274
Unproblematisch ist die Abgrenzung von einseitigen und vertragsmäßigen Verfügungen bei all denjenigen letztwilligen Verfügungen, die überhaupt nur einseitig getroffen werden können. Erbeinsetzungen, Vermächtnisse, Auflagen und Rechtswahlerklärungen können hingegen prinzipiell sowohl als vertragsmäßige als auch als einseitige Verfügungen getroffen werden. Soweit der Erbvertrag diesbezüglich keine ausdrückliche Aussage trifft, ist daher im Wege der Auslegung (§§ 133, 157) für jede Verfügung gesondert zu ermitteln, ob sie als vertragsmäßig gewollt ist[18] (zu den Besonderheiten der Auslegung von Erbverträgen → Rn. 374 ff.). Dies wird z.B. regelmäßig dann der Fall sein, wenn es sich um eine Zuwendung an einen Vertragsbeteiligten handelt[19] oder wenn Ehegatten ihre gemeinsamen Kinder als Erben einsetzen[20]. Hingegen werden Verfügungen zugunsten eigener Verwandter nur eines Vertragsbeteiligten oftmals nur einseitig sein.[21]
Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 10 Der Erbvertrag › V. Die Bindungswirkung vertragsmäßiger Verfügungen
a) Besonderheiten bei zwei- und mehrseitigen Erbverträgen
275
Bei zwei- und mehrseitigen Erbverträgen, bei denen mehrere Parteien vertragsmäßige Verfügungen treffen (→ Rn. 264), wollen die Beteiligten den Bestand des Erbvertrags regelmäßig nur dann, wenn sämtliche von ihnen getroffenen vertragsmäßigen Verfügungen wirksam sind.[22] Dem tragen die Auslegungsregeln[23] in § 2298 (die entsprechend auch für mehrseitige Erbverträge gelten[24]) Rechnung. Gem. § 2298 Abs. 1 hat die Nichtigkeit einer vertragsmäßigen Verfügung die Unwirksamkeit des gesamten Vertrags zur Folge, sofern kein anderer Wille der Vertragsparteien anzunehmen ist (vgl. § 2298 Abs. 3). Der ursprünglichen Nichtigkeit steht die wirksame Anfechtung des Erbvertrags sowie die Unwirksamkeit nach den §§ 2279 Abs. 2, 2077 (→ Rn. 373) gleich.[25]
§ 2298 Abs. 1 erfasst jedoch nicht (auch nicht analog) den Fall, dass eine vertragsmäßige Verfügung nachträglich gegenstandslos wird (z.B. durch Vorversterben des Bedachten, Erbunwürdigkeit oder Erbverzicht); hier beurteilt sich die Frage, ob auch die anderen vertragsmäßigen Verfügungen gegenstandslos werden, vielmehr nach § 2085 (→ Rn. 477).[26]
276
Gem. § 2298 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 hat ferner auch die Ausübung eines vertraglich vorbehaltenen Rücktrittsrechts (→ Rn. 306 ff.) im Zweifel zur Folge, dass der ganze Vertrag aufgehoben wird.
b) Konsequenzen für letztwillige Verfügungen, § 2289 Abs. 1
277
Die erbvertragliche Bindungswirkung vertragsmäßiger Verfügungen entfaltet gem. § 2289 Abs. 1 Wirkungen sowohl für frühere als auch für spätere letztwillige Verfügungen: Frühere letztwillige Verfügungen werden aufgehoben (S. 1), spätere letztwillige Verfügungen sind unwirksam (S. 2) – allerdings jeweils nur, soweit sie das Recht des vertragsmäßig Bedachten beeinträchtigen würden (→ Rn. 278).
278
Eine Beeinträchtigung i.S.v. § 2289 liegt vor, wenn die frühere oder spätere letztwillige Verfügung den Bedachten in seiner im Erbvertrag nach Inhalt und Umfang von den Parteien formulierten Rechtsstellung beeinträchtigten würde, weil sie die vertragsmäßige Zuwendung mindern, beschränken, belasten oder gegenstandslos machen würde.[27] Auf bloß wirtschaftliche Aspekte darf dabei nicht abgestellt werden, denn dies wäre mit dem Wesen des Erbvertrags unvereinbar.[28] Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei derjenige des Erbfalls; vorher hat der Bedachte noch kein Recht, das beeinträchtigt werden könnte.[29]
Beispiele:
Eine Beeinträchtigung i.S.d. § 2289 Abs. 1 S. 2 liegt z.B. vor bei Bestimmung eines anderen Erben[30], Herabstufung zum Vorerben[31], Anordnung einer Auflage oder eines Vermächtnisses[32], Einsetzung eines Testamentsvollstreckers[33]; nicht jedoch die bloße Auswechslung der Person des Testamentsvollstreckers[34].
279
Vertragsmäßige Verfügungen entfalten zudem nur dann die Wirkungen des § 2289 Abs. 1, wenn der Erbvertrag im Zeitpunkt des Erbfalls (noch) wirksam ist; sie treten daher nicht ein, wenn der Erbvertrag durch Anfechtung, Aufhebung oder Rücktritt weggefallen oder aus anderen Gründen nichtig ist.[35] Dies gilt grundsätzlich auch bei Wegfall des Bedachten (z.B. durch Erbverzicht, Erbunwürdigkeit, Ausschlagung oder Tod), es sei denn, dass dem Erbvertrag auch für diese Fälle ein Aufhebungswille zu entnehmen ist.[36]
c) Konsequenzen für lebzeitige Rechtsgeschäfte
aa) Grundsatz: Lebzeitige Verfügungsfreiheit
280
§ 2286 stellt klar, dass das Recht des Erblassers, über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft unter Lebenden zu verfügen, durch den Erbvertrag nicht beschränkt wird. Der im Erbvertrag Bedachte erlangt vor Eintritt des Erbfalls weder einen künftigen Anspruch noch ein Anwartschaftsrecht, sondern lediglich eine tatsächliche Aussicht.[37] Deshalb kann z.B. ein auf einem Erbvertrag beruhendes Grundstücksvermächtnis nicht durch eine Auflassungsvormerkung gesichert werden.[38]
281
Es bleibt den Vertragsparteien aber unbenommen, zusätzlich einen schuldrechtlichen Vertrag abzuschließen, der es dem Vertragserblasser verbietet, über bestimmte Gegenstände zu verfügen (sog. Verfügungsunterlassungsvertrag). Ein solcher Vertrag entfaltet indes keine dinglichen Wirkungen (§ 137 S. 1). Seine Verletzung begründet jedoch Unterlassungs- bzw. Schadensersatzansprüche gegen den Erblasser.[39] Ansprüche gegen Dritte bestehen nur, wenn auch diese sich selbst in einer solchen Weise vertraglich verpflichtet haben.[40] Wenn der Erwerber den Erblasser zum Bruch des Verfügungsunterlassungsvertrags verleitet, so kann die Verfügung allerdings nach § 138 Abs. 1 nichtig sein.[41]
bb) Schutz vor Missbrauch
(1) Allgemeines
282
Die grundsätzliche lebzeitige Verfügungsfreiheit des Erblassers steht allerdings in einem gewissen Spannungsfeld