Das AGBG und somit die offene Inhaltskontrolle wurde ursprünglich von den beteiligten politischen Parteien mit der Hauptintention des Verbraucherschutzes ins Leben gerufen194. Erst kurz vor Gesetzeseinführung setzte sich – auch basierend auf Empfehlungen des Deutschen Juristentages 1974195 – die Ansicht durch, dass auch Geschäfte im kaufmännischen Geschäftsverkehr berücksichtigt werden sollen, weil nicht die beteiligten Personenkreise, sondern die einseitige Ausnutzung der Privatautonomie zu Lasten des anderen Vertragspartners im Fokus standen196.
Als Begründung wird in BT-Drs. 7/3919 vom 06.08.1975 auf S. 43 zu § 12 AGBG (jetzt § 310 Abs. 1 BGB) ausgeführt:
„Das Gesetz bezweckt in erster Linie eine Verbesserung des Schutzes der Letztverbraucher gegenüber AGB. Im Handelsverkehr ist das Schutzbedürfnis des AGB-unterworfenen Vertragsteils regelmäßig nicht so ausgeprägt wie in den Rechtebeziehungen zu den Verbrauchern. Die Vorschriften des Entwurfs sind jedoch Ausprägung des die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben. Deshalb ist es nicht möglich, etwa Handelsgeschäfte von Kaufleuten vom Anwendungsbereich schlechthin auszunehmen. Vielmehr sollen die grundlegenden Schutzvorschriften des Gesetzes ohne Rücksicht auf den persönlichen Status des AGB-unterworfenen Vertragsteils Anwendung finden, wenn einem Vertrag einseitig vorformulierte Bedingungen zugrunde gelegt werden.“
Zum inhaltlichen Bewertungsmaßstab der AGB-Kontrolle in Bezug auf Klauseln mit und ohne Wertungsmöglichkeiten wurde ebenda auf S. 43 weiter ausgeführt:
„Die in §§ 8 und 9 genannten Klauseln sind bei Verträgen zwischen Kaufleuten nicht stets und immer zu mißbilligen. Risikoverlagerungen, die sich einem Vertrag mit einem Letztverbraucher als unangemessene Benachteiligung des Kunden erweisen, können im kaufmännischen Geschäftsverkehr tragbar sein, weil sie dort im Zusammenhang mit einer Vielzahl von Geschäften zwischen den Vertragspartnern zu sehen sind und durch Vorteile anderer Art ausgeglichen werden können, die dem privaten Letztverbraucher bei einmaligem Vertragsabschluss über eine einmalige Leistung nicht zuteil werden. Andererseits können die in den §§ 8 und 9 genannten Klauseln den Vertragspartner aber auch bei einem kaufmännischen Rechtsgeschäft derart benachteiligen, daß ein angemessener Interessenausgleich verneint werden muß. Deshalb darf aus der Regelung des § 12 Satz 1 keinesfalls gefolgert werden, die im Bereich der Verbrauchergeschäfte stets unwirksamen Klauseln der §§ 8 und 9 seien im Bereich kaufmännischer Geschäfte stets wirksam.“
Als Ausgleich für die Ausweitung der Anwendung auf sämtliche Verkehrskreise wurde in § 24 AGBG Ausnahmen aufgenommen, welche sich auch heute noch in § 310 BGB wieder finden197. Diese und weitere Aspekte der Gesetzgebung waren bereits Gegenstand einer umfangreichen Debatte, welche jeweils sowohl für die eigene Positionen als auch wider die entgegenstehenden Positionen ausreichend Interpretations- und Argumentationsspielraum brachten198.
Im Jahre 1996 erfolgte eine Novelle des AGBG, welche der Umsetzung der Vorgaben der EG-Richtlinie 93/13199 diente. Obwohl die EG-Richtlinie nur auf den Schutz des Verbrauchers abzielt200 (vgl. hierzu später), entschied man sich nicht dazu, den auf B2B-Geschäfte ausgeweiteten Anwendungsbereich des AGBG bei dieser Gelegenheit zu limitieren201. Auf weitere einzelgesetzliche Anpassungen vor der Schuldrechtsreform 2002, welche auf den hier vorliegenden Betrachtungsgegenstand keine bzw. nur geringfügige Auswirkungen hatten, sei an dieser Stelle nur verwiesen202. Im Laufe dieser Schuldrechtsreform wurde das vormals eigenständige AGBG in das BGB inkorporiert, ohne dass es für das hier diskutierte Thema zu Änderungen gekommen ist203. Trotz – bis heute – kritischer Stimmen in der Literatur204 wurde dies mit 3 Aspekten begründet, welche durch die heutige Bedeutung des AGB-Rechts Bestätigung erlangt haben205:
1. Verbesserung der Transparenz und Übersichtlichkeit des Zivilrechts
2. Verbesserte Verknüpfung von AGB-Recht und BGB-Schuldrecht
3. Widerspiegelung des Einflusses des AGB-Rechts auf das dispositive Schuldrecht
Die für den hier dargestellten Betrachtungsgegenstand wichtigen §§ 4, 9, 24 AGBG gingen zumindest inhaltlich unverändert in §§ 305b, 307 Abs. 1 und 2, 310 Abs. 1 BGB auf206. Doch auch für die übrigen Regelungsbereiche sollte festgehalten werden, dass die Schuldrechtsreform die Inhalte des AGBG „im Kern unverändert“207 in das BGB überführt hat.
III. Die Entwicklung der Rechtsprechung nach herrschender Meinung im Schrifttum
Nach Ansicht der Kritiker der bestehenden AGB-Kontrolle folgte die Rechtsprechung nicht dem in § 24 AGBG bzw. § 310 BGB gesetzlich geebneten Weg in eine flexible Berücksichtigung der jeweiligen im kaufmännischen Geschäftsverkehr geltenden Gebräuche und Gewohnheiten208. Die bereits vor der Einführung des AGBG geltende Inhaltskontrolle, unabhängig von der Einordnung als B2C- oder B2B-Geschäft, wurde nicht in dem Maße zurückgenommen, wie dies auf Grund der Begründung des Gesetzgebers zu erwarten gewesen wäre, was auch heute noch als wesentlicher Grund für den faktischen Gleichlauf bei der Beurteilung von B2C- und B2B-Klauseln gesehen wird209. Dieser Gleichlauf soll auch explizit im Bereich von Haftungsklauseln gelten210. Hierauf wird nachfolgend, insbes. im Rahmen der Rechtsprechungsanalyse, intensiviert einzugehen sein.
IV. Verfassungsrechtlicher Schutz und Grenzen der Privatautonomie
Die seit jeher in Widerspruch zueinander stehenden Konzepte der unbeschränkten Vertragsautonomie und der Vertragsgerechtigkeit durch staatliche (Inhalts-)Kontrolle211 fließen im deutschen Recht in den grundgesetzlich geschützten Begriff der Vertragsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ein212. Hierunter fallen nicht nur positive und negative Abschlussfreiheit, d.h. die freie Entscheidung über das „Ob“ eines Vertragsabschlusses, sondern auch die (beschränkte) Inhaltsfreiheit, d.h. die (beschränkte) Entscheidung über das „Was“ eines Vertrages213. Auch aus Sicht der unternehmerischen Freiheit nach Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG könnte man die Notwendigkeit der Möglichkeit zur Haftungsbeschränkung als legitimes Risikobegrenzungsinstrument zur Förderung unternehmerischer Initiative herleiten, welche zumindest dann verletzt sein könnte, wenn hierdurch in bestimmten Branchen jegliche wirtschaftliche Aktivität infolge falscher Anreizstrukturen zum Erliegen käme214.
Verfassungsrechtlich geschützt ist auch die Möglichkeit des Staates, für verschiedene Bereiche Haftungshöchst- und Mindestsummen zu definieren, wobei dem Staat hierbei nur im Rahmen anderer verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter (wie der Vertragsfreiheit und dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3. Abs. 1 GG)) Grenzen gesetzt sind215.
Umgekehrt stellt sich natürlich die Frage, wo die Privatautonomie ihre verfassungsrechtlichen Grenzen findet. Wo die Privatautonomie des einen beginnt, könnte dies die Privatautonomie des anderen beschränken oder übergeordneten verfassungsrechtlichen Zielen zuwider stehen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des BVerfG ist anerkannt, dass auch das staatliche Eingreifen in die Privatautonomie des strukturell überlegenen Vertragspartners gerade dem Schutz der Privatautonomie des unterlegenen Vertragspartners und somit generell der Zielsetzung der Vertragsfreiheit dienen kann216. Ansatzpunkt ist, wie im später vertretenen Vertragsparitätskonzept tiefergehend erläutert, eine strukturell ungleich verteilte Verhandlungsmacht217. Es wird somit nicht das strenge liberale Modell der Vertragsfreiheit verfolgt, sondern eine vom Staat in gewissen Bereichen korrigierend eingreifendes, „paternalistisches Vertragsfreiheitsmodell“218. Bereits aus der geschilderten rechtshistorischen Entwicklung und angesichts der verfassungsrechtlich garantierten Privatautonomie heraus muss die Möglichkeit privatautonomer Haftungsbeschränkungen, zumindest solange dies nicht zu einem vollständigen Haftungsausschluss und somit zur Verletzung der Vertragsfreiheit des anderen Vertragspartners führt, erhalten bleiben219. Genauso wie dem Gesetzgeber aber auch ein weiter Gestaltungsspielraum für die Festlegung angemessener Haftungshöchst- und Mindestsummen gewährt werden muss (z.B. weil eine angemessene Summe