II. Staatskirchenrechtliche Grundlagen für das kirchliche Arbeitsrecht
1. Geschichtliche Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts
Die Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts ist die Geschichte einer Emanzipation der Institutionen Kirche und Staat, geprägt von Machtinteressen, inneren Widersprüchen und Rückschlägen auf dem Weg zu einer ausbalancierten Freiheit der Kirchen in einem modernen rechtsstaatlichen Gemeinwesen. Sie setzt im Wesentlichen mit der von Martin Luther angestoßenen protestantischen Reformation ein. Die enorme Bedeutung der durch diese Bewegung entfesselten Dynamik schlägt sich in der pointierten Bezeichnung des deutschen Staatskirchenrechts als „Reformationsfolgenrecht“237 nieder. Auch die konfessionelle Situation in Deutschland ist bis zum heutigen Tage entscheidend von der Reformation geprägt.238
Im Spätmittelalter hatten sich die Fürsten der Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation weitgehende Aufsichts- und Verwaltungsrechte über die Kirche und ihr Vermögen geschaffen, eine Verweltlichung der Kirche war die Folge.239 Auch dagegen richteten sich Luthers 95 Thesen aus dem Jahr 1517, die eine Rückbesinnung der Kirche zu ihrer geistlichen Berufung intendierten. Dabei erneuerte er die von Augustinus begründete Zwei-Reiche-Lehre und opponierte so gegen die Verschränkung von kirchlichen (civitas dei) und weltlichen (civitas terrana) Organisationsstrukturen. Zahlreiche weltliche Stände schlossen sich der Reformation an; viele verweigerten sich jedoch der aus ihrer Sicht häretischen neuen Lehre. Die auf diese Weise eingetretene Glaubensspaltung hatte eine schwere Verfassungsstörung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zur Folge.240 Denn die verlorene Glaubenseinheit des corpus christianum führte im reichsfürstlich föderalisierten Deutschland zu einer Verbindung der religiösen Auseinandersetzungen um die „wahre Lehre“ mit dem politischen Kampf um Macht.241 Das Verhältnis von Staat und Kirche war grundlegend infrage gestellt worden.242
In den zahlreichen auch kämpferisch geführten Auseinandersetzungen konnte sich keine der beiden Seiten nachhaltig durchsetzen. Erst durch den 1555 geschlossenen Augsburger Religionsfrieden243 konnte der verlorenen religiösen Einheit durch die Etablierung einer friedlichen Koexistenz zwischen den sich gegenseitig ausschließenden Konfessionen stabilisierend begegnet werden. Das Übereinkommen gilt als lex fundamentalis244 und prägte zusammen mit dem ein Jahrhundert später geschlossenen Westfälischen Frieden245 von 1648 den staatskirchenrechtlichen Aufbau des alten Reichs bis zu dessen Ende im Jahr 1806.246 Sämtliche Reichsstände erhielten das Recht, den Bekenntnisstand und die Ordnung des Kirchenwesens in ihrem Gebiet zu bestimmen;247 insofern kam es gewissermaßen zu einer „föderalistischen Lösung“ der Bekenntnisfrage.248 Zwar erfolgte auf diese Weise keine Anerkennung individueller Religionsfreiheit, da die einzelnen Territorien in konfessioneller Hinsicht zwingend homogen zu sein hatten. Aber auf der Ebene des Reiches galten fortan die noch heute gültigen staatskirchenrechtlichen Fundamente der Neutralität und Parität hinsichtlich der beiden christlichen Hauptkonfessionen.249
Während dieser Epoche waren in sämtlichen Reichsständen geistliche und weltliche Sphäre weiterhin eng verbunden, das weltliche Recht beeinflusste die Kirchenstruktur.250 Dies basierte (ironischerweise) in den evangelischen Territorien auch auf einer Entscheidung, die der Lehre Luthers diametral entgegenstand: Der Wegfall der bisherigen Kirchenorganisation hatte ein Vakuum entstehen lassen, das durch die Anerkennung der weltlichen Territorialherrscher als Notbischöfe gefüllt wurde (sogenanntes Episkopalsystem251) – es bildeten sich territoriale Landeskirchen, die von staatlicher Führung abhängig waren.252 Auch die katholische Kirche unterlag in ihren Gebieten weiterhin umfangreichen Einflüssen der jeweiligen Landesherrn, da sie ihren Besitzstand während der Reformation nur mit Hilfe der katholisch gebliebenen Fürsten hatte wahren können.253 In diesem während des Absolutismus später als „Territorialismus“ bezeichneten Modell wurden die Kirchen weitreichend von der territorialen Staatsgewalt beherrscht.254 Die damit einhergehenden umfangreichen Ingerenzen provozierten indes ein immer stärker wachsendes Bedürfnis der Kirchen nach Freiheit vor staatlichen Eingriffen, was durch die Strömung der Aufklärung und Toleranz unterstützt wurde.
Diese Bestrebungen sollten sich kontinuierlich im Laufe des 19. Jahrhunderts durchsetzen; es reifte nun auch der Gedanke zur Gewährung kirchlicher Autonomie. Die staatliche Einflussnahme auf die Kirchen nahm – wenn auch mit Rückschlägen – beständig ab.255 Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 ist als Ausgangspunkt dieser Entwicklung zu betrachten, wenngleich er die Kirchen vor allen Dingen wirtschaftlich erheblich schwächte. Er erzwang eine Säkularisierung256, in deren Folge Besitztümer der Kirchen zur Entschädigung der während der Revolutionskriege depossedierten Fürsten enteignet und ganze geistliche Reichsstände aufgelöst wurden. Der Wiener Kongress brach mit seiner territorialen Neuordnung die bisherige konfessionelle Einheit der Territorien auf. Die nun wieder entstandene Heterogenität der Bekenntnisse verstärkte das Bedürfnis nach Toleranz und Neutralität auch auf einzelstaatlicher Ebene.257 Dies erklärt die Normierung individueller Religionsfreiheit hinsichtlich der christlichen Bekenntnisse in Art. XVI der Deutschen Bundesakte von 1815. Daneben induzierte die Säkularisation in Verbindung mit wachsenden kirchlichen Autonomieansprüchen den Prozess zur Herausbildung eines kirchlichen Selbstbestimmungsrechts.258
Insoweit kam durch das Revolutionsjahr 1848 erneut Bewegung in die staatskirchenrechtliche Entwicklung. Auch wenn der erste Versuch einer gesamtdeutschen Verfassung in Form der sogenannten Paulskirchenverfassung (PV) von 1848/49 scheiterte, so war sie doch in höchstem Maße wegweisend: Sie beinhaltete in § 144 Abs. 1 PV die uneingeschränkte Religionsfreiheit und garantierte nach § 147 Abs. 1 PV die Selbstverwaltungsfreiheit für jede Religionsgesellschaft, die aber den „allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen“ sein sollte. Eine Staatskirche sollte nicht bestehen (§ 147 Abs. 2 PV). Damit wurden die Grundlagen des modernen deutschen Staatskirchenrechts geschaffen, wenngleich dessen Umsetzung noch ausstand.259
In der Folge changierten Facetten eines Staatskirchentums einerseits und trennende Elemente andererseits.260 Dabei ist für das Ringen um Kontrolle und Unabhängigkeit zwischen den Kirchen und Staat die damalige Entwicklung in Preußen exemplarisch. Begründete die oktroyierte Preußische Verfassung von 1848 noch ein kirchliches Selbstverwaltungsrecht,261 kam es während des von Bismarck initiierten sogenannten Kulturkampfes zu antikatholischen Kampfgesetzen. Deren Ziel war eine Eindämmung der kirchlichen Freiheit und die Etablierung einer umfassenden Staatsaufsicht. Auch das kirchliche Selbstverwaltungsrecht der Preußischen Verfassung wurde 1875 wieder aufgehoben. Ex post kann diese Zeit aber als Durchgangsstadium während der Emanzipation von Staat und Kirche verstanden werden.262
Ihren Kulminationspunkt fand die bereits über ein Jahrhundert währende Phase des Umbruchs schließlich in der Revolution von 1918 und der Konstituierung der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919, die eine Epochenwende263 für das deutsche Staatskirchenrecht darstellt. Seitdem bestimmt Art. 137 Abs. 1 WRV – fast wortgleich wie in der damals noch gescheiterten Paulskirchenverfassung – die Trennung von Staat und Kirche.264 Konsequenterweise wurde mit der Normierung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Art. 137 Abs. 3 WRV auch die staatliche Hoheit über die Kirche beendet. Dennoch blieben verschiedene der vorangegangenen Verschränkungen und kirchlichen Privilegierungen bestehen.265
Nach der für die Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts unbedeutenden266 Zeit des Nationalsozialismus bewirkte die neue