Eine solche Vertragsänderung oder -ergänzung setzt die ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Mitarbeiter voraus. Eine stillschweigende Annahmeerklärung kann regelmäßig nicht unterstellt werden: Der „Code of Conduct“ und damit die Vertragsänderung wirken sich nicht sofort und unmittelbar auf das Anstellungsverhältnis aus; der Arbeitgeber kann daher nicht nach Treu und Glauben annehmen, seine Mitarbeiter würden dem geänderten Anstellungsvertrag widersprechen, wenn sie mit den Änderungen nicht einverstanden seien.21 Vor der Aufgabe, von wirklich allen Mitarbeitern das ausdrückliche Einverständnis mit dem neuen Verhaltenskodex einzuholen, dürften allerdings auch Unternehmen, die sich durch ein gutes Betriebsklima auszeichnen, größeren Respekt haben.
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Die Einführung eines Verhaltenskodex mittels arbeitsrechtlicher Vereinbarung wirft zudem praktische Probleme auf. Kaum ein Unternehmen wird alle compliance-relevanten Vorgaben abschließend im Anstellungsvertrag aufführen; dies dürfte das Dokument überfrachten. Daher wird der Anstellungsvertrag oder die Änderungsvereinbarung regelmäßig auf den „Code of Conduct“ verweisen.
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Enthält die Vereinbarung eine dynamische Verweisung auf die „jeweils geltende Fassung“ des Verhaltenskodex, so bedeutet dies keineswegs, dass das Unternehmen seine Regelungen später wieder einseitig und mit verbindlicher Wirkung für alle Mitarbeiter abändern könnte. Arbeitsvertragliche Absprachen unterliegen einer Inhaltskontrolle anhand der §§ 305ff. BGB. Eine dynamische Verweisung würde das Klauselverbot in § 308 Nr. 4 BGB (Änderungsvorbehalt) verletzen und wäre zudem intransparent (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB).22 Nur solche Vorgaben, die sich entweder unter das Weisungsrecht fassen lassen oder lediglich die gesetzlichen Vorgaben wiederholen, können im Wege einer dynamischen Verweisung in den Anstellungsvertrag einbezogen werden. In allen anderen Fällen riskiert das Unternehmen, dass der „Code of Conduct“ nicht wirksam eingeführt wird und im Ernstfall für die Mitarbeiter nicht verbindlich ist.
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Enthält die Vereinbarung eine statische Verweisung, so nimmt sie nur auf eine konkrete Fassung des „Code of Conduct“ Bezug. Spätere Änderungen führen nicht automatisch zu einer Anpassung des Anstellungsvertrages; es bedarf insoweit der erneuten Zustimmung der betroffenen Mitarbeiter. Der Arbeitgeber vermeidet die oben angesprochene Überfrachtung der Vertragsdokumente; diesen Vorteil bezahlt er allerdings mit der fehlenden Flexibilität statischer Verweisungen.
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Im Übrigen unterliegen auch die Compliance-Bestimmungen selbst als Standardarbeitsbedingungen einer Inhaltskontrolle anhand der §§ 305ff. BGB. Die Bestimmungen des „Code of Conduct“ dürfen die Mitarbeiter somit nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 BGB). Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Verhaltenskodex eine umfassende Kontrolle am Arbeitsplatz vorsieht (z.B. ständige Videoüberwachung) oder auch Angehörige der Mitarbeiter in die Pflicht nimmt (z.B. Verbot von Beteiligungen oder Auskünfte zu Anlagegeschäften). Besonderes Augenmerk verdient die sprachliche Ausgestaltung des „Code of Conduct“: Wenn die einzelnen Bestimmungen nicht auch für Laien klar und verständlich formuliert sind, scheitern selbst gute Absichten am Transparenzgebot.
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Vor diesem Hintergrund führen Unternehmen einen „Code of Conduct“ m.E. vergleichsweise selten mittels einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung ein. Manchmal wird dieser Weg beschritten, um eine gleichlautende Weisung abzusichern. Die Nachteile einer vertraglichen Vereinbarung (z.B. Konsens der gesamten Belegschaft, Flexibilität bei künftigem Änderungsbedarf) überwiegen häufig die möglichen Vorteile.
c) Änderungskündigung
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Eine eher exotische Variante ist die einseitige Einführung eines „Code of Conduct“ mittels einer Änderungskündigung. Diese Option kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht. Aus juristischer Sicht bedarf es zumindest im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes einer sozialen Rechtfertigung (§ 2 KSchG), die alle Bestimmungen des einzuführenden Verhaltenskodex stützt. Staatliche Vorgaben wie im Kreditwesengesetz mögen punktuell eine Änderungskündigung rechtfertigen; es ist m.E. aber sehr fraglich, ob ein ganzer Verhaltenskodex über diese Schiene rechtssicher umgesetzt werden kann. Ein zwangsweise durchgesetzter Wertekanon beruht zudem selten auf einem breiten Konsens in der Belegschaft; dies lässt m.E. Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit des „ethischen Bekenntnisses“ und auf die mittelfristigen Erfolgsaussichten solcher Anstrengungen zu.
2. Betriebsvereinbarung
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Der Arbeitgeber kann einen „Code of Conduct“ schließlich auch im Wege einer Betriebsvereinbarung im Unternehmen einführen.
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Diese Option einer Betriebsvereinbarung besteht nicht nur, wenn Teile des Verhaltenskodex ohnehin mitbestimmungspflichtig sind, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber alle relevanten Vorschriften durch schlichte Weisung umsetzen könnte. Auch eine freiwillige Regelung ist eine vollwertige Betriebsvereinbarung. Voraussetzung ist die Existenz eines zuständigen und konsensbereiten Betriebsrats. Der Arbeitgeber kann seinen Beitrag zur Konsensbereitschaft leisten; die Zuständigkeit richtet sich ausschließlich nach den gesetzlichen Vorgaben. Eine Betriebsvereinbarung, die nicht mit dem zuständigen Betriebsrat abgeschlossen wurde, entfaltet keine Wirkung.
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In der Betriebsverfassung gilt eine strikte Trennung der Zuständigkeiten von Betriebsräten, Gesamtbetriebsräten und Konzernbetriebsräten. Danach werden die Beteiligungsrechte grundsätzlich von den örtlichen Betriebsräten wahrgenommen. Dies begründet aber weder eine generelle „Primärzuständigkeit“ des örtlichen Betriebsrats noch eine Auffangzuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für betriebsratslose Betriebe.23 Jedes Gremium kann nur im Rahmen seiner originären Zuständigkeit handeln und wirksame Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber treffen.
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Nach dieser zwingenden Aufgabenverteilung ist der Gesamtbetriebsrat gem. § 50 Abs. 1 BetrVG nur zuständig, wenn
– eine Angelegenheit das gesamte Unternehmen oder zumindest mehrere Betriebe betrifft und
– diese Angelegenheit nicht durch die örtlichen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden kann.
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Es muss ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung bestehen; der bloße Wunsch des Arbeitgebers, aus Kosten- oder Praktikabilitätserwägungen eine einheitliche Regelung zu treffen, ist regelmäßig nicht ausreichend.24
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Daneben kommt eine Beauftragung des Gesamtbetriebsrats durch die einzelnen Betriebsräte in Betracht (§ 50 Abs. 2 BetrVG). Im Falle eines unternehmensweiten Verhaltenskodex würde dies jedoch den Konsens aller Betriebsräte voraussetzen. Ferner kann der Auftrag jederzeit und ohne Vorliegen besonderer Gründe widerrufen werden – auch in einem späten Stadium der Verhandlungen.
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Für die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats gegenüber den Gesamtbetriebsräten gelten die gleichen Grundsätze; die Regelung in § 58 BetrVG ist § 50 BetrVG nachgebildet.
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Soweit ein Verhaltenskodex darauf abzielt, eine bestimmte „Philosophie“ im Unternehmen umzusetzen und zu gewährleisten, dass alle Mitarbeiter nach einheitlichen Wertmaßstäben arbeiten, besteht regelmäßig ein zwingendes Interesse an einer einheitlichen Regelung. Ein solcher „Code of Conduct“ kann nur einheitlich in allen Betrieben eingeführt werden; die ethischen Maßstäbe können nicht davon abhängen, ob ein Mitarbeiter in Hamburg oder in München arbeitet.25 Die Einführung eines Verhaltenskodex fällt damit grundsätzlich in die Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats.26
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