»Wieso sagst du es mir nicht? Ich soll einfach so tun, als wären die letzten Monate nicht passiert, aber das kann ich nicht. Ist das so schwer für dich zu verstehen, dass es für mich schwierig war? Ich war dir einfach egal und jetzt interessiert es dich anscheinend wieder nicht, was ich fühle. Also warum können wir nicht einmal darüber reden und es dann hinter uns lassen?« Über das Gesicht Deines Bruders liefen Tränen und seine Lider waren gerötet, weil er sich mit den Fingern in regelmäßigen Abständen über die Augen fuhr, um etwas sehen zu können, Mel. Er saß mit dem Rücken an einer Mauer und sah böse zu Jonathan auf, der unter seinem Blick klein wurde. Zumindest nahm ich an, dass er erzürnt wirken wollte, jedoch hatten die großen Hundeaugen und der Schmollmund den gegenteiligen Effekt und ich hätte Jaimie gern in den Arm genommen, wie ein Kind, das man trösten musste.
»Du wärst sauer auf mich und das will ich nicht. Ich will nicht schon wieder, dass wir einander anschweigen und nebeneinander her leben, ohne zu wissen, wie es dem anderen geht. Außerdem geht es dich letztendlich nichts an. Das war eine Sache zwischen Alex und mir.« Jona hatte die Arme vor der Brust verschränkt, aber das Zittern seiner Lippen und die geweiteten Pupillen verrieten, dass er nicht so ruhig war, wie er tat. Er verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere und ging den Gang ein paar Schritte auf und ab, als er Jaimies stechenden Blick nicht mehr aushielt.
»Ich bin jetzt sauer auf dich. Alex ist meine Freundin und du bist mein bester Freund, deshalb geht es mich sehr wohl etwas an. Überhaupt … wenn sie mir vorwirft, dass ich schuld bin, dass ihr euch getrennt habt und ich nichts erwidern kann, weil ich keine Ahnung habe … Wir haben früher über alles geredet und jetzt beschränken wir uns auf das Wetter und die Gesamtsituation mit Rabiana, als wären unsere Gefühle nicht existent. Machst du mich auch für das Ende eurer Beziehung verantwortlich? Ist es das? Ich hab wirklich versucht, mich mit eurer Beziehung abzufinden und damit klarzukommen, dass du weniger Zeit für mich hast. Ich wollte nicht, dass ihr euch trennt. Du mochtest sie. Es tut mir leid, wenn ich es vermasselt habe.« Jaimies Stimme wurde leise, bis sie brach und er legte seine Arme um seine angewinkelten Knie, um sein Kinn darauf abstützen zu können. Wieder rollte eine Träne über seine Wange und er zitterte leicht, obwohl es im ganzen Gebäude angenehm warm war. Er starrte an Jona vorbei an die Wand und schluchzte, als eine bedrückende Stille entstand, die von Jona unterbrochen wurde, der hart schluckte, als würde ihm Jaimies trauriger Anblick körperliche Schmerzen bereiten.
»Es ist nicht deine Schuld. Es ist meine«, meinte Jonathan und seine Worte hörten sich unangenehm laut an, sodass Jaimie und ich zusammenzuckten. Er sagte es mit einer Intensität, die keinen Widerspruch zuließ. Er griff nach Jaimies Arm und zog seinen Freund auf die Beine, sodass sie sich gegenüberstanden und Jaimie der Blick auf die Mauer versperrt wurde. Er war gezwungen, Jona anzusehen.
»Aber wieso? Sie liebt dich und ihr könntet, wenn dieser Wahnsinn endlich vorbei ist, Kinder haben und ins Haus deiner Familie nach Bellone ziehen. Wir werden Rabiana besiegen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wenn es das ist, was dir Sorgen bereitet.« Unschuldig sah Jaimie zu Jona auf und es zerbrach mir das Herz, als mir klar wurde, dass Dein Bruder es ernst meinte. Er wünschte sich das für Jona, weil er ihn liebte. Was die beiden hatten, ging weit über Freundschaft hinaus. Es war viel tiefer. Sie waren eine Familie. Die Bereitschaft zu haben, auf sein eigenes Glück zu verzichten, um jemand anderen glücklich zu sehen, ist etwas, das nicht viele tun würden. Schon gar nicht, wenn es ihnen selbst das Herz in Stücke riss, und Jaimie war anzusehen, dass das bei ihm der Fall war.
»Ich will nichts davon. Aus dem gleichen Grund, warum du mich nicht mit ihr teilen wolltest.« Jaimie schniefte, als Jona ihn anlächelte. Auch in Jonathans Augen schwammen Tränen, die nicht zu seinen Gesichtszügen passen wollten, doch er wirkte selig, mit sich selbst im Reinen, als hätte er nach langem Überlegen, eine Entscheidung getroffen, mit der er leben konnte. Aber es war mehr als das. Er wollte damit leben. Die Anspannung, die ihn die letzten Monate begleitet hatte, war von ihm abgefallen und er strahlte Jaimie grinsend an.
»Weil wir beste Freunde sind?« Jaimies Stimme war nicht mehr als ein Hauch. Gerade laut genug, dass ich es verstehen konnte. Und wieder hatte ich das Bedürfnis, ihn zu umarmen, weil er die Veränderung bei Jona nicht sehen konnte und sich unnötig sorgte.
»Sind wir das? Ist es das, was du denkst, wenn du mich ansiehst?«, fragte Jonathan und seine Stimme hatte einen merkwürdigen Unterton, der mir sagte, dass er die Antwort schon wusste. Das Verhalten der beiden ließ mich lächeln. Sie wirkten wie schüchterne Kinder, die in unterschiedlichen Ecken standen und nicht wussten, ob sie aufeinander zugehen und miteinander spielen sollten.
»Natürlich.« Erschrocken atmete Jaimie ein und schlug sich die Hände vor den Mund, als ihm klar wurde, dass er viel zu schnell und zu laut reagiert hatte, um glaubwürdig zu erscheinen. »Ich weiß nicht«, murmelte er, um seinen Ausbruch abzuschwächen, aber Jona lachte schallend und strich Jaimie zärtlich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht.
»Ich hab dein Tagebuch gefunden«, erklärte Hunters Bruder zusammenhanglos und ich zog verwirrt die Augenbrauen zusammen, während Jaimies Augen größer und größer wurden, bis nichts mehr außer seinen Pupillen zu sehen war, hinter denen Rädchen sich drehten und Jaimie daran erinnerten, was er in sein Tagebuch geschrieben hatte.
»Was?«, schrie Dein Bruder und neue Tränen stiegen in seinen Augen auf. Ein Schluchzen brach aus seiner Kehle hervor und er begann Silben zu stottern, die keinen Sinn ergaben. Er fuhr sich durchs Haar und schüttelte den Kopf, als könnte er Jonathan damit zwingen, alles zu vergessen, was er gelesen hatte. Um zu verhindern, dass Jaimie sich weiter in seine Panik hineinsteigern konnte, unterbrach Jona ihn und hielt seine Hände fest, die wild gestikulierten: »Bevor ich Alex verlassen habe, musste ich einfach wissen, dass ich es mir nicht einbilde und ich nicht am Ende euch beide verletze, weil ich ein Idiot bin und mir Zeichen erträume, die gar nicht da sind. Aber deine Texte und die ganzen Tränen …« Jonathan brach ab und diesmal schüttelte er verzweifelt den Kopf, als könnte er die Bilder von seinem verzweifelten Freund so aus seinem Kopf verbannen. »Du hast gelitten. Ich mag Alex, versteh das nicht falsch und sie hat es nicht verdient, dass ich nicht dasselbe fühle wie sie, aber die Aussicht, dass ich, ohne es zu merken, dein Herz brechen könnte …« Wieder ließ er das Ende des Satzes offen. Ich wusste nicht, ob er es tat, weil ihm die Worte fehlten oder er es nicht schaffte, es auszusprechen.
Jona fuhr Jaimies Wangen mit dem Handrücken entlang und ließ seine Hand auf der Schulter seines Freundes liegen, während er ihn eindringlich ansah. Jaimie hing gebannt an Jonathans Lippen und knabberte nervös an der Innenseite seiner Backe. Er hielt den Atem an, um kein Wort zu verpassen. »Ich hätte alles getan, um das zu verhindern und dir den Schmerz zu ersparen. Uns. Ich konnte nicht länger so tun, als wäre nichts, wenn ich schwarz auf weiß habe, dass ich nicht der Einzige mit diesen Gefühlen bin. Ich hatte solche Angst, mir einzugestehen, dass …« Jona stöhnte frustriert und fuhr sich mit der freien Hand durch die widerspenstigen Haare, bevor er noch mal zum Sprechen ansetzte. »Streich das! Alex ist nicht du und nur einen von euch liebe ich. Das ist das Einzige, was zählt.« Jaimie zog erschrocken die Luft ein und gab einen Laut der Überraschung von sich. Seine Gesichtszüge entgleisten und seine Tränen versiegten schlagartig, weil sein ganzer Körper für einen Moment aufhörte, sich zu bewegen. Ob sein Herz ebenfalls kurz den Dienst versagte, um das Gehörte zu verarbeiten?
Ich musste in der Zwischenzeit an mich halten, um nicht auf und ab zu springen und freudig zu schreien. Aber ich wollte die beiden nicht stören. Wer wusste, wann sie wieder Zeit für sich haben würden. Sie sollten es genießen dürfen. Wollte mir das die Göttin damit sagen? Kam der Drang in meinem Inneren von ihr? Hätte ich diesen Moment unmöglich gemacht, wenn