Danach muss der Arbeitnehmer nur diejenigen Fragen wahrheitsgemäß beantworten, an denen der Arbeitgeber „ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse“ hat, gegenüber dem das Interesse des Arbeitnehmers an der Geheimhaltung der Auskunft zurücktreten muss.[22]
116
An dieser Stelle ist also eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Auf Seiten des Arbeitgebers steht das Informationsbedürfnis, ein möglichst genaues Bild von dem Bewerber zu gewinnen (Art. 12, 14, 2 GG). Der Arbeitnehmer muss hingegen davor geschützt werden, sich Fragen des Arbeitgebers über persönliche, für die Tätigkeit eher bedeutungslose Eigenschaften, ausgeliefert zu sehen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).
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Ein berechtigtes Interesse kann dem Arbeitgeber nur zugebilligt werden, wenn die Frage zur Einstellung, der fachlichen und persönlichen Eigenschaften sowie zur Ausübung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung aufschlussreich ist.[23] Die Frage muss stets in Beziehung zur geschuldeten Tätigkeit stehen und darf nicht unverhältnismäßig in die Intimsphäre des Arbeitnehmers eingreifen.
Beispiel
Fragen nach Alkohol- und Drogenkonsum, nach sexuellen Vorlieben, Krankheiten in der Familie sind unzulässig.
b) Eigenschaftsirrtum
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Auch die Anfechtung aufgrund eines Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB ist im Arbeitsrecht von großer Bedeutung. Danach steht demjenigen ein Anfechtungsrecht zu, der bei Abgabe der Willenserklärung über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Vertragspartners irrte.
Verkehrswesentliche Eigenschaften können körperliche Merkmale einer Person oder ihre Beziehungen zur Umwelt sein, sofern diese nach der Verkehrsanschauung für die Wertschätzung der zu leistenden Arbeit von nicht nur vorübergehender Relevanz sind.[24]
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Die Verkehrswesentlichkeit kann dabei nur dann angenommen werden, wenn die Eigenschaft in Beziehung zum Arbeitsverhältnis steht. Daher ist die Frage immer mit Blick auf das konkrete Arbeitsverhältnis zu beantworten.
Beispiel
Krankenschwester, die mit HIV infiziert ist; Taxifahrer ohne Führerschein; nicht hingegen die Schwangerschaft.[25]
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Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass ein Irrtum über eine Eigenschaft, die der Arbeitgeber nicht zulässigerweise auch hätte erfragen können, nicht zur Anfechtung berechtigt.
c) Fragenkatalog
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Oft gestellte Fragen der Arbeitgeber in dem Zusammenhang sind:
• | Beruflicher Werdegang, Zeugnisse und Prüfungsnoten Diese Fragen sind zulässig. |
• | Schwangerschaft Unzulässig ist die Frage nach einer bestehenden oder geplanten Schwangerschaft.[26] Eine Lüge auf die unzulässig gestellte Frage bleibt daher ohne Konsequenz. § 3 Abs. 1 S. 2 AGG regelt eindeutig, dass eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts auch bei einer ungünstigen Behandlung wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft gegeben ist. |
• | Gesundheitszustand Die Frage nach der Gesundheit kann im Einzelfall zulässig sein, soweit dadurch die generelle Arbeits- und Einsatzfähigkeit des Arbeitnehmers betroffen ist. Insbesondere ist sie zulässig, wenn eine Ansteckungsgefahr und starke Gefährdung anderer besteht.[27] |
• | Schwerbehinderteneigenschaft Es gelten bei Schwerbehinderung Sonderrechte, z.B. bei Kündigung und den Arbeitszeiten. Vor diesem Hintergrund wird vertreten, dass ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Klärung dieser Eigenschaft bestehe. Zumindest dann, wenn durch die Schwerbehinderung die Eignung für die Tätigkeit eingeschränkt sei. Eine andere Ansicht hält diese Frage jedoch unter Verweis auf das Diskriminierungsverbot in § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 SGB IX für unzulässig.[28] |
Hinweis
Die Frage nach der Schwerbehinderung kann zulässig sein, wenn das Arbeitsverhältnis bereits besteht. Denn der Arbeitgeber muss wissen, wenn er besondere Rechte des Arbeitnehmers zu beachten hat. Das BAG hat mit Urteil vom 16.2.2012[29] sogar weitreichende Konsequenzen an die Falschbeantwortung der berechtigen Frage des Arbeitgebers geknüpft. In dem Fall hatte der Insolvenzverwalter des arbeitgeberischen Unternehmens die Sozialdaten der Arbeitnehmer abgefragt, um eine ordnungsgemäße Sozialauswahl treffen zu können. Der Kläger, der einen Grad der Behinderung von 60 hatte, beantwortete die Frage nach einer vorhandenen Schwerbehinderung wahrheitswidrig. Gegen die ausgesprochene Kündigung wehrte er sich unter Berufung auf die fehlende Zustimmung des Integrationsamts gem. § 85 SGB IX. Die Bundesarbeitsrichter befanden, dass der Mann sich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB nicht auf die fehlende Zustimmung berufen dürfe. Die Frage nach der Schwerbehinderung sei jedenfalls nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses (§ 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX) zulässig. Der Arbeitnehmer habe nach § 241 Abs. 2 BGB wahrheitsgemäß zu antworten, gerade wenn der Arbeitgeber Kündigungen vorbereite. Das Leugnen der Schwerbehinderung und ein späteres Pochen auf Rechte aus der doch gegebenen Schwerbehinderung sei unzulässige Rechtsausübung, so das BAG.
• | Vorstrafen Die Frage nach Vorstrafen ist insoweit zulässig, als es sich um hinsichtlich der zu erledigenden Tätigkeit einschlägige Straftaten handelt.[30] Dies ist der Fall, wenn es sich bei dem ausgeschriebenen Arbeitsplatz um eine Vertrauensposition handelt, beispielsweise bei der Kassiererin. Ist sie wegen Diebstahls oder Unterschlagung vorbestraft, ist diese Vorstrafe bedeutsam im Zusammenhang mit dem konkreten Arbeitsplatz. Hingegen wäre bei einer Bestrafung wegen einer Trunkenheitsfahrt ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis nicht gegeben. Als nicht vorbestraft darf sich bezeichnen, wer keine Eintragung im Führungszeugnis hat (§ 51 BZRG). Vorsicht ist auch geboten, wenn – was in der Praxis häufig geschieht – nach abgeschlossenen Ermittlungs- oder Strafverfahren gefragt wird, hier ist § 53 BZRG zu beachten. |
Beispiel
Der Kläger hatte sich bei der beklagten Bezirksregierung als Seiteneinsteiger für eine Lehrerstelle beworben und bei der Einstellung ein Formular ausgefüllt und unterschrieben, wonach keine Vorstrafe vorliege und auch kein gerichtliches Strafverfahren und kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wegen eines Vergehens oder Verbrechens anhängig oder innerhalb der letzten drei Jahre anhängig gewesen sei. Nach der Arbeitsaufnahme ging ein anonymes Schreiben bei der Schule des Klägers und der zuständigen Bezirksregierung ein, in dem darauf hingewiesen wurde, dass der Kläger unter dem Verdacht des Kindesmissbrauchs stehe. Auf Anfrage der Bezirksregierung bei der Staatsanwaltschaft wurde eine Liste von mehreren eingestellten Verfahren gegen den Kläger übersandt. Von zwei Ermittlungsverfahren hatte der Kläger unstreitig keine Kenntnis gehabt.