Die Ring Chroniken 1. Erin Lenaris. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erin Lenaris
Издательство: Автор
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Год издания: 0
isbn: 9783946843894
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und umwickelt die Kette mit schnellen Handgriffen. „Es ist das gleiche Material wie der Rauring“, sagt er in Kaishens Richtung, während er über meinen Ring ebenfalls eine Isoliermanschette schiebt. Der Doktor kümmert sich nicht weiter darum. Anscheinend ist ihm das WERT-Verbot egal, und ich kann die Kette vorerst noch behalten.

      Kohen nimmt meinen dankbaren Blick nicht wahr, weil er sich schon mit dem Verstellen der Liege beschäftigt. Ich muss mich auf dem kalten Kunststoff lang ausstrecken, bevor er mich mit dem Kopf voran in den dunklen Tunnel des Venenscanners schiebt.

      Eng ist es hier drin. Verdammt eng! Meine Brust zieht sich zusammen, denn ich kann in beengten Räumen nicht richtig atmen. Schon seit ich klein war, neige ich zu Platzangst. Ich fange an zu schwitzen. Wahrscheinlich ist das schon wieder ein Test, schießt es mir durch den Kopf.

      Die Röhre beginnt zu vibrieren, dunkle Klopfgeräusche ertönen von den Wänden um mich herum. Sie wecken meine ständige Furcht vor Erdbeben, vor dem Eingesperrtsein. Die Angst, nicht weglaufen zu können, wenn die Betonwände Risse bekommen. Die Panik, über mir könnte die Decke einstürzen und mich im Untergrund zerdrücken. Erst vor einem Jahr gab es einen katastrophalen Erdstoß in einer Nachbarsiedlung. Die Bilder der Verschütteten habe ich noch deutlich vor Augen.

      Kaishens Stimme holt mich aus den schrecklichen Gedanken. Meine Liege bewegt sich und fährt mit mir aus der Röhre heraus. Erleichtert atme ich auf.

      Der Arzt sitzt vor einem überlebensgroßen 3D-Hologramm meines Oberkörpers. Meine Haut erscheint darin transparent; die Knochen leuchten bläulich. Ich sehe mein Herz in Echtzeit schlagen und das Blut durch die Arterien pulsieren.

      Das sind also meine inneren Werte.

      Ein Lautsprecher überträgt meine Herztöne. Das dumpfe Pochen klingt seltsam unheimlich. Es erinnert mich an die unruhigen Nächte zu Hause, wenn ich in der stickigen Hitze unserer Wohnung nicht schlafen kann und auf meinen eigenen Herzschlag horche, der manchmal aus dem Takt gerät.

      In meinem Hologrammkörper taucht nun das dreieckige Nomen-Nackenteil auf. Ein Blitz zuckt heraus und fährt in meine virtuelle Wirbelsäule. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Was hat der Arzt vor? Ungerührt wiederholt er die Prozedur an meinem holografischen Arm.

      Kohen hat meine Anspannung registriert. Kein Wunder, ich habe einen Puls von hundertvierzig. Leise spricht Kohen auf mich ein. Ich mag es, wie er das R rollt, denn es klingt irgendwie vertraut. Seine genauen Worte kommen nicht in meinem Bewusstsein an, aber seine samtene Stimme beruhigt mich. Er hat heute schon zig Operationen begleitet und kümmert sich dennoch so aufmerksam um mich. Sprich weiter, will ich sagen. Bitte, hör nicht auf zu reden.

      „Können wir jetzt beginnen oder nicht?“ Kaishens harter Tonfall reißt mich aus meiner Benommenheit.

      Kohen erklärt mir, dass die Operation im Wachzustand erfolgen muss, damit mein Neurofeedback analysiert und das Gerät darauf eingestellt werden kann. Oder so was Ähnliches, denn so genau verstehe ich seine Erklärung nicht. Keine Narkose ist alles, was bei mir ankommt. Na toll. Das wird ja immer besser!

      „Bitte leg dich wieder hin, und spreize die Arme leicht ab“, sagt Kohen. „Handrücken nach oben – ja, so ist es gut. Wir fixieren dich jetzt auf einer Kraftfeldliege, damit wir die Position für das Implantat exakt treffen.“

      Als die Apparatur anläuft, fühle ich mich augenblicklich tonnenschwer. Ich möchte den Arm anwinkeln, doch er klebt fest auf seiner Unterlage. Ich will die Finger heben, aber sie sind wie festgefroren. Adrenalin schießt mir durch den Körper. Ich spanne meine Muskeln an und stemme mich mit ganzer Kraft gegen den Widerstand, mein Rumpf lässt sich allerdings keinen Millimeter drehen. Ich bin vom Nacken abwärts gelähmt. Panische Angst breitet sich in jedem Winkel meines Körpers aus.

      Kaishen tritt an meine Liege und schaut auf mich herunter. Ich fühle mich wie eine Maus in der Falle, über deren Schicksal der Fänger gleich entscheiden wird. „Noch können Sie die Prozedur stoppen“, erklärt der Doktor. „Nur voll überzeugte Kandidaten dürfen ein Nomen tragen. Nach der Operation beginnt für Sie ein neues Leben. Dann ist nichts mehr wie zuvor.“

      „Hast du das verstanden?“, fragt Kohen ernst. Als ich nicke, fügt er hinzu: „Dann bist du bereit? Du willst eine Nomen-Trägerin werden?“

      „Ja“, antworte ich mit belegter, allerdings fester Stimme.

      Kohens Miene erhellt sich. Vorsichtig schiebt er die Infusionsnadel in meinen Handrücken und hantiert an der Tropfflasche. Die Spinnenmaschine senkt sich auf mich herunter, ihre glänzenden Zangenbeine gleiten mit rhythmisch zischenden Bewegungen über meinem linken Arm in Position. Dr. Kaishen drückt einen transparenten Schuber mit den glänzenden Einzelteilen meines Implantats in die Maschine.

      „Atme tief durch, und versuche, dich zu entspannen. Das tut kaum weh“, meint Kohen.

      Ein heißes Stechen schießt durch meine Ohren. Er schwindelt.

      Die Maschine justiert ihre Greifarme in immer feineren Schritten. Kohens besorgter Blick hilft mir, das „Stopp“ zurückzuhalten, das mir auf der Zunge liegt. Plötzlich sticht die Medizinspinne zu. Ich schreie. Die Maschine packt wieder zu. Und dann noch einmal.

      Mein Herz hämmert. Ich atme gepresst, Tränen laufen aus meinen Augen und landen auf der Plastikliege. Die kleinen Bedienteile haben sie mir jetzt ins Handgelenk getackert, aber die Zentralmodule im Nacken fehlen noch. Wenn ich ohnmächtig werde, war alles umsonst.

      Kohen scheint meine Panik zu bemerken. Er beginnt auf Dr. Kaishen einzureden, so leise, dass ich nichts verstehe. Habe ich es jetzt vermasselt?

      Aber Kohen drückt meinen Arm. Er ersetzt die Flasche an meinem Tropf und beugt sich zu mir herunter. „Atme fünfmal durch, dann wird es leichter.“ Ich konzentriere mich ganz auf sein Gesicht. Seine wachen Augen geben mir Kraft. So begleitet mich Kohen durch die höllische Prozedur, bis die Operation abgeschlossen ist.

      Erneut wechselt Kohen meinen Tropf, eine hellblaue Flüssigkeit kriecht in meine Venen, und sein Bild verschwimmt vor meinen Augen.

      Als ich wieder zu mir komme, bin ich noch immer auf der Liege fixiert. Der Operationsraum liegt im Dunklen; Kaishen und Kohen sind verschwunden. Die Spinnenmaschine schwebt regungslos über mir, allerdings nehme ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Das Stromkabel! Es rührt sich. Schlängelt sich auf mich zu!

      Ich will aufspringen, doch das Kraftfeld hält mich in seinem stählernen Griff. Ich bin gelähmt, kann nicht einmal schreien. Der Stecker erhebt sich wie ein Schlangenkopf vor mir, seine Kontakte sehen aus wie blitzende Giftzähne. Die elektrische Viper bäumt sich vor mir auf und beißt mich blitzschnell ins Genick.

      Ein stechender Schmerz reißt mich aus dem Alptraum. Ich fahre im Bett hoch, greife mir in den Nacken und ertaste das Pflaster über meinem Nomen. Was hat Dr. Kaishen gesagt? Dann ist nichts mehr wie zuvor.

      7. Kapitel

      Am nächsten Morgen weckt mich eine kalte, nasse Hand. Ich blinzle und erkenne Felix, der triefnass und aufgekratzt vor meinem Bett herumhüpft.

      „Hörst du es nicht?“ Er wedelt mit den Armen vor meinem Gesicht wie wild herum. „Es regnet! Es! Reeegnet! Los, komm raus! So was Frisches hast du noch nie gesehen!“

      Ich reibe mir die Augen und lausche. Schwere Tropfen trommeln an die Fensterfront und prasseln auf das Vordach unseres Schlafsaals. Felix zerrt mich hoch, ich stolpere ihm im Nachthemd hinterher. Draußen fallen schnurgerade Wasserströme vom Himmel, mit wechselnder Stärke, aber unablässig. Ungläubig schaue ich zu, wie die rauschenden Wassermassen ungenutzt im Boden versickern. In Polaris reden sie angeblich von „schlechtem Wetter“, wenn es wie aus Kübeln schüttet. Bei uns wäre das die Sensation des Jahrhunderts.

      „Da guckst du, was?“, sagt Felix. „Hier fallen die Liqui vom Himmel. Los, lass uns in Geld baden!“ Mit diesen Worten zieht er mich auf den Balkon.

      Der Regen platscht auf meinen Kopf, läuft mir in den Nacken und kühlt meine abgeklebte Operationswunde. Lachend breite ich die Arme aus, lege den Kopf in den Nacken und blinzle mit nassen Wimpern in den Himmel.