1. Die Grundfreiheiten als Instrument negativer Integration
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Die Grundfreiheiten des AEUV, d.h. die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 ff. AEUV, die Arbeitnehmer- und Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 45 ff. und Art. 49 ff. AEUV, die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 ff. AEUV sowie die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 ff. AEUV, stellen die Grundpfeiler des unionalen Binnenmarkts i.S.v. Art. 26 Abs. 2 AEUV dar, dessen Verwirklichung auch über 1992 eine Dauerverpflichtung der Mitgliedstaaten und der Union ist. Als Instrument negativer Integration verbieten sie (sowohl de jure als auch de facto) Diskriminierungen sowie unterschiedslos wirkende Beschränkungen, d.h. Maßnahmen mit protektionistischer oder marktfragmentierender Wirkung, im grenzüberschreitenden innerunionalen (nicht im rein inländischen) Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr, wobei sie lediglich auf die Marktzugangsöffnung, nicht aber auf eine allgemeine Marktliberalisierung abzielen. Im Einklang mit der Außenhandelstheorie der komparativen Kostenvorteile gelingt so mit der Herstellung eines einheitlichen, größeren Marktes eine bessere Ressourcenallokation.
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Mittelbar können die Grundfreiheiten auch zu positiver Integration führen, wenn eine gegen einschlägige Grundfreiheiten verstoßende, jedoch gerechtfertigte mitgliedstaatliche Maßnahme aufgrund einer drohenden Fragmentierung des Binnenmarktes dessen Funktionieren beeinträchtigt bzw. zu beeinträchtigen droht und damit die unionale Harmonisierungskompetenz gemäß Art. 114 AEUV auslöst.
a) Das Zusammenspiel der Dassonville- und Keck-Formel im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit
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Bei der Durch- bzw. Umsetzung des Binnenmarktkonzepts spielt die Rechtsprechung des Gerichtshofs eine maßgebliche Rolle, etwa mit Blick auf die Ausdehnung des warenverkehrsrechtlichen Verbots nicht-fiskalischer Maßnahmen i.S.v. Art. 34 AEUV von einem Diskriminierungs- zu einem Beschränkungsverbot im Rahmen der sogenannten Dassonville-Formel. Auch interne Marktregulierungen wie Verkaufsverbote, die beschränkend auf den Marktzugang wirken (können), sind damit von Art. 34 AEUV erfasst.
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Mit der Keck-Rechtsprechung hat der Gerichtshof den sehr weiten Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV wieder eingeschränkt. Wortlautgemäßer Anknüpfungspunkt der Keck-Formel sind sogenannte „bestimmte Verkaufsmodalitäten“, die nicht geeignet sind, den innerunionalen Handel i.S.d. Dassonville-Formel zu beschränken. Zur Konkretisierung der Begrifflichkeit wird regelmäßig auf die Unterscheidung von vertriebs- und produktbezogenen Regelungen zurückgegriffen, wobei nur erstere unter die Verkaufsmodalitäten fallen. Einen wirklichen dogmatischen Gewinn bringt diese Differenzierung allerdings nicht. Der Kerngedanke der Keck-Formel ist jedenfalls, ob bzw. inwiefern eine interne Marktregulierung starke[9] oder erhebliche[10] Auswirkungen auf den Marktzugang hat.[11] Diese darf den Marktzugang zwar im Rahmen ihrer Eigenschaft als „bestimmte Verkaufsmodalität“ beschränken; eine solche Beschränkung darf aber nicht stärker ausgestaltet sein, als dies für inländische Erzeugnisse der Fall ist.[12]
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Durch das Zusammenspiel der Dassonville- und Keck-Formel werden damit zum einen aufgrund der Ausnahme der „bestimmten Verkaufsmodalitäten“ nur diejenigen internen Marktregulierungen „herausgefiltert“, die den Marktzugang und folglich den innerunionalen Handel in hinreichend bedeutender Weise beschränken. Zum anderen werden die unterschiedlichen Geltungsbereiche des Beschränkungs- und des Diskriminierungsverbots deutlich. Soweit es sich um eine den innerunionalen Handel beschränkende, d.h. um eine marktzugangsbezogene Maßnahme handelt, gelten sowohl das Beschränkungs- als auch das Diskriminierungsverbot. Betrifft eine mitgliedstaatliche Regulierung dagegen nur interne Sachverhalte im Sinne einer „bestimmten Verkaufsmodalität“, ist diese interne Regulierung nach der Keck-Rechtsprechung keine Beschränkung und ausschließlich am Diskriminierungsverbot zu messen.[13]
b) Einführung der sogenannten Dreistufenprüfung durch den Gerichtshof
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Mittlerweile hat sich der Gerichtshof von der Prüfung der Keck-Formel teilweise gelöst und führt eine sogenannte Dreistufenprüfung durch. Danach prüft der Gerichtshof das Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung i.S.v. Art. 34 AEUV anhand von drei Fallgruppen:[14] (1) Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot, (2) Missachtung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung (Vorliegen von produktbezogenen, unterschiedslos anwendbaren Vorschriften, nach denen Produkte bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen, selbst wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind; produktbezogenes Beschränkungsverbot), (3) sonstiges Marktzugangshindernis. Das Kriterium der Marktzugangsbehinderung ist damit eindeutig zum Leitprinzip der Eingriffsprüfung i.R.d. Art. 34 AEUV geworden. Darüber hinaus scheint die Dreistufenprüfung auch die Dassonville-Formel entbehrlich zu machen.[15] Zudem erscheint auch die Frage der Übertragbarkeit der Keck-Formel auf andere Grundfreiheiten als die Warenverkehrsfreiheit in Anbetracht der „grundfreiheitsneutralen“ Konzeption der Dreistufenprüfung im Grunde obsolet (siehe Fall 2, Rn. 154 ff.).
Bislang ist das Verhältnis zwischen der Dreistufenprüfung und der Keck-Formel allerdings nicht abschließend geklärt und einzelne Kammern des Gerichtshofs verwenden weiterhin die tradierten Formeln.
aa) Un-/Geschriebene Rechtfertigungsgründe
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Darüber hinaus hat der Gerichtshof mit Einführung der zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls i.S.d. Cassis de Dijon-Formel die Dogmatik der Grundfreiheiten zum einen über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe (vgl. Art. 36 AEUV, Art. 45 Abs. 3 AEUV, Art. 52 AEUV (i.V.m. Art. 62 AEUV) und Art. 65 Abs. 1 lit. b AEUV) hinaus erweitert, zum anderen dahingehend geprägt, dass klargestellt wurde, dass Waren, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht wurden, grundsätzlich unionsweit frei zirkulieren dürfen.[16] Aus kollisionsrechtlicher Sicht kommt damit das Herkunftslandprinzip zum Tragen, das zur gegenseitigen Anerkennung „zulasten“ des Rechts des Bestimmungs- oder Aufnahmestaates verpflichtet. Allerdings findet andererseits die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung ihre Grenzen, soweit eine Maßnahme des Bestimmungs- bzw. Aufnahmestaates notwendig ist, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden.[17] Dabei handelt es sich bei den zwingenden Erfordernissen – wie bereits angedeutet – nicht um tatbestandliche Einschränkungen, sondern um zusätzliche Rechtfertigungsgründe,