„Aber das hätte doch längst geschehen müssen.“
„Die Zeit könnte in dieser Spielwelt in einem ganz anderen Tempo voranschreiten“, gab Brenda zu bedenken.
„Oder gar nicht!“ Robert deutete auf seine stehen gebliebene Uhr, deren Zeiger sich nicht bewegt hatten, seit sie das Tor zur Hölle passiert hatten.
*
Schließlich erreichten sie den Rand des Waldes.
Der Albino-Wolf wollte Robert und Brenda ganz offensichtlich nicht weiter begleiten. Er winselte und setzte sich. Eine grüne Wiese schloss sich an, auf der es nur vereinzelt noch Nebelschwaden gab. Am Himmel stand der bereits vertraute fahle Mond und in der Ferne war auf einer Anhöhe als dunkler Schattenriss die Silhouette des Schlosses zu sehen, in dem die Blutsaugenden Nachtkreaturen residierten.
Der Albino-Wolf zog sich in den Wald zurück. Nach wenigen Augenblicken war er verschwunden.
„Jetzt haben wir unser Ziel wieder klar vor Augen!“, stellte Robert fest.
„Ein einladender Ort scheint auch dieses Dorf nicht zu sein!“, glaubte Brenda mit Blick auf die düsteren Steinhäuser, die um eine verwitterte Kirche mit angrenzendem Friedhof gruppiert waren.
„Lass uns keine Zeit verlieren“, schlug Robert vor und wollte gerade losgehen, aber Brenda hielt ihn am Arm.
„Stehst du noch immer unter dem Einfluss der Hexe?“
„Brenda…“
„Ich habe Augen im Kopf. Sie hat dich auf irgendeine Weise verhext, damit du treu und brav diese Jarmila befreist! Das ist alles, worum es ihr geht.“
„Aber ich treffe meine eigenen Entscheidungen.“
„Dann sag mir, dass es dir gleichgültig ist, ob diese Jarmila im Verlies des Namenlosen Magiers verschimmelt!“
„Was soll das denn jetzt?“
„Sag es! Und versprich mir, dass wir die erste Gelegenheit nutzen, dieses Spiel zu verlassen!“
Ihre Blicke begegneten sich.
Er atmete tief durch und schluckte.
„Es ist so wie ich vermutet habe“, stellte sie fest. „Du kannst es nicht sagen, weil die Alte dich noch immer in ihrem Bann hat. Da brauchst du mir nichts zu erzählen, ein wenig habe ich schließlich auch ihre Kraft zu spüren bekommen!“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, es ist nicht so wie du denkst“, behauptete er. „Erstens wird es nach allem, was wir wissen für uns kein Zurück in die Realität geben, wenn wir nicht auf die Ebene des Namenlosen Magiers gelangen und ihn vernichten…“
„Was wir nur von der Hexe wissen! Du kannst dir sicher denken, dass sie uns die Informationen so zurechtgebogen hat, wie es ihr nützt! Meinst du nicht auch?“
„Und zweitens denke ich, sollten wir erst einmal zusehen, dass wir die nächste Herausforderung bestehen. Im Moment ist uns nicht kalt, aber das kann sich auch wieder ändern.“ Er weicht nur aus! , dachte Brenda. Ich werde ihn daher genau beobachten müssen…
*
Bevor sie das Dorf erreichten, mussten sie einen gefrorenen Bach überqueren, der das Tal durchzog.
Ein paar vereinzelte Bäume standen dort – starr und von einem Eispanzer überzogen, wie die Bäume im Wald. Die besonders eigenartigen Verwachsungen ließen auf einen wiederholten Blitzeinschlag schließen.
Nach ihren Erlebnissen mit dem Waldgeist hielten sie instinktiv Abstand von diesen Bäumen, obwohl ihnen klar war, dass es hier vermutlich keinen Waldgeist gab und ihre Furcht daher unbegründet war.
Vorsichtig tasteten sie sich über das Eis.
Es hielt.
Brenda blickte hinab und stieß einen Schrei aus.
Im nächsten Moment bemerkte es auch Robert.
Zahllose Gesichter blickten sie aus dem Eis heraus an. So als ob der Bach voller Leichen gewesen wäre, als er zufror.
Bleich und totenstarr waren sie, die Augen weit aufgerissen, die Züge verzerrt.
„Wir gehen ganz ruhig weiter“, bestimmte Robert. „Ich meine, was erwartest du? Wir haben schließlich das Tor zur Hölle passiert.“
„Trotzdem…“, murmelte Brenda und atmete tief durch.
Schließlich erreichten sie das andere Ufer und stiegen die hart gefrorene Böschung empor.
Brenda streckte die Hand aus und deutete in den Bach.
„Was meinst du – sind das die Leichen derjenigen, die es nicht geschafft haben?“
„Dieses Spiel war brandneu. Es kann vor uns niemand gespielt haben. Das Siegel war noch intakt.“ Sie schluckte. „Ich dachte nur…“
Eine Bewegung ließ beide herumfahren. Hinter dem nächsten Baum sprang eine Gestalt hervor. Es war der Gnom, der sich selbst einen dienenden Dämon genannt hatte. Seine Augen funkelten böse, das tierhafte Maul entblößte die Raubtierzähne.
„Halli, hallo, so schnell sieht man sich wieder.
Unerwarteterweise, wie ich gerne zugebe, und was mich selbst etwas Lebensenergie gekostet hat. Ich habe nämlich mit ein paar anderen Diener-Dämonen gewettet, wie lange ihr am Leben bleiben würdet und ich muss sagen – bislang habt ihr meine kühnsten Erwartungen in dieser Hinsicht übertroffen!“
„Wie wäre es dann mit warmer Kleidung und ein paar zusätzlichen Waffen? Ich denke, die hätten wir uns in der Zwischenzeit redlich verdient!“, glaubte Robert.
„Im Prinzip stimme ich dir in dieser Hinsicht sogar zu.
Und ich kann dir sagen, dass ich beauftragt wurde, dir dies hier zu zeigen!“
Eine Reihe warmer Kleidungstücke schwebten plötzlich in der Luft. Es handelte sich um dicke Wollmäntel, außerdem gab es verschiedene Kopfbedeckungen und Fell gefütterte Handschuhe. Und dazu ein Sortiment von altertümlich wirkenden Steinschlosspistolen und –gewehren.
„Unter Shopping Tour verstehe ich zwar eigentlich was anderes, aber ich schlage vor, wir nehmen uns, was wir kriegen können!“, schlug Brenda vor.
Sie wollte bereits nach einem der Mäntel greifen.
Aber das Kleidungsstück war plötzlich transparent. Ihre Hand glitt hindurch.
„Einen Moment!“, tönte der Gnom. „Ich habe gesagt, dass ich befugt bin, euch diese Gegenstände zu zeigen – nicht, sie euch auch zu geben.“
„Was soll das denn?“, entfuhr es Robert ärgerlich. „Willst du uns zum Narren halten?“
„Keineswegs. Nichts läge mir ferner – und was die Wetten mit meinen Mit-Dämonen betrifft, so trage ich euch nichts nach. Die Verluste gleichen sich schon noch wieder aus. Im Übrigen muss ich meine Fehleinschätzung, was euer Überleben angeht, mit selbst zuschreiben.“ Sein Kopf drehte sich ruckartig um etwa dreißig Grad. Er sah von einem zum anderen.
Ein böses, widerwärtiges Grinsen kennzeichnete seine Züge. Es schien ihm Freude zu machen, andere zu quälen. Schließlich fuhr er fort: „Ich habe nicht erwartet, dass ihr so zäh seid
– dumm, aber zäh. Bei der großen Anzahl von Fehlentscheidungen wären andere schon längst nicht mehr am Leben.“ Er streckte den Arm aus und deutete zum Bach. „Dort sind einige jener Verdammten, die vor euch ihr Glück auf dieser Ebene versucht haben und jämmerlich gescheitert sind.“
„Wir sind die ersten