen (generell), ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen gebieten, verbieten bzw. erlauben (Rn. 12; z.B. „Du sollst nicht stehlen“, sog. deontologische bzw. präskriptive „Sollens-Sätze“ im Gegensatz zu sog. ontologischen bzw. deskriptiven „Seins-Sätzen“, die etwas real Vorhandenes beschreiben, z.B. „A hat B einen Geldschein weggenommen“; „Dichotomie von Sein und Sollen“[5]).[6]
7
Hinweis
Wer „ein Sollen mit einem Sein begründet“, begeht einen naturalistischen Fehlschluss. „Denn daraus, dass etwas so ist, wie es ist, folgt nicht, dass es so sein soll, wie es ist.“[7]
8
Im Unterschied zu sittlichen (moralischen; z.B. finanzielle Unterstützung notleidender Geschwister untereinander[8]), gesellschaftlichen (sozialen; z.B. Erwiderung eines Grußes) und technischen (z.B. DIN-)Normen zeichnen sich Rechtsnormen („Rechtssätze“[9]) dadurch aus, dass sie staatlich garantiert sind, d.h. vom Gesetzgeber erlassen wurden bzw. von den Gerichten angewendet werden („Gerichtsfähigkeit“[10]).[11] Sie gelten zwischen den von ihnen jeweils Betroffenen unabhängig davon, ob diese das wollen oder nicht.[12] Ihre Einhaltung kann vom Staat erzwungen (vollstreckt, z.B. nach dem VwVG) werden bzw. drohen im Fall eines Verstoßes gegen sie staatliche Sanktionsmaßnahmen (z.B. Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz z.B. nach § 823 Abs. 1 BGB im Gegensatz zu gesellschaftlichen Sanktionen wie etwa Isolation).[13]
9
Räumt eine Rechtsnorm dem Einzelnen eine Befugnis gegenüber einem anderen Bürger (z.B. § 433 Abs. 2 BGB) oder dem Staat (z.B. Art. 2 Abs. 1 GG, vgl. Art. 1 Abs. 3 GG) ein, so handelt es sich um ein subjektives Recht, das entweder (absolut) gegenüber jedermann (erga omnes; z.B. Eigentum) oder aber nur (relativ) gegenüber einer bestimmten anderen Person (inter partes; z.B. vertraglicher Anspruch) besteht. Nicht jedem objektiven Recht (z.B. § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB: „Die Gemeinden haben die Bauleitpläne aufzustellen“) muss ein subjektives entsprechen (z.B. § 1 Abs. 3 S. 2 Hs. 1 BauGB: „Auf die Aufstellung von Bauleitplänen […] besteht kein Anspruch“).[14]
10
Im vorstehenden Sinn verbindlich sind in dem durch das Grundgesetz verfassten Rechtsstaat primär „Gesetze“, d.h. das in diesen niedergeschriebene (sog. „positive“) Recht, siehe Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1 GG.[15] Der daneben in Art. 20 Abs. 3 GG noch enthaltene Hinweis auf das „Recht“ sei nach teilweise vertretener Auffassung tautologischer Natur,[16] wohingegen nach a.A. hierdurch das überpositive (Natur-)Recht erfasst werde.[17] Relativiert wird dieser Streit dadurch, dass „der Gesetzgeber des Grundgesetzes in seine Grundentscheidung Normen einbezogen und damit im Grundgesetz positiviert hat, die vielfach als übergesetzlich bezeichnet werden (etwa in Art. 1, aber auch in Art. 20 GG).“[18] Gleichwohl ist dem BVerfG zufolge „[d]as Recht […] nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt und dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag.“[19]
11
Nicht selten haben Gesetze ihren Ursprung in einer außerrechtlichen Norm (z.B. lautet eines der Zehn Gebote als „Urform eines Normenkatalogs“[20]: „Du sollst nicht töten“; vgl. § 212 Abs. 1 StGB) bzw. erklären eine solche auch für rechtlich verbindlich (z.B. § 138 Abs. 1 BGB: „gute Sitten“).[21] Zwingend ist dies allerdings nicht, wie diejenigen Rechtsnormen belegen, die keinerlei Bezug zu einer sittlichen, gesellschaftlichen oder technischen Norm aufweisen (so z.B. § 8