4. Anforderungen an regionale Handelsabkommen gemäß Art. XXIV GATT
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Mit Blick auf die regionale Wirtschaftsintegration sind vor allem die einschlägigen Vorschriften betreffend wirtschaftlicher Integrationsabkommen zu beachten, d.h. für den Warenhandel Art. XXIV GATT bzw. für den Dienstleistungshandel Art. V GATS, die sich in ihren materiellen Anforderungen an regionale Handelsabkommen stark ähneln. Gemäß den genannten Vorschriften sind regionale Wirtschaftsintegrationsabkommen zulässig, die aufgrund der durch das jeweilige Abkommen gegenüber einem begrenzten Kreis von WTO-Mitgliedern gewährten Begünstigungen grundsätzlich einen Verstoß gegen den Meistbegünstigungsgrundsatz darstellen würden.
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Gemäß Art. XXIV:4 GATT erkennen die WTO-Mitglieder an, dass es wünschenswert ist, durch freiwillige Vereinbarungen zur Förderung der wirtschaftlichen Integration der teilnehmenden Länder eine größere Freiheit des Handels herbeizuführen. Dabei regelt Art. XXIV:5, 8 GATT grundsätzlich lediglich die Zulässigkeit von Zollunionen und Freihandelsabkommen, deren Zweck es sein soll, den Handel zwischen den teilnehmenden Staaten zu erleichtern. Art. XXIV GATT erlaubt damit die Errichtung von Freihandelszonen bzw. Zollunionen, soweit die eingeführten Zölle und Handelsvorschriften für den Handel in ihrer Gesamtheit nicht höher oder einschränkender als vor der Bildung der jeweiligen Integrationsgemeinschaft sind (Art. XXIV:5 lit. a, b GATT) sowie das jeweilige Abkommen annähernd den gesamten Handel betrifft (Art. XXIV:8 lit. a, b GATT). Die Auslegung der dargelegten Begrifflichkeiten ist aufgrund ihrer Unbestimmtheit vergleichsweise schwierig. Nach dem Appellate Body in Turkey – Textiles ist „annähernd der gesamte Handel“ nicht das Gleiche wie „der gesamte Handel“, bedeutet aber gleichzeitig deutlich mehr als „some of the trade“.[54] Zudem sind für die Bewertung sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte heranzuziehen (siehe Fall 1, Rn. 97).[55]
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Hinweis:
Für Dienstleistungsabkommen gelten gemäß Art. V GATS grundsätzlich vergleichbare Anforderungen, nämlich die Erstreckung auf einen beträchtlichen sektoralen Geltungsbereich (Art. V:1 lit. a GATS) sowie keine Erhöhung des allgemeinen Niveaus der Hemmnisse für den Dienstleistungshandel in den jeweiligen (Teil-)Sektoren (Art. V:4 GATS). Hinsichtlich des Kriteriums des „beträchtlichen sektoralen Geltungsbereichs“ konkretisiert die Fußnote 1 zu Art. V GATS, dass diese Bedingung die Zahl der Sektoren, das betroffene Handelsvolumen und die Erbringungsformen (modes of supply i.S.v Art. I GATS) betrifft; insbesondere soll keine Erbringungsform in einem Integrationsabkommen ausgeschlossen sein.
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Darüber hinaus bedarf es einer angemessenen Zeitspanne zur Umsetzung der Zollunion bzw. des Freihandelsabkommens i.S.v. Art. XXIV:5 lit. c GATT sowie der Notwendigkeit der jeweiligen Handelsregelung für die Verwirklichung der Zollunion bzw. des Freihandelsabkommens (vgl. den Wortlaut des Art. XXIV:5 GATT [„zur Bildung“] sowie die Rechtsprechung des Appellate Body in der Rechtssache Turkey – Textiles[56]).
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Gemäß Art. XXIV:7 GATT bzw. Art. V:7 GATS besteht zudem eine Notifizierungspflicht für regionale Integrationsabkommen. Durch den Transparenzmechanismus für Regionale Handelsabkommen von 2006 wurde diese Notifizierungspflicht im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt präzisiert. Danach sollen die WTO-Mitglieder im Rahmen einer frühzeitigen Bekanntmachung möglichst bereits die Aufnahme von Verhandlungen anzeigen, die auf den Abschluss eines Abkommens gerichtet sind. Die eigentliche Notifizierung soll „so früh wie möglich“, d.h. im Regelfall unmittelbar nach der völkerrechtlichen Ratifizierung und in jedem Fall vor der eigentlichen Anwendung des Abkommens erfolgen.[57] Der Transparenzmechanismus stellt allerdings allein ein zusätzliches verfahrensrechtliches Element dar, durch das die Transparenz der vielfältigen Abkommensbeteiligungen der WTO-Mitglieder und deren jeweiliger Inhalte erhöht werden sollen. Materiell-rechtlich hat der Mechanismus keine Relevanz.
III. Das internationale Investitionsschutzrecht
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Das internationale Investitionsschutzrecht ist überwiegend durch eine Vielzahl von bilateralen Investitionsschutzabkommen geprägt. Mit dem Bedürfnis nach fortschreitender Wirtschaftsintegration von vergleichbar homogenen Wirtschaftsräumen enthalten allerdings mittlerweile auch moderne plurilaterale „Handels- und Wirtschaftsabkommen des 21. Jahrhunderts“ Investitionsschutzkapitel (beispielsweise das North American Free Trade Agreement [NAFTA] oder das Comprehensive Economic and Trade Agreement [CETA]).
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Während ein wesentlicher Aspekt der Handelsliberalisierung die Erleichterung des Marktzugangs etwa durch Zollabbau ist, spielt die Marktöffnung im Investitionsschutzrecht eine eher untergeordnete Rolle. Ein Marktzugangsrecht vermittelt allerdings das GATS, soweit sich ein WTO-Mitglied für den Dienstleistungsmodus 3, nämlich der Dienstleistungserbringung durch eine kommerzielle Präsenz, in seinen sektorspezifischen Zugeständnislisten gemäß Art. XVI GATS dazu verpflichtet hat (Positivlisten-Ansatz; anders dagegen im NAFTA mit einem Negativlisten-Ansatz).[58] Dabei erfasst der Modus 3 allerdings nur ausländische Direktinvestitionen, d.h. solche Investitionen, mit denen sich ein Investor dauerhaft oder für eine gewisse Zeit wirtschaftlich im Zielland betätigen will bzw. durch die er zumindest im Rahmen eines Anteilserwerbs an einem im Zielland bereits ansässigen Unternehmens einen bestimmenden Einfluss erhält.[59]
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Der Anwendungsbereich von Investitionsschutzabkommen bzw. den entsprechenden Kapiteln in Wirtschaftsabkommen ist regelmäßig schlicht durch den gängigen Investitionsbegriff – im deutschen Model-BIT durch den Begriff der Kapitalanlage sowie des Investors – definiert und damit nicht bereits während der sogenannten pre-establishment-Phase einer Investition, sondern erst ab dem Zeitpunkt deren tatsächlicher Etablierung (post establishment-Phase) eröffnet. Erst dann kann sich ein Investor im Streitfall auf die einschlägigen investitionsschutztypischen Standards, etwa Fair and Equitable Treatment, Full Protection and Security
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Ein Investor erhält in Investitionsschutzverträgen regelmäßig ebenfalls ein eigenständiges Klagerecht zur Durchsetzung seiner Ansprüche in Investor-Staat-Verfahren vor einem (auf ad hoc-Basis einzurichtenden) Schiedsgericht. Diese schiedsgerichtliche Klagemöglichkeit bezweckt mittlerweile allerdings weniger die Verschaffung von Rechtssicherheit gegenüber dem Investor bzw. die Überwindung von Rechtsunsicherheit vor den staatlichen Gerichten des Aufnahmestaates als die Schließung von Rechtsschutzlücken, die sich regelmäßig aus der unterschiedlichen – wenngleich völkerrechtlich zulässigen – rechtlichen Behandlung von In- und Ausländern in innerstaatlichen Rechtsordnungen ergeben. Die Effektivität des schiedsgerichtlichen Streitbelegungssystems ist – zumindest in Fällen, in denen die Streitparteien der Zuständigkeit des ICSID zugestimmt haben – dadurch gewährleistet, dass ein ICSID-Schiedsspruch gemäß Art. 54 Abs. 1 der ICSID-Konvention in den Vertragsstaaten wie ein Urteilsspruch eines nationalen Gerichts zu behandeln ist und damit ohne weiteres Anerkennungsverfahren vollstreckt werden kann.
D. Berührungspunkte von Europäischem und Internationalem Wirtschaftsrecht
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Berührungspunkte bzw. Schnittstellen der beiden Rechtsmaterien ergeben sich bereits