§ 38 Schutzvoraussetzungen
I. Begriffsbestimmungen
Während das alte Gesetz bis zur Reform 2004 keine Legaldefinition des Begriffs des Geschmacksmusters enthielt und die Definition der Rechtsprechung überließ, enthält das reformierte, seit der Modernisierung 2013 als Designgesetz bezeichnete Recht einige wesentliche Begriffsbestimmungen (vgl. § 1 DesignG), insbesondere auch eine Definition des Begriffs „Design“ (früher „Muster“), das den Gegenstand des Schutzrechts beschreibt. Ein „DesignDesign“ ist danach eine zweidimensionale oder dreidimensionale ErscheinungsformFormErscheinungs- eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teiles davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst oder seiner Verzierung ergibt (§ 1 Nr. 1 DesignG). Ein „Erzeugnis“ ist seinerseits definiert als jeder industrielle oder handwerkliche Gegenstand, einschließlich Verpackung, Ausstattung, grafischer Symbole und typografischer Schriftzeichen sowie von Einzelteilen, die zu einem komplexen Erzeugnis (seinerseits definiert in § 1 Nr. 3 DesignG) zusammengebaut werden sollen; ein ComputerprogrammComputerprogramm gilt nicht als Erzeugnis (§ 1 Nr. 2 DesignG). In begrifflicher Hinsicht ist im Übrigen zu beachten, dass der SchutzgegenstandSchutzgegenstandDesign des Designschutzes bis zur Eintragung als „Design“ und erst nach der Eintragung als „eingetragenes Designeingetragenes Design“ (früher „GeschmacksmusterGeschmacksmuster“) bezeichnet wird (vgl. § 2 Abs. 1 DesignG). Diese sprachliche Differenzierung des deutschen Gesetzes weicht, wie bereits nach alter Gesetzeslage, von der Terminologie der GemeinschaftsgeschmacksmusterGemeinschaftsgeschmacksmuster-verordnungverordnung (GGV) ab, die den zu schützenden Gegenstand vor der Eintragung als „Geschmacksmuster“ bezeichnet und danach als „Gemeinschaftsgeschmacksmuster“ (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 GGV). Die in der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung verwendeten Begrifflichkeiten „Geschmacksmuster“ und „Gemeinschaftsgeschmacksmuster“ können nur durch die verordnungsgebenden Organe der EU geändert werden. Eine der modernisierten deutschen Terminologie entsprechende Änderung soll offenbar von deutscher Seite angeregt werden.1
II. Materielle Schutzvoraussetzungen
Die materiellen Schutzvoraussetzungen des Designschutzes ergeben sich aus § 2 Abs. 1 DesignG. Danach wird ein Design als eingetragenes Design geschützt, wenn es neu ist und EigenartEigenartDesignschutzEigenart aufweist.
1. NeuheitNeuheitgeschmacksmusterfähige
Ein Design gilt als neu, wenn vor dem Anmeldetag kein identisches Design offenbart worden ist (§ 2 Abs. 2 S. 1 DesignG).
a) Vorbekannter Formenschatz
Grundlage der Prüfung der Neuheit eines angemeldeten Designs – und auch der Eigenart (hierzu sogleich unter 2.) – sind danach alle Designs, die zum fraglichen Stichtag – dem Anmeldetag – offenbart worden sind. Diese als Beurteilungs- und Vergleichsmaßstab heranzuziehenden bereits offenbarten Designs werden in der Terminologie der deutschen Rechtsprechung als „vorbekannter Formenschatz“ bezeichnet.1 Der vorbekannte Formenschatz ist damit für den Bereich der ÄsthetikÄsthetik das Pendant zum „Stand der TechnikStand der Technik“ im Bereich der technischen SchutzrechtSchutzrechttechnischese, an dem sich im Patentrecht die Neuheit der Erfindung und die Frage des Vorliegens der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit bemisst (s.o. § 9).2 Die wichtige Frage, wann ein Design „offenbart“ ist und damit dem vorbekannten Formenschatz angehört, ist allerdings nicht in § 2 DesignG, sondern in § 5 DesignG (OffenbarungOffenbarungDesignschutzOffenbarung) geregelt. Danach ist ein Design offenbart, wenn es bekannt gemacht, ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, es sei denn, dass dies den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen des betreffenden Sektors im normalen Geschäftsverlauf vor dem Anmeldetag des Designs nicht bekannt sein konnte. Durch den letzten Halbsatz ist klargestellt, dass nicht jede Offenbarung im Wortsinne bereits eine neuheitsschädliche Offenbarung ist. Vielmehr ist der Begriff im Sinne eines relativ-objektiven Neuheitsbegriffs dahingehend relativiert, dass es neben der bloßen Offenbarung ergänzend auf die Kenntnisnahmemöglichkeit der jeweiligen Fachkreise innerhalb der Europäischen Union ankommt. Sinn der Vorschrift ist es, zu verhindern, dass der nachgesuchte Designschutz an Gestaltungen scheitert, die zwar irgendwo in der Welt – etwa in einem unbekannten Museum oder an einem entfernten Ort – vorveröffentlicht wurden, die den europäischeuropäischFachkreisen Fachkreisen – Designern, Herstellern, Händlern des betroffenen Sektors – jedoch nicht bekannt sein konnten.3 Ein unter der ausdrücklichen oder stillschweigenden Bedingung der Vertraulichkeit – etwa im Rahmen bestehender oder angebahnter Geschäftsbeziehungen – bekannt gemachtes Design gilt nicht als offenbart (§ 5 S. 2 DesignG). Auch die bloße Anmeldung eines Designs kann den maßgeblichen Fachkreisen in der Regel nicht bekannt sein, da eine allgemeine Recherche nach angemeldeten, aber noch nicht bekanntgemachten Designs nicht möglich ist.4 Für die Beurteilung der Neuheit ist nach § 13 DesignG der Anmeldetag, d.h. derjenige Tag, an dem die Unterlagen mit den Angaben nach § 11 Abs. 2 DesignG vollständig beim DPMA (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 DesignG) oder einem zur Entgegennahme bestimmten Patentinformationszentrum (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 DesignG) eingegangen sind oder, wenn wirksam eine PrioritätPriorität in AnspruchAnspruchPriorität genommen worden ist, der PrioritätPriorität-stagstag (§ 13 Abs. 2 DesignG) maßgeblich.
b) NeuheitNeuheit-sschädliche Identitätsschädliche IdentitätIdentitätneuheitsschädliche
Designs gelten als identisch, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden (§ 2 Abs. 2 S. 2 DesignG), d.h. eine Abweichung eines Designs vom vorbekannten Formenschatz in unwesentlichen Einzelheiten kann die Neuheit eines Designs nicht begründen.1 Die Prüfung der Identität macht einen Vergleich mit jedem vorbekannten Design erforderlich, dessen ErscheinungsformFormErscheinungs- dem Gegenstand des Designs ausreichend ähnlich ist (sog. fotoFotoNeuheitsbegriffgrafischer NeuheitNeuheitfotografischer Neuheitsbegriffsbegriff). Das heißt, es findet ein Einzelvergleich statt, bei dem das Design isoliert und gesondert jedem einzelnen Erzeugnis aus dem vorbekannten Formenschatz gegenübergestellt wird. Ist der Gesamteindruck eines Designs durch eine Kombination von Merkmalen bestimmt, fehlt nur dann die Neuheit, wenn sich die vollständige Zusammenfassung der Kombinationsmerkmale in einem einzigen Erzeugnis aus dem vorbekannten