Gemäß Art. 55 Abs. 7 lit. a AGVO können aber auch Investitionsbeihilfen für Sport- und multifunktionale Freizeitinfrastrukturen gewährt werden, sodass in Zukunft auch größere Investitionen in die Infrastruktur des Bades gerechtfertigt werden können.
1.5Freistellung nach dem Freistellungsbeschluss
Auch wenn die Beihilfen bereits auf Grundlage der AGVO möglich sind, bedeutet dies nicht, dass sie nicht auch auf Grundlage des „Freistellungsbeschlusses“48 gerechtfertigt werden können. Anwendbar ist der Freistellungsbeschluss auf Unternehmen, die Dienstleistungen von allgemeinem, wirtschaftlichem Interesse (DAWI) erbringen. Der Begriff der DAWI wird bereits im Primärrecht der Europäischen Union in Art. 106 Abs. 2 AEUV erwähnt. Aus der Vorschrift ergibt sich, dass das Beihilferecht auf Unternehmen, die DAWI erbringen, zwar grundsätzlich anwendbar ist, dies aber nicht dazu führen darf, dass die Erfüllung von DAWI durch die Unternehmen beeinträchtigt wird. Auf dieser Vorschrift beruht auch der „Freistellungsbeschluss“, der bestimmt, unter welchen Voraussetzungen einem Unternehmen Ausgleichsleistungen für die Erbringung von DAWI gewährt werden dürfen. Bei der Definition von DAWI wird den Mitgliedstaaten ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt, sodass die Kommission lediglich prüft, ob den Mitgliedstaaten ein offenkundiger Fehler unterlaufen ist. Da die Kommission die Grenzen des Ermessensspielraums zuletzt allerdings immer enger gezogen hat (z. B. werden Tätigkeiten der Wirtschaftsförderung grundsätzlich nicht mehr als DAWI angesehen), sollte genau geprüft werden, ob es sich bei der wirtschaftlichen Tätigkeit um eine im Allgemeininteresse liegende Dienstleistung handelt, die von Unternehmen zu normalen Marktbedingungen nicht oder nicht zufriedenstellend erbracht werden kann (Marktversagen).
Der Sportbereich des Bades wird von Schulen und Vereinen dazu genutzt, um Menschen das Schwimmen beizubringen und durch das Angebot zur Volksgesundheit beizutragen, sodass er zum Wohle der Bürger und im Interesse der Gesellschaft als Ganzes betrieben wird. Da solche Angebote zu allgemein verträglichen Preisen am Markt nicht oder in nicht ausreichender Qualität oder Quantität existieren, dürfte der Betrieb des Bades als DAWI einzuordnen sein. Anders könnte es jedoch beim Freizeitbereich des Bades aussehen, da Wasserrutschen und Saunen in ausreichender Qualität und Quantität auch von privaten Wettbewerbern angeboten werden, sodass bei diesen eine Einordnung als DAWI kritisch zu sehen ist.
Die Verluste des Sportbereichs des Bades dürfen also in jedem Fall ausgeglichen werden können. Um sich erfolgreich auf den Freistellungsbeschluss berufen zu können, bedarf es aber auch eines formelle Betrauungsaktes. Der Inhalt eines Betrauungsaktes wird in Art. 4 Satz 2 des Freistellungsbeschlusses dezidiert vorgegeben. Neben den DAWI (Betrieb des Sportbereichs) müssen die Parameter für die Berechnung der Ausgleichsleistungen und die Maßnahmen zur Vermeidung einer Überkompensation beschrieben werden.
Art. 5 Abs. 9 des Freistellungsbeschlusses setzt überdies voraus, dass die DAWI buchhalterisch von den übrigen wirtschaftlichen Tätigkeiten getrennt werden. Die Vollkosten des Bades (Betriebskosten, Abschreibungen, Finanzierungszinsen, Instandhaltung, etc.) müssen dazu auf die DAWI (Sportbereich) und anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten (Freizeitbereich) aufgeteilt und den jeweiligen Einnahmen gegenübergestellt werden. Mit dieser Trennungsrechnung soll eine Quersubventionierung der anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten ausgeschlossen werden.
Im Gegensatz zum Inhalt stellt Art. 4 des Freistellungsbeschlusses die Umsetzung des Betrauungsaktes weitestgehend in das Ermessen der Mitgliedstaaten. Grundlage eines jeden Betrauungsaktes ist der Beschluss der Kommune. Da der Beschluss der Kommune für sich genommen noch keine Außenwirkung hat, bedarf es für die Auferlegung der Pflichten aus dem Betrauungsakt schließlich noch einer Umsetzung. In Deutschland ergeht der Betrauungsakt üblicherweise in Form eines Verwaltungsaktes oder bei einer von der Kommune beherrschten Gesellschaft in Form einer gesellschaftsrechtlichen Weisung. Da in unserem Ausgangsfall die Stadtwerke GmbH von der Stadt beherrscht wird, könnten die Vertreter der Stadt in der Gesellschafterversammlung der Stadtwerke GmbH angewiesen werden, die Geschäftsführung zur Beachtung des durch den Rat der Stadt gefassten Betrauungsaktes anzuweisen.
Die Defizite des Sportbereichs dürfen demnach auf Grundlage eines Betrauungsaktes nach Maßgabe des Freistellungsbeschlusses ausgeglichen werden.
2.Ergebnis
Am Beispiel des Bades zeigt sich, dass auch Ausgleichsleistungen innerhalb eines kommunalen Unternehmens (Stadtwerke GmbH) unter das grundsätzliche Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV fallen können. Das Beihilferecht soll aber nicht verhindern, dass die Mitgliedstaaten dort tätig werden, wo der Markt keine zufriedenstellenden Ergebnisse liefert. Das Beihilferecht bietet verschiedene Möglichkeiten, um die Ausgleichszahlungen für Daseinsvorsorgeaufgaben beihilferechtskonform zu gestalten.
In einem ersten Schritt ist zunächst zu prüfen, ob überhaupt der Tatbestand einer Beihilfe vorliegt. Sofern es sich um eine hoheitliche Aufgabe handelt, eine marktübliche Gegenleistung erfolgt oder eine grenzüberschreitende Bedeutung ausgeschlossen werden kann, handelt es sich bereits tatbestandlich nicht um eine Beihilfe i. S. d. Art. 107 Abs. 1 AEUV. Auch bei De-minimis-Beihilfen liegt tatbestandlich keine Beihilfe vor.
Sofern dies nicht mit letzter Rechtssicherheit ausgeschlossen werden kann, ist zu empfehlen, eine Freistellung auf Grundlage der AGVO oder nach Maßgabe des Freistellungsbeschlusses zu prüfen. Beide Rechtfertigungsmöglichkeiten sind jedoch mit formellen Anforderungen verbunden, die es zu beachten gilt. Bei einer Rechtfertigung auf Grundlage der AGVO müssen die gewährten Ausgleichsleistungen regelmäßig an die Kommission gemeldet und veröffentlicht werden. Eine Rechtfertigung auf Grundlage eines Betrauungsaktes nach Maßgabe des Freistellungsbeschlusses erfordert hingegen eine buchhalterische Trennung in DAWI und andere wirtschaftliche Tätigkeiten sowie eine laufende Überkompensationskontrolle, damit die anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten nicht quersubventioniert werden.
In unserem Ausgangsfall kann je nach Prüfung eine Beihilfe ausgeschlossen oder nach der AGVO oder auf Grundlage des Freistellungsbeschlusses beihilferechtskonform ausgestaltet werden. Die Finanzierung des Bades kann jedoch auch für die Zukunft sichergestellt werden.
26Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe i. S. d. Artikels 107 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU C 262 vom 19.7.2016 S. 1.
27EuGH, Urteil vom 12.2.2008 – Rs. C-199/06, Rn. 38 – CELF I.
28BGH, Urteil vom 5.7.2007 – IX ZR 256/06; BGH, Beschluss vom 13.9.2012 – III ZB 3/12.
29EuGH, Urteil vom 11.11.2015 – Rs. C-505/14 – Klausner Holz.
30Verordnung der Kommission vom 17.6.2014 – VO (EU) Nr. 651/2014 –, ABl. EU L 187 S. 1.
31Mitteilung zum Beihilfebegriff, Rn. 6 ff. m. w. N.
32Mitteilung zum Beihilfebegriff, Rn. 17 ff. m. w. N.
33Mitteilung zum Beihilfebegriff, Rn. 28 ff. m. w. N.