Als wir näher traten, fielen uns zunächst die sichtbaren Großwurzeln auf, die selbst Baumstämmen ähnelten. Dann erst bemerkten wir das Pfifferlingsvölkchen, das sich im Schatten des Giganten ausgebreitet hatte.
Wir schätzten diese kleinen Kerle unter der Rotbuche sehr. Sie waren von hellgelber Farbe, in den Stielen fast weiß, erreichten eine stattliche Größe, hatten festes, doch zartes Fleisch und dufteten besonders aromatisch. Es kam vor, dass eine Ernte einen großen Korb füllte. Doch unsere Entdeckung war uns nur einen Sommer und einen Herbst von Nutzen. Im folgenden Frühjahr fiel der Riese einer Motorsäge zum Opfer. Mit einem Schlag blieben die begehrten kleinen Leistlinge weg.
Leider, doch kein Grund zu langer Trauer, man verliert hier ein paar Rotkappen oder Pfifferlinge und gewinnt andernorts neue Fundstellen hinzu: Im Lärchenforst lohnt es sich auf einmal, nach Goldröhrlingen zu suchen, und in einer bisher pilzarmen Kiefernschonung zeigen sich zum erstenmal Grüppchen von Echten Reizkern. Die Kahlschläge bieten uns auf und an den Stubben bald neue Erntemöglichkeiten, die nicht zu verachten sind.
Es ist gut, etwas über die Symbiose von Pilzen und Bäumen zu wissen. Man kann seine Aufmerksamkeit besser auf das zu erwartende Pilzangebot ausrichten, also gezielter suchen. Übertriebene Hoffnungen sollte man an seine Kenntnisse aber nicht knüpfen. Neulinge unter Pilzfreunden neigen dazu und sind fassungslos, wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Sie können einfach nicht verstehen, weshalb »in einem so schönen Kiefernwald« kein einziger Maronenröhrling steht oder »unter so herrlichen Birken« keine Birkenpilze wachsen, obwohl ihre Zeit da ist.
Auch mir fallen beim Anblick von Birken unwillkürlich Birkenpilze ein; auch ich hoffe jedes Mal, ein paar davon zu finden, muss mich umsehen und schlau machen. Die Bilanz meiner Suchaktionen ist ausgeglichen. Ich bin ins Leere gelaufen, habe aber mitunter auch Glück gehabt.
Als ein Haupttreffer erwies sich ein Wildwuchs junger Birken bei Potthagen, nahe einer Müllkippe in einer Graslandschaft gelegen, die junge Leute mit ihren Motorrädern zu Geländefahrten benutzten und deshalb von uns »Moto-Cross-Bahn« genannt wurde. Ich will anfügen, dass sich dieser Wildwuchs mit der Zeit zu jenem kleinen Birkenwäldchen mauserte, von dem im ersten Beitrag die Rede ist. Besagter Wildwuchs garantierte einige Jahre hindurch gute Ernten an Birkenpilzen. Die Pilze verteilten sich gleichmäßig auf das ganze Terrain; wenn wir auf einem Randstück, unserer »Teststelle«, fündig wurden, war auch drin gewiss etwas zu holen. Daher bezog ich die Sicherheit, mit der ich hin und wieder einer oder einem Bekannten ankündigte: »Heute hole ich dir einen Korb Birkenpilze.« Blamiert habe ich mich dabei nie. An eine außergewöhnlich reiche Ernte in diesem Birkenwäldchen erinnere ich mich besonders gut und gern. Meiner damals sechsjährigen jüngsten Tochter oblag es, die Pilze zu putzen, die mein jüngster Sohn und ich ihr zu Füßen legten. Wir brauchten nur ein paar Schritte in die eine oder andere Richtung zu gehen, um gleich darauf mit vollen Händen zurückzukehren. Die Kleine bemühte sich sehr und schaffte auch eine ganze Menge, doch der Berg Pilze wuchs und wuchs; am Ende hatten wir alle drei noch lange zu säubern und zu verstauen. Schon im folgenden Jahr machte das Suchen größere Mühe; je mehr sich dieser Wildwuchs in ein Birkenwäldchen verwandelte, desto geringer wurde der Ertrag.
Solche »Lehrvorführungen« der Natur indizieren, dass Vorkommen, Wachstum und Fruchtbildung von Symbionten, ihr unsichtbares und sichtbares Kommen und Gehen, auch mit dem Alter der Baumbestände zusammenhängen.
Ebenso wie unsere pragmatischen Vorstellungen über die Symbiose sollten auch unsere Erwartungen an begünstigende Witterungseinflüsse, an das »Pilzwetter«, angemessen sein. Das Wetter fördert oder hemmt zweifellos insbesondere die Fruchtkörperbildung. Doch so prompt, wie oft angenommen, reagieren Pilze auf meteorologische Faktoren nicht. Nicht nach jedem warmen Regen müssen Pilze aus dem Boden schießen. Für die Fruchtkörperbildung sind vielmehr ganze Wetterabläufe mit zeitlichen Ausdehnungen von Wochen, Monaten und vielleicht sogar Jahren verantwortlich. In Mitteleuropa ist, statistisch belegt, nur jedes dritte oder vierte Jahr ein ergiebiges Pilzjahr. Außerdem folgen Großpilze einer unterschiedlichen, artspezifischen Fruktuations-Rhythmik, die selbst unter günstigsten Witterungsbedingungen bei bekannten Speisepilzen lange Phasen zwischen den Schüben bewirken kann. Der Pilzfreund muss also sowohl Enttäuschungen über »Missernten« verkraften, aber auch auf überraschende Schübe und sich daraus ergebende Probleme reagieren können.
Was tun, wenn wir bei einem Spaziergang durch Wald und Flur unerwartet auf Pilze stoßen? Nicht immer führt man Gefäße zum Sammeln und Transportieren von Pilzen mit sich. Ist der Fund umfangreich, muss aus der Situation heraus eine Lösung gefunden werden. Ich war mehrfach dazu gezwungen. Manchmal konnte ich mir nur damit helfen, ein Kleidungsstück abzulegen, zu verknoten und als Transportmittel zu benutzen.
Auf vier Rädern
Solouchin berichtet in seiner »Dritten ‚Jagd«1 über erstaunliche Pilzfunde, die ihre Entdecker ebenso freudig überraschten wie in Verlegenheit brachten, weil ihnen der Abtransport ihrer Ernte Kopfzerbrechen bereitete und Mühe machte.
So erinnert er sich an eine Situation um die Jahrhundertwende zu 1900, als die Mutter des Schriftstellers in einer Fichtenpflanzung bei Barki Reizker in Hülle und Fülle fand und mit dem Pferdefuhrwerk abfahren musste. Nach dem zweiten Weltkrieg ernteten Solouchin und seine Frau bei einer Pilzwanderung durch ein Kiefernwäldchen bei Schoschenski an die zwölf Eimer Butterpilze. Nicht, dass sie zwölf Eimer bei sich gehabt hätten! Zunächst türmten sie die Pilze zu einem großen Haufen, um sie später mit dem Auto abzuholen.
Mit so riesigen Funden wurde ich nie belohnt (oder bestraft?). Aber einmal, bei einer Familienwanderung, brauchten auch wir ein Vierradfahrzeug, um unsere Ernte einzubringen.
Ein schöner Spätsommertag hatte unsere Familie an Luft und Sonne gelockt. Unser Ziel war ein Mischwäldchen inmitten von Stoppel- und Umbruchsfeldern auf einer Anhöhe an der Freiberger Straße zwischen Frankenberg und Langenstriegis. Fichten gab es und Buchen, Ahorn und Esche, am häufigsten aber Birken. Hier hatte ich erst vor einigen Tagen mit meinen Jungen eine Laubhütte errichtet, die sich sehen lassen konnte und die wir Oma und Opa, die mit von der Partie waren, vorzeigen wollten.
Um es vorwegzunehmen: Die Laubhütte stand noch lange. Wir versahen sie mit einer Knüppelbank und besserten sie hin und wieder aus. Jedes Mal, wenn wir im Wäldchen Pilze suchten, ließen wir uns ein paar Minuten darin nieder. Durch das Gezweig konnten wir aus nächster Nähe, ohne selbst bemerkt zu werden, Meisen, Finken und Zeisige bei der Nahrungssuche und einmal ein Eichhörnchen beim drolligen Spiel beobachten. Das waren für uns Augenblicke, die etwas Feierliches an sich hatten.
Während besagter Familienwanderung wurde aber nicht unsere Hütte zur Hauptattraktion. Als wir das Wäldchen betraten und gleich von einer Schar junger Maronenröhrlinge begrüßt wurden, war das ursprüngliche Ziel unseres Ausfluges schon fast vergessen und das Pilzfieber packte uns. Wir verfügten zwar über einen mitgebrachten Beutel, um die ersten Findlinge unterzubringen, doch bald standen wir vor einem Berg von Maronenröhrlingen und Ziegenlippen, der immer noch größer wurde. Wohin damit? Die Lösung war einfach: Wir hoben unsere jüngste Tochter, die damals zwei Lenze zählte, aus ihrem Sportwagen in die Arme ihres Großvaters, und schon war der benötigte Transportraum gewonnen. Nun rührten sich große und kleine Hände, um das Gefährt mit malerisch-frischen Pilzen zu beladen. Die letzten wurden sorgfältig geschichtet, so dass unterwegs nichts verloren gehen konnte.
Der Heimweg glich einem Triumphzug.
Einige Zeit später fand dieses Ereignis in einem kleinen Gedicht, das mir ein Bekannter anlässlich meines Geburtstages widmete,