189
Ein Hauptversammlungsbeschluss ist für ein Delisting nicht erforderlich (keine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz)[179]. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass hier keine Strukturentscheidung bzgl der Gesellschaft vorliegt. Ein Beschluss des Vorstands unter Zustimmung des Aufsichtsrats ist grds ausreichend. Auch die Börsenordnungen der einzelnen Börsen können aufgrund dessen keine zusätzlichen gesellschaftsrechtlichen Anforderungen an ein Delisting mehr stellen[180]. Zu beachten ist zudem, dass ein geplantes Delisting eine ad-hoc-veröffentlichungspflichtige Insiderinformation darstellen kann.
3. Rechtsschutz
190
Gegen die Entscheidung der Börsengeschäftsführung bzgl des Widerrufs der Zulassung (Verwaltungsakt)[181] kann Widerspruch eingelegt und der Verwaltungsrechtsweg beschritten werden. Ob auch der einzelne Anleger die Möglichkeit von Widerspruch und Anfechtungsklage hat, ist umstritten. Der BGH vertrat vor der Gesetzesänderung von 2015 die Ansicht, dass die betroffenen Aktionäre mit Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Widerruf vorgehen können, da § 39 Abs. 2 BörsG drittschützende Wirkung habe[182]. Da der Gesetzgeber den Anlegerschutz mit der Schaffung von § 39 Abs. 2 Satz 3 BörsG und § 39 Abs. 3–6 BörsG verstärken wollte, sieht das Schrifttum dies jetzt als eindeutig an[183]. Fraglich ist das jedoch deshalb, weil die Anleger nicht Adressaten der Delisting-Entscheidung der Börsengeschäftsführung sind. § 39 BörsG müsste also als drittschützend angesehen werden, was zumindest angesichts der Gesetzesbegründung zu bezweifeln ist[184].
191
Das Gegenleistungsangebot iS des § 39 Abs. 3 BörsG ist nicht Gegenstand des verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes (§ 39 Abs. 6 BörsG), da die Geschäftsführung nur formal die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Satz 3 BörsG prüft[185]. Eine Klage gegen die Höhe der Gegenleistung ist aufgrund des Verweises auf § 31 WpÜG zivilrechtlich geltend zu machen[186]. Die gesetzliche Regelung verweist bzgl des Rechtsschutzes des Anlegers auf das KapMuG (vgl § 1 Abs. 1 Nr. 3 KapMuG)[187].
192
Lösung Fall 1 (Rn 94):
Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, nach welcher vor Beantragung des Widerrufs der Börsenzulassung (§ 39 Abs. 1, 2 BörsG) die Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich ist, existiert nicht. Eine Zustimmung ist auch nicht unter Heranziehung der sog. Holzmüller-Grundsätze[188] notwendig, wonach der Vorstand bei schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte und Interessen der Aktionäre ausnahmsweise nach § 119 Abs. 2 AktG eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeiführen muss[189]. Durch das Going Private wird nach hM weder die innere Struktur der Gesellschaft verändert noch die mitgliedschaftliche Stellung der Aktionäre geschwächt.
Im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG, wonach der teilweise oder vollständige Rückzug von der Börse das Eigentumsrecht des Aktionärs iS des Art. 14 Abs. 1 GG nicht berührt, hat der BGH seine anders lautende Rechtsprechung aufgegeben. Da nunmehr auch aufgrund der 2015 erfolgten Erweiterung der gesetzlichen Regelungen zum Delisting in der Gesetzesbegründung davon ausgegangen wird, dass keine Strukturentscheidung vorliegt, ist V nicht verpflichtet, vor der Beantragung eines Delisting einen Hauptversammlungsbeschluss einzuholen.
Anmerkungen
Regelmäßig der Wirtschaftsminister bzw -senator; Kumpan, in: Schwark/Zimmer, KMRK, § 4 BörsG Rn 2; für die Frankfurter Wertpapierbörse etwa ist Börsenaufsichtsbehörde das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung.
Die Düsseldorfer Börse verkauft ihr operatives Geschäft an die Träger der Börsen Hamburg und Hannover, sie wird aber unverändert fortgeführt, siehe Handelsblatt vom 7. Dezember 2016.
Begr. RegE FRUG, BT-Drucks. 16/4028, S. 79.
Kümpel, BKR 2003, 3, 4; zur Diskussion, ob das System der öffentlich-rechtlichen Börse in privater Trägerschaft bleiben oder ein System ausschließlich privatrechtlicher Börsen eingeführt werden sollte, sodass die Aufteilung in Börse und Träger entfällt, siehe Hopt/Rudolph/Baum, Börsenreform, 1996, S. 407 ff; Merkt, Gutachten G zum 64. DJT, WM 2002, Sonderbeilage zu Heft 23, S. 37 ff; dagegen Mülbert, JZ 2002, 826, 828 f.
„Public-Private-Partnership“, Sommer, in: Grunewald/Schlitt, § 10 IV 1.
Bredt, WM 2013, 1839, 1840.
OLG Frankfurt, 14. Mai 2013 – 1 U 176/10, juris, Rn 82.
Zur Zusammensetzung siehe das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes vom 26. Juni 2012, BGBl. I, S. 1375; siehe auch Bredt, WM 2013, 1839, 1845.
Siehe Rn 1255 ff.
Dazu Hugger/Pasewaldt, WM 2016, 726 ff. Zur Befugnis, Ordnungsgelder gegen Handelsteilnehmer zu verhängen, VG Frankfurt, 22. Mai 2014 – 2 K 2672/12.F., juris, Rn 11; siehe auch § 22 Abs. 2 BörsG.
Mistrade ist ein fehlerhaftes Geschäft mit Wertpapieren im börslichen oder außerbörslichen Wertpapierhandel.
Zur Preisfeststellung im elektronischen Handel (Auktionsverfahren, Matching), der seit Mai 2011 an der Börse Frankfurt ausschließlich und nicht mehr neben dem Parketthandel stattfindet, Lenenbach, KMR, Rn 3.142 ff.
Werden einem Skontroführer keine Skontren zugewiesen, stellt dies eine Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) dar, VGH Kassel ZIP 2008, 1520 ff; siehe schon VG Frankfurt ZBB 2007, 285 ff auf der Grundlage des Normenkontrollurteils des VGH Kassel ZBB 2007, 288 ff; zu allem Pietzcker, ZBB 2007, 295 ff. Zur Unzulässigkeit einer Klage auf existenzsichernde Skontrenzuteilung OVG Düsseldorf WM 2012, 1996 ff.