Im Ergebnis lässt sich demnach feststellen, dass durch das BRG die verfahrensrechtlichen und prozessualen Durchsetzungsmittel der Mitbestimmungsrechte zwar nur schwach ausgebildet waren, jedoch auch im Bereich kirchlicher Einrichtungen Geltung beanspruchen konnten.
II. Die Zeit des Nationalsozialismus
Das durch das BRG auch den Arbeitnehmern in den kirchlichen Verwaltungen eingeräumte, aber von diesen kaum wahrgenommene Recht der Mitbestimmung wurde unter dem Nationalsozialismus aufgehoben (vgl. § 65 Nr. 1 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG)46). Der Arbeitgeber, nunmehr „Führer des Betriebes“ (§ 2 AOG), entschied in allen betrieblichen Angelegenheiten, die Belegschaft wurde zur „Gefolgschaft“ (§ 2 AOG). Statt eines Betriebsrats wurde ein „Vertrauensrat“ berufen (nicht gewählt), vom Arbeitgeber geleitet (§ 5 AOG), mit marginalen Beratungsfunktionen versehen (§ 6 II AOG) und vom „Treuhänder der Arbeit“, einem Staatsbeamten, kontrolliert (§ 19 Nr. 1 AOG). Diese jegliche Mitbestimmung eliminierende Gesetzgebung galt auch für die kirchlichen Verwaltungen47, musste dort aber deshalb nicht angewandt werden, weil erst die dort in der Regel nicht erreichte Mindestzahl von 20 Arbeitnehmern zur Berufung eines Vertrauensrates verpflichtete48 und die Berufung eines „Vertrauensobmanns“ in zahlenmäßig darunter liegenden „Gefolgschaften“ gesetzlich nicht vorgesehen war. Verstöße gegen betriebliche Pflichten durch den Führer des Betriebes oder den Vertrauensrat konnten vor das „Soziale Ehrengericht“ (§§ 35 ff.AOG) gebracht werden.
Die Zeit des Nationalsozialismus blieb aber nicht ohne Bedeutung für die Entwicklung des Mitarbeitervertretungsrechts nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Denn die theologische Reaktion auf die Herrschaftsideologie des Staates wirkte fort49.
Die Barmer Theologische Erklärung stellt ein situatives Bekenntnis gegen die Fremdbestimmung der Kirche dar. Sie ist eine Reaktion auf die Pläne Hitlers, der die Evangelische Kirche als Deutsche Evangelische Reichskirche unter die Führung des ihm treu ergebenden Reichsbischofs (Ludwig Müller) gestellt hatte50. Sie bringt zum Ausdruck, dass die nationalsozialistische Herrschaftsbzw. Führerideologie mit dem Selbstverständnis der Kirche unvereinbar ist51. Was aber mit dem kirchlichen Selbstverständnis nicht vereinbar ist, dem kann in der Kirche kein Raum gewährt werden, d. h. eine Betriebsverfassung, die von nationalsozialistischer Herrschaftsideologie geprägt ist, kann und darf in der Kirche keine Anwendung finden. Für die Entwicklung des Mitarbeitervertretungsrechts ist diese situative historische Erfahrung von grundsätzlicher Bedeutung. Sie besteht nicht nur in der kirchenpolitischen, sondern vor allem auch theologischen Erkenntnis, dass dieser Bereich eine innere Angelegenheit der Kirche darstellt, der zwar den Einflüssen staatlichen Rechts gegenüber durchaus offen sein, ihnen aber nicht ausgeliefert werden darf52.
Der Staat hat sich dieser Erkenntnis nicht verschlossen53 und der Kirche unter Rückbesinnung auf die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung durch Herausnahme aus dem Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrecht die Möglichkeit eröffnet, ein eigenes Mitarbeitervertretungsgesetz zu schaffen54. Dass von der Kirche für diese Herausnahme angeführte Argument der Andersartigkeit der kirchlichen Dienstleistungen gegenüber den Dienstleistungen eines wirtschaftlichen Betriebes manifestierte sich in der „Dienstgemeinschaft“55.
Als in theologischer Perspektive hierfür grundlegend wird bis heute These 4 der Barmer Theologischen Erklärung angesehen56.
III. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum MVG.EKD
Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges wurde die nationalsozialistische Gesetzgebung durch das Kontrollratsgesetz (KRG) aufgehoben. Dies ermöglichte den Ländern, eigene Betriebsrätegesetze zu erlassen, die sich inhaltlich z.T. an das BRG von 1920 anlehnten, daneben aber dem Betriebsrat durchaus mehr Partizipation an der Betriebsführung gewährten57. Auch der aus dem Jahr 1950 stammende Regierungsentwurf zum neuen Betriebsverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland stufte – wie das BRG – die privatrechtlichen Betriebe der Religionsgesellschaften als Tendenzunternehmen ein58. Zu einer völligen Freistellung der Kirchen vom staatlichen Betriebsverfassungsrecht sah man sich zunächst nicht veranlasst, weil die Kirche auch in der Weimarer Zeit trotz Art. 137 WRV widerspruchslos hingenommen hatte, als Arbeitgeber mit geistig-ideeller Ausrichtung und nicht in ihrer Besonderheit als Kirche in das staatliche Mitbestimmungsrecht einbezogen zu werden59.
Für die Entwicklung des Mitarbeitervertretungsrechts ist erheblich, dass die Landeskirchen nunmehr begannen, Mitarbeitervertretungsgesetze zu erlassen, um damit auch der Entwicklung, dass immer mehr Arbeitsverhältnisse im kirchlichen Bereich begründet wurden60, Rechnung zu tragen. Geschah dies zunächst noch vereinzelt in Anlehnung an die Betriebsrätegesetze der Länder, so wurden in der Zeit nach der Freistellung der Religionsgesellschaften von den staatlichen Mitbestimmungsgesetzen61 eigenständige Regelwerke erlassen, die den Mitarbeitervertretungen bereits durchaus auch Mitbestimmungsrechte einräumten, von deren Beachtung die Durchführbarkeit der von der Dienststelle beabsichtigten Maßnahme abhing62.
Diese landeskirchlichen Mitarbeitervertretungsgesetze waren hinsichtlich des Rechtsschutzes unterschiedlich ausgestaltet, stimmten aber darin überein, dass bei Meinungsverschiedenheiten aus dem Gesetz eine Schlichtungsstelle oder ein Schlichtungsausschuss zum Zwecke der Schlichtung angerufen werden konnte. Dabei wurden Zusammensetzung, Zuständigkeit und Befugnisse dieser Einrichtungen allerdings wieder unterschiedlich geregelt63. Nach einigen Mitarbeitervertretungsordnungen ist es ihre Aufgabe, die Streitigkeiten zwischen Dienststellenleitung und Mitarbeitervertretung zu schlichten und endgültig zu entscheiden64, nach anderen hat der Schlichtungsausschuss nicht in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nur zu prüfen und abschließend festzustellen, ob und in welchem Umfang die angefochtene Maßnahme gegen die zum Schutz und zur Förderung der Mitarbeiter erlassenen Gesetze, Verordnungen, sonstigen zwingenden Vorschriften, Verträge oder Dienstvereinbarungen verstößt oder ob bei Ermessensentscheidungen die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder das Ermessen in einer der Ermächtigung widersprechenden Weise offenbar missbraucht worden ist65.
Der Rat der EKD empfahl durch Bekanntmachung v. 26.5.1972 den Gliedkirchen aufgrund von Art. 9 b der Grundordnung der EKD, das Mitarbeitervertretungsrecht nach dem „Muster für ein Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in kirchlichen und diakonischen Dienststellen und Einrichtungen“66 zu regeln. In § 39 dieser Musterordnung (MO) wird das Verfahren vor dem Schlichtungsausschuss behandelt. § 39 I MO enthält einen Zuständigkeitskatalog. Nach § 39 IV 2 MO ist der Beschluss des Schlichtungsausschusses im Verhältnis zwischen Mitarbeitervertretung und Dienststellenleitung verbindlich. Weder ein einstweiliger Rechtsschutz noch ein Rechtsmittelverfahren sind vorgesehen.
Insbesondere die den Rechtsschutz betreffenden Regelungen lassen erkennen, wie sehr der kirchliche Gesetzgeber darauf bedacht war, Streitigkeiten als „Meinungsverschiedenheiten“ oder „Unstimmigkeiten“ aufzufassen, die in erster Linie durch eine Schlichtung und nicht durch eine streitige Entscheidung beizulegen sind67. Eine – wie auch immer geartete – Durchsetzung von Entscheidungen der Schlichtungsausschüsse war anscheinend vom kirchlichen Gesetzgeber nicht vorgesehen68. Dieses insbesondere die Mitarbeitervertretung betreffende Problem wurde in der Literatur durchaus gesehen69. Ein einstweiliger Rechtsschutz zur Sicherung und Regelung von sich aufgrund der Gesetze ergebenden Ansprüche fehlt70. Eine zweite Instanz, die gegen die Entscheidungen hätte angerufen werden können, ist nur in wenigen Landeskirchen vorgesehen71. Insofern kann von einem effektiven