I. Normenhierarchie
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Wie in jedem Rechtsgebiet existiert auch im Arbeitsrecht eine Normenhierarchie der Rechtsquellen, an deren Spitze über dem Grundgesetz stehendes Europarecht steht, während am unteren Ende das dispositive, also das abdingbare, Gesetzesrecht zu finden ist. Prinzipiell geht demnach auch hier das ranghöhere dem rangniederen Gesetz vor. Auflockerungen von diesem strengen Rangverhältnis können jedoch durch eine Besonderheit des Arbeitsrechts, dem Günstigkeitsprinzip, hervorgerufen werden. Im Einzelfall kann die rangniedere Vorschrift der ranghöheren ausnahmsweise vorgehen, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist als die eigentlich anwendbare Norm.
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Die Rangfolge der verschiedenen Rechtsquellen lässt sich wie folgt darstellen:
1. | Zwingendes Gesetzesrecht a) EG-/EU-Recht b) Grundgesetz c) Einfaches Recht |
2. | Zwingende Kollektivvereinbarungen a) Der jeweils gültige und anwendbare Tarifvertrag b) Betriebsvereinbarungen/Dienstvereinbarungen |
3. | Arbeitsvertrag inklusive … a) … allgemeiner Arbeitsbedingungen b) … betrieblicher Übung c) … Direktionsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO) |
4. | Dispositive Kollektivvereinbarungen a) Tarifvereinbarung b) Betriebsvereinbarung |
5. | Dispositives Gesetzesrecht (z.B. § 616 BGB ) Dispositives Gesetzesrecht lässt eine Abweichung, die zum Nachteil für den Arbeitnehmer ist, grundsätzlich zu. |
1. Teil Grundzüge des Arbeitsrechts › C. Rechtsquellen des Arbeitsrechts und ihre Rangfolge › II. Quellen
II. Quellen
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Wie soeben dargestellt, sind zahlreiche Gesetze, Richtlinien und sonstige Rechtsnormen zu beachten, wenn man einen arbeitsrechtlichen Fall lösen muss.
1. Europarecht
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Entsprechend der oben dargestellten Rangfolge ist das geltende EU-Recht als Erstes zu erwähnen. Als wichtigstes gesetzliches Regelungswerk ist der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (abgekürzt mit „AEUV“) zu nennen. Darin sind wichtige Grundsätze geregelt, etwa das allgemeine Diskriminierungsverbot in Art. 18 AEUV, die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Art. 45 AEUV und die Entgeltgleichheit in Art. 157 AEUV.
2. Verfassungsrecht
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Das Grundgesetz enthält wichtige Grundrechte, die auf das Arbeitsrecht einwirken. Die allgemeinen Grundrechte sind – da die Arbeitsvertragsparteien nicht zu den staatlichen Adressaten der Grundrechte gehören – nur über sogenannte Einfallstore (z.B. §§ 242, 315 BGB) des Zivilrechts zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber z.B. bei Ausübung des billigen Ermessens i.S.d. § 315 Abs. 1 BGB darauf achten muss, dass er die familiäre Situation (Art. 6 GG) oder die Religionsfreiheit (Art. 4 GG) des Arbeitnehmers hinreichend in seine Überlegungen mit einbezieht.
Beispiel
Eine Einzelhandelskauffrau arbeitet in ihrem ehemaligen Ausbildungsbetrieb, einem Kaufhaus. Sie hat türkische Wurzeln. Der Arbeitgeber beschäftigt im Verkauf ca. 85 Arbeitnehmer, im Verwaltungsbereich 8 Arbeitnehmer, in der Warenannahme 2 Arbeitnehmer und mit Hausmeisteraufgaben 3 Mitarbeiter. Nach der Elternzeit erklärte die Arbeitnehmerin ihrem Arbeitgeber, sie werde künftig ein Kopftuch tragen. Ihre religiösen Vorstellungen hätten sich gewandelt, ihr muslimischer Glaube verbiete es ihr, sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zu zeigen. Zwei Gespräche mit der Personalleitung konnten sie nicht davon abbringen, obwohl man ihr mitgeteilt hatte, dass dann eine Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses unausweichlich sei. Gegen die Kündigung ging die Arbeitnehmerin vor. Sie unterlag in der zweiten Instanz. Ihre Revision vor dem BAG[1] hatte jedoch Erfolg. Das BAG wertete die Kündigung als sozial ungerechtfertigt nach § 1 Abs. 2 KSchG. Sie sei nicht durch einen verhaltensbedingten Grund (worauf sich der Arbeitnehmer hauptsächlich berufen hatte) und auch nicht durch einen personenbedingten Grund gerechtfertigt gewesen. Die Arbeitnehmerin könne ihrer vertraglichen Verpflichtung auch ein Kopftuch tragend nachkommen. Weder Verkaufsgespräche noch -vorgänge würden dadurch gestört. Wörtlich führten die Richter dann zur o.g. Thematik aus: „[…]sowohl bei der Ausübung ihres Weisungsrechts als auch bei der Ausgestaltung dieser vertraglichen Pflicht ist das spezifische, durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG grundrechtlich geschützte Anliegen der Klägerin, aus religiösen Gründen nicht mehr ohne ein Kopftuch zu arbeiten, zu beachten. Auf Grund der verfassungsrechtlich gewährleisteten, im Arbeitsverhältnis bei der Ausübung des Weisungsrechts oder der Ausgestaltung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht zu berücksichtigenden Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Klägerin kann deshalb die Beklagte nicht ohne weiteres die Einhaltung der in ihrem Betrieb allgemein üblichen Bekleidungsstandards verlangen und die Klägerin zur Arbeitsleistung ohne ein Kopftuch wirksam auffordern.“ Die in § 315 Abs. 1 BGB geforderte Billigkeit werde inhaltlich durch die Grundrechte, hier vor allem durch die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG und die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung des Art. 4 Abs. 2 GG, mitbestimmt: „Kollidiert das Recht des Arbeitgebers, im Rahmen seiner gleichfalls grundrechtlich geschützten unternehmerischen Betätigungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), die auch für die Beklagte als juristische Person nach Art. 19 Abs. 3 GG gewährleistet ist, den Inhalt der Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers näher zu konkretisieren, mit grundrechtlich geschützten Positionen des Arbeitnehmers, so ist das Spannungsverhältnis im Rahmen der Konkretisierung und Anwendung der Generalklausel des § 315 BGB einem grundrechtskonformen Ausgleich der Rechtspositionen zuzuführen. Dabei sind die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, daß die geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden („praktische Konkordanz“).“[2]
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In der Klausur ist es wichtig, genau darauf zu achten, in welchem Bereich der betroffene Arbeitnehmer arbeitet. Die Abwägung der Grundrechte kann nämlich auch – sogar bei sonst sehr ähnlichem Sachverhalt – genau anders herum ausgehen:
Beispiel
Eine Erzieherin ist bei einer Stadt angestellt, die 34 Kindertagesstätten betreibt. Die Arbeitnehmerin hat türkische Wurzeln. Sie trägt aus religiösen Gründen auch bei der Arbeit ein Kopftuch. Es gilt das Kindertagesbetreuungsgesetz (KiTaG) Baden-Württemberg, das u.a. vorsieht, dass Erziehungspersonen „in Einrichtungen,