– Das Verbot des Zeigens oder Verbreitens von Bildern, Karikaturen oder Witzen sexueller Natur ist mitbestimmungspflichtig, da die Regelungen des AGG diesen Tatbestand nicht vollständig erfassen und insoweit ein der Mitbestimmung zugänglicher Gestaltungsspielraum verbleibt.42
– Verhaltensregeln zur Vermeidung von Belästigungen und unangemessenem Verhalten unterliegen der Mitbestimmung, weil die Möglichkeiten die Arbeitnehmer in dieser Hinsicht zu schützen vielfältig und nicht umfassend gesetzlich geregelt sind.43
– Mitbestimmungspflichtig sind zudem Vorgaben zur angemessenen Nutzung elektronischer Medien, soweit es um die Art und Weise der privaten Nutzung geht.44
– Auch ein generelles Verbot der Benutzung privater Mobiltelefone zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit ist mitbestimmungspflichtig.45
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Wichtig ist, dass ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht notwendig voraussetzt, dass der „Code of Conduct“ verbindliche Verhaltensregeln einführt. Ausreichend ist bereits, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers darauf gerichtet ist, das Verhalten der Arbeitnehmer zu steuern oder die Ordnung des Betriebs zu gewährleisten.46
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Neben § 87 BetrVG können auch andere Mitbestimmungstatbestände relevant sein. Häufig finden sich Regelungen, nach denen sich Arbeitnehmer über die Inhalte des „Code of Conduct“ schulen lassen müssen. Dies stellt zwar keine Berufsbildung dar, die gem. §§ 96ff., 98 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht auslösen würde. Denkbar ist aber, hierin eine „sonstige Bildungsmaßnahme“ zu sehen ist, die nach § 98 Abs. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist. Voraussetzung ist, dass es sich nach Ausgestaltung der Schulungsmaßnahme um eine Veranstaltung mit echtem Bildungscharakter handelt. Eine bloße Informationsveranstaltung, z.B. über die Einführung des „Code of Conduct“, löst keine Mitbestimmungsrechte aus.47
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Für bestimmte Bereiche hat die Rechtsprechung auch ausdrücklich eine Mitbestimmung ausgeschlossen, weil den Betriebspartnern die Regelungskompetenz fehlt. Notorisch ist das „Flirtverbot am Arbeitsplatz“. Regelungen über private Beziehungen im Betrieb sind aber, wie eben aufgezeigt, nicht von vornherein der Mitbestimmung entzogen.48 Unzulässig sind auch Meldepflichten zum außerdienstlichen Verhalten und zur privaten Lebensführung von Kollegen. Vorgaben, die sich unmittelbar an Mitarbeiter richten und die private Lebensführung regeln, stellen einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit dar, der aber im Einzelfall verhältnismäßig sein kann (z.B. Alkoholverbot vor Dienstaufnahme).49 Der Betriebsrat muss im Rahmen der Mitbestimmung darauf achten, dass die Regelungen des „Code of Conduct“ nicht die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer verletzen.
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Kein Mitbestimmungsrecht besteht schließlich bei Regelungen, die lediglich die geschuldete Arbeitsleistung konkretisieren oder bei Dokumenten, die ausschließlich die Werte des Arbeitgebers oder die Unternehmenszielen beschreiben. Der Arbeitgeber kann einen entsprechenden „Code of Conduct“ regelmäßig durch eine schlichte Weisung einführen.
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Soweit eine Maßnahme der Mitbestimmung unterliegt, kann der Arbeitgeber sie nur mit Zustimmung des Betriebsrats durchführen. Dies gilt auch für die Einführung eines „Code of Conduct“ und zwar selbst dann, wenn eine ausländische Rechtsordnung zwingend die Einführung eines solchen Regelwerks vorschreibt. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats werden nicht dadurch ausgeschlossen oder eingeschränkt, dass ausländische Bestimmungen den in Deutschland tätigen Unternehmen bestimmte Pflichten auferlegen. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber seinen Sitz im Ausland hat. Allerdings handelt es sich bei den Vorgaben ausländischen Rechts, die das eigene Unternehmen binden, um wichtige betriebliche Belange, die der Betriebsrat nicht einfach ignorieren darf (vgl. § 2 Abs. 1 BetrVG). Notfalls muss die Einigungsstelle für einen angemessenen Ausgleich sorgen.
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Verletzt der Arbeitgeber ein Mitbestimmungsrecht, steht dem Betriebsrat ein Anspruch auf Unterlassung zu. Dieses Recht kann er auch mittels einer einstweiligen Verfügung durchsetzen. Außerdem kommt ein Antrag nach § 23 Abs. 3 BetrVG in Betracht: Bei „groben Verstößen“ verpflichtet das Gericht den Arbeitgeber nicht nur, die fragliche Maßnahme zu unterlassen, sondern verurteilt ihn auch für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu einem Ordnungsgeld.
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Die individualrechtlichen Folgen einer Verletzung des Mitbestimmungsrechts fallen möglicherweise noch stärker ins Gewicht. Nach der „Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung“ sind einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers, die das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats verletzen, im Verhältnis zu den Arbeitnehmern unwirksam.50 Die Vorgaben eines einseitig eingeführten „Code of Conduct“ entfalten keine Bindungswirkung, sofern sie der Mitbestimmung unterliegen.51 Missachten die Arbeitnehmer diese Vorgaben, so stellt dies keine Pflichtverletzung dar, die der Arbeitgeber sanktionieren könnte. Nimmt man die eigentlichen Ziele eines „Code of Conduct“ zum Maßstab, dürfte dieses Ergebnis alle Bemühungen um ein rechtskonformes und ethisch glaubwürdiges Auftreten am Markt ad absurdum führen.
1 Grützner/Jakob, Compliance von A–Z, 2. Aufl. 2015, Code of Conduct (CoC). 2 Zu Ziel und Funktionen von Compliance Management siehe Schulz, Kap. 1, Rn. 24ff. 3 Zu Umfang und Grenzen der Delegation von Compliance-Maßnahmen siehe Schulz, Kap. 1, Rn. 66f. 4 Zum Zusammenhang von Compliance Management und einem Werte- bzw. Integritätsmanagement Schulz, Kap. 1, Rn. 2. 5 Vgl. dazu Göpfert, NZA 2011, 1259. 6 Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, 2009, 6ff. m.w.N. 7 Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, 2009, 84f.; Hohenstatt/Dzida, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 9. Aufl. 2020, § 118 BetrVG Rn. 23. 8 Siehe hierzu die Nachweise bei Schulz, Kap. 1, Rn. 1. 9 Zur Bedeutung der Compliance-Kultur ausführlich Schulz, Kap. 1, Rn. 53ff. mit weiteren Nachweisen. 10 Schulz, Kap. 1, Rn. 2 mit weiteren Nachweisen zum Zusammenhang von Compliance- und Integritätsmanagement. 11 Vgl. BAG v. 5.4.2001, 2 AZR 580/99, NZA 2001, 893, 898. 12 Mengel, Arbeitsrecht und Compliance, 2009, 68f. 13 Vgl. dazu Grau/Granetzny, NZA 2016, 405ff. Zum Datenschutz und Compliance ausführlich Becker/Böhlke/Fladung, Kap. 11. 14 Unrühmliches Vorbild sind die zahlreichen Versuche, sich bei Geschäftspartnern gegen die (zu weit ausgelegte) Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG abzusichern. 15 Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, GewO § 106 Rn. 3. 16 Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, GewO § 106 Rn. 8. 17 Dies gilt jedenfalls für Wahrnehmungen im Rahmen der arbeitsvertraglichen Aufgaben. Die Arbeitnehmer sind dagegen nicht ohne Weiteres gehalten, Beobachtungen außerhalb ihres Aufgabenbereichs oder gar aus dem außerdienstlichen Bereich zu melden; Reinfeld, in: Moll, Münchener Anwaltshandbuch