Ein prägnantes Beispiel aus der Praxis hierfür wäre der Abschluss eines Lizenzvertrages durch eine Firma mit der Microsoft Corporation, dem Quasi-Monopolisten für Computer-Betriebssysteme281. Microsoft kann nicht nur wegen dieser Marktstellung, sondern auch wegen enormer juristischer Kapazitäten für jede Art von Interessenten standardisierte Lizenzverträge (sog. Volumenlizenzmodelle) vorgeben282. War man nicht gerade wie die Stadt München (zumindest vorübergehend) bereit283, auf einen der wenigen alternativen Anbieter umzusteigen und die damit verbundenen zusätzlichen Transaktionskosten zu tragen (insbes. Suchkosten, Sonderaufwand durch Prüfung individuell benötigter Programmierungen um behördliche Programme auch in alternativen Betriebssystemen laufen zu lassen, Schulung und Beratung von Mitarbeitern vor Einführung) so sieht man sich mit den Microsoft Lizenzmodellen konfrontiert. Während man als Weltkonzern vielleicht noch die Möglichkeit erhält, individuelle Anpassungen verhandeln zu können, ist es für andere entweder nicht möglich oder gar nicht sinnhaft, mit Microsoft Verhandlungen diesbezüglich anzustreben. Bereits die geringe Aussicht auf Erfolg, dass sich Microsoft überhaupt auf die Anpassung seiner Standardbedingungen einlässt, wird viele Firmen abschrecken, hierfür Rechts- und Beratungskosten zu veranlassen. Dies kann jedoch nicht als Ausdruck legitimer Ignoranz gesehen werden, sondern spiegelt schlicht eine realistische Einschätzung der eigenen Verhandlungsmacht und Erfolgswahrscheinlichkeit unter Berücksichtigung erwarteter Transaktionskosten wider.
Unter Beachtung der Ansicht der Kritiker der AGB-Kontrolle könnte man eine typische Verhandlungssituation auf Basis der später im Detail dargestellten Haftungskriterien für den Bereich der Folgeschäden in einem deskriptiven Modell schematisch wie folgt darstellen:
Abbildung 1: Eigenes Vertragsparitätskonzept
Unterstellt man, dass Vertragsparität eine absolut gleichwertige Verhandlungsmacht zwischen Zulieferanten und Kunden beschreibt, so wird sich in dieser Situation weder der Zulieferant noch der Kunde mit seinen Forderungen nach vertraglichen Abweichungen vom gesetzlichen Leitbild der unbeschränkten, verschuldensabhängigen Haftung nach BGB durchsetzen können (1). Die Erzielung von darüber hinaus gehenden Garantieerklärungen, welche zu einer verschuldensunabhängigen Haftung des Zulieferanten auch für Folgeschäden führen würden, wären für den Kunden genauso wenig durchsetzbar wie Haftungsbeschränkungswünsche des Zulieferanten.
Unterliegt der Zulieferant der Verhandlungsmacht des Kunden, so wird er gezwungen sein, auf Forderungen des Kunden z.B. nach der Übernahme verschuldensunabhängiger Haftung einzugehen284, welche über den gesetzlichen Regelfall hinausgehen (2).
Besitzt der Zulieferant eine höhere Verhandlungsmacht, so lassen sich nicht nur Garantieerklärungen abwehren, sondern auch die unbeschränkte Haftung mit unterschiedlichem Umfang ausschließen: Beim Vorliegen einer Individualvereinbarung ließe sich die Haftung für Folgeschäden bei einfacher Fahrlässigkeit und gar die Haftung für grobe Fahrlässigkeit vollumfänglich ausschließen (3). Hat der Zulieferant jedoch eine dermaßen starke Verhandlungsmacht, dass er seine Bedingungen einseitig setzen kann und diese somit der AGB-Kontrolle unterfallen, so kann er bei einer AGB-konformen Ausgestaltung der Klausel das Folgeschädenrisiko auf vorhersehbare (Folge-) Schäden beschränken (4), was jedoch das Haftungsrisiko nur wenig verringert. Bei nicht AGB-konformer Ausgestaltung der Haftungsklausel besteht das Risiko des Rückfalls auf die unbeschränkte Haftung im Verschuldensfall, geltend für alle Schäden (5). Die Grenze der Sittenwidrigkeit hat wie dargestellt nur eine minimale rechtliche und praktische Relevanz in Extremfällen (6) und bringt bei bereits bestehender Unwirksamkeit einer Haftungsklausel im Rahmen der AGB-Kontrolle keinen zusätzlichen Schutz.
Kritisiert wird von den Kritikern der AGB-Kontrolle v.a., dass auf branchenübliche Gepflogenheiten – wie den Ausschluss von Folgeschäden oder die Begrenzung von Schadensersatzansprüchen im Maschinenbau285 – keine Rücksicht genommen wird. Dies könnte modellhaft so berücksichtigt werden, dass – zumindest im Falle einfacher Fahrlässigkeit – der Ausschluss von Folgeschäden in AGBs als wirksam angesehen wird (7).
Abbildung 2: Eigenes Vertragsparitätskonzept unter Berücksichtigung von Branchenstandards und Kritikern der bisherigen AGB-Kontrolle
Wenn entsprechend der Forderungen einzelner Kritiker darüber hinaus alle getroffenen Vereinbarungen als Individualvereinbarungen angesehen und der AGB-Kontrolle entzogen sein sollen, so ergäbe sich wegen Wegfalls der Unterscheidung zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit – bis zur wenig relevanten Grenze der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB – keine Kontrollmöglichkeit getroffener Vereinbarungen. Bis an die Grenze der Haftung für Vorsatz könnte jegliche Haftung des Zulieferanten ausgeschlossen werden (8). Das oben geschilderte Konzept (unter vereinfachter Verwendung des Beispiels Microsoft) zeigt, dass die Befürworter der AGB-Kontrolle in unveränderter Form286, welche hauptsächlich aus atomistischen Marktstrukturen mit sehr wenigen starken Akteuren stammen287, hier zu Recht opponieren. Würde die AGB-Kontrolle im B2B-Bereich entfallen, so könnte der Zulieferant seine Verhandlungsmacht bis an die Grenze der Sittenwidrigkeit frei ausschöpfen. Für Kunden mit schwacher Verhandlungsmacht würde das Recht weiter zu Lasten des Kunden ausgenutzt und Risiken auf den Kunden einseitig abgewälzt. Eine so gestaltete Änderung der bisherigen AGB-Kontrolle im B2B-Bereich würde eine weitere Entfernung von einem pareto-optimalen (Haftungs-)Gleichgewicht bedeuten. Aus diesem Grunde kann eine Ausschlussmöglichkeit im Bereich der groben Fahrlässigkeit hier auch nicht vertreten werden; der in (8) schraffierte Bereich ist also gedanklich nicht zu berücksichtigen.
Eine modellhafte Lösung für diese dargestellten Ungleichgewichte kann sich erst nach intensiver nationaler und rechtsvergleichender Auseinandersetzung mit dem Status Quo und den dahinterstehenden Denkansätzen ergeben (vgl. § 8).
189 STAUDINGER-305ff.-Wendland, Vorbem zu §§ 307–309 Rn. 2; ULMER/BRANDNER/HENSEN-Ulmer/Habersack, Einl. Rn. 11. 190 ULMER/BRANDNER/HENSEN-Ulmer/Habersack, Einl. Rn. 11; eingehend zum Wandel Preis/Rolfs, DB 1994, S. 261ff. (261ff.); Frey, ZIP 1993, S. 572ff. (573). 191 STAUDINGER-305ff.-Wendland, Vorbem zu §§ 307–309 Rn. 2a ff.; ULMER/BRANDNER/HENSEN-Ulmer/Habersack, Einl. Rn. 11; Frey, ZIP 1993, S. 572ff. (573); Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 14. 192 STAUDINGER-305ff.-Wendland, Vorbem zu §§ 307–309 Rn. 2a ff.; ULMER/BRANDNER/HENSEN-Ulmer/Habersack, Einl. Rn. 11; Kötz, JuS 2003, S. 209ff. (210); Bruns, Haftungsbeschränkung und Mindesthaftung, S. 15. 193 ULMER/BRANDNER/HENSEN-Ulmer/Habersack, Einl. Rn. 11. 194 Ausführlich ULMER/BRANDNER/HENSEN-Ulmer/Habersack, Einl. Rn. 13ff.. BT-Drs. 7/3919, S. 1 Ziffer A, letzter Absatz: „Der vorliegende Gesetzentwurf dient dem Ziel, den Vertragsteil, insbes. den Letztverbraucher, der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterworfen wird, vor unangemessenen, einseitig vorformulierten Vertragsbedingungen zu schützen.“. 195 M. w.V. Müller, IWRZ 2018, S. 153ff. (153). 196 STAUDINGER-305ff.-Wendland, Vorbem zu §§ 307–309 Rn. 4; Berger, ZIP 2006, S. 2149ff. (2151); ULMER/BRANDNER/HENSEN-Ulmer/Habersack, Einl. Rn. 24; Kaufhold, BB 2012, S. 1235ff. (1236). Zur Entstehungsgeschichte des § 24 im Detail: Rabe, NJW 1987, S. 1978ff. (1981). 197 ULMER/BRANDNER/HENSEN-Ulmer/Habersack,