Wenn die Nacht stirbt und dein Herz aufhört zu schlagen. Lisa Lamp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lisa Lamp
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Год издания: 0
isbn: 9783967525441
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schlug ich mit der Faust gegen den Türrahmen und knallte die Tür wieder zu. Im Nachhinein erinnere ich mich nicht mehr, wie genau es damals passiert ist. Ich weiß nur noch, dass ich mich plötzlich in einer Menge von Scherben wiederfand, nachdem alle Fensterscheiben im Haus, zur selben Zeit als mein Schrei ertönte, zersprangen. Meine Arme waren mit kleinen Wunden versehen und Blut rann über meine Finger. Schmerzhaft bohrten sich die Glassplitter in meine nackte Haut und ich biss meine Zähne zusammen, als mir die Tränen in die Augen traten. Minutenlang saß ich da wie ein kleines Häufchen Elend, nachdem meine Beine unter mir weggesackt waren. Dann rollte ich mich auf dem Scherbenhaufen zusammen. Das Handtuch war in der Zwischenzeit von meinem Körper gerutscht und gab die Sicht auf meinen vernarbten Rücken frei. Vorsichtig zog ich die erste Scherbe aus meiner Hand und eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel.

      Als fremde Stimmen laut wurden, konnte ich nur daran denken, dass ich so schnell wie möglich hier weg sollte. Ohne auf die Qualen und das Blut zu achten, zog ich die Splitter nacheinander aus meiner Haut und zwang meine Beine, aufzustehen. In Windeseile zog ich mir neue Kleidung über und stopfte die alten Klamotten zurück in meinen Rucksack. Ich schulterte meine Tasche und putzte flink meine Zähne, um den ekelhaften Geschmack loszuwerden. Als es wieder klopfte, hatte ich das Gefühl, den Verstand zu verlieren, aber diesmal öffnete sich die Tür von alleine. Im Türrahmen befand sich kein menschliches Wesen, sondern eine dünne schwarze Katze, die mich ansah und unzufrieden miaute. Das Tierchen mit den weißen Augen ließ ihren Schwanz schwingen, machte einen Katzenbuckel und setzte zum Sprung an. Aus Reflex fing ich die Katze auf, die sich mit der Zunge über die Nase strich.

      »Wer bist du denn?«, fragte ich und schüttelte im nächsten Moment schon meinen Kopf.

      Ich verlor wirklich langsam meinen Verstand, sonst würde ich mich nicht mit einer Katze unterhalten und eine Antwort erwarten. Als ich das eigensinnige Tier absetzen wollte, krallte es sich an meine Kleidung und meine geschundene Haut. Das Fell kitzelte mich an der Nase und ich musste mehrmals hintereinander niesen. Fluchend versuchte ich, das Tier abzuschütteln, doch es gelang mir nicht. Kurz mahlte ich meine Zähne aufeinander und beschloss, die streunende Katze einfach ein Stück mitzunehmen, da ich wieder aufgeregte Stimmen hinter der Tür hörte. Auf schnellsten Weg verließ ich die Pension. Von Menschen, die meinen Weg kreuzten, bekam ich nur einen verwunderten Blick geschenkt, doch niemand hielt mich auf. Zu groß war die Hysterie über das Chaos im Hotel. Mit gesenktem Blick und Kapuze über dem Kopf kam ich an einer Bushaltestelle an. Ich blieb stehen, um die kleine Raubkatze loszuwerden. Glücklicherweise fuhr sie ihre Krallen diesmal nicht aus. Jedoch folgte sie mir, als ich meinen Weg fortsetzte.

      »Geh doch einfach!«, bat ich die Katze, aber sie miaute nur und beschleunigte ihre Schritte, um mit mir mithalten zu können.

      Stur versuchte ich eine Zeit lang, das Tier zu ignorieren, doch als wir nach mehreren Stunden an einem Bahnhof ankamen und ich mich hinsetzte, um auf den Zug zu warten, legte sie sich auf meinen Schoß. Kaum legte ich ihr die Hand ins Fell, schnurrte sie los und schmatzte zufrieden. Zwei Züge ließ ich unbeachtet ein- und ausfahren. Beim Dritten stieg ich in den einfahrenden Zug. Auch wenn ich meinen Wegbegleiter gewaltsam von meinem Schoß stieß, folgte die Katze mir in das Zugabteil. Ich konnte mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal in einem Zug gesessen hatte. Wahrscheinlich bei der Auslandswoche in Rom, als wir fast sechs Stunden zusammengepfercht in einem Zugabteil saßen und unsere Lehrerin uns erklärt hatte, wie toll die kommende Woche werden würde. Ohne zu übertreiben konnte man sagen, dass die Woche furchtbar gewesen war. Im Nachhinein verfluchte ich mich selbst, dass meine Mutter mich mit dem Argument überredet hatte, dass alle mitfahren würden und es aussähe, als ob wir es uns nicht leisten könnten, wenn ich nicht mitfuhr. Danach blieb nur die Frage zurück, ob eine Woche auf engsten Raum mit drei anderen Mädchen in einem Zimmer besser war, als meine Mutter mit ihren göttlichen Konsequenzen.

      In dem Moment, als ich mich hinsetzen wollte, stützte ich mich am Sitzpolster der Lehne ab. Meine Handfläche erhitzte sich und begann zu glühen. Langsam löste sich der Stoff rund um meine Finger auf, als würde er schmelzen. Der Gestank nach verbrannten Fasern und Plastik kroch mir in die Nase und ich musste würgen. Fasziniert konnte ich für wenige Sekunden nur auf die verkohlten Fäden starren. Als ein richtiges Feuer ausbrach, riss ich meine Hand reflexartig zurück und presste sie geschockt gegen meinen Brustkorb. Doch sie war wieder abgekühlt, als wäre nie etwas passiert. Die Katze machte mit einem lauten Miauen auf sich aufmerksam. Sie saß auf dem Nebensitz, während ihre Augen die Brandstelle und das Feuer reflektierten. Das Tier miaute, als würde es über mich lachen. Schnellstmöglich schnappte ich mir die Katze, deren Schwanz bereits leicht angekokelt war, weshalb sie herzzerreißend quietschte. Panisch klopfte ich auf den Türöffner und stieß erleichtert ein Keuchen aus, als sich die Zugtür öffnete. Ich sprintete zurück auf den Bahnsteig und presste das Kätzchen an meine Jacke, die danach wahrscheinlich einen Staubsauger benötigen würde, um die Tierhaare wieder loszuwerden. Meine langen Haare hingen mir ins Gesicht und Schweißtropfen rannen an meinen Schläfen entlang. Wieder spürte ich diese Angst vor der Zukunft in mir, als ich das Kribbeln in meinen Fingern bemerkte. Ich umklammerte das schwarze Tier und hielt nach einer Bank, auf der ich mich ausruhen konnte, Ausschau.

      Ich war erschöpft von der Anstrengung. Der Blutverlust durch die vielen Wunden machte mir zu schaffen. Als ich eine kleine Eisenbank gefunden hatte, setze sich gerade jemand auf die Sitzfläche und erwiderte meinen Blick. Ich blieb angesäuert stehen und wollte mich bereits nach einer anderen Sitzgelegenheit umsehen, als ich die Gestalt genauer begutachtete. Sie war klein und hatte langes, blondes Haar. Ein schwarzes enges Kleid zierte ihren Körper und ihre Haare waren im Nacken zusammengebunden. Wie ein Blitz traf es mich, als ich ihr Lächeln wiedererkannte. Ich hatte sie schon einmal gesehen. Erst vor wenigen Stunden war ich ihr das erste Mal begegnet. Sie grinste, doch ihre Augen wirkten traurig. Nur wenige Meter entfernt saß das Wesen und streckte mir seine Hand entgegen.

      »Komm!«

      Das war alles, was es zu mir sagte.

      »Wohin?«, fragte ich, um wenigstens irgendetwas zu sagen.

      Schon wieder liefen mir salzige Tränen übers Gesicht. Für meinen Geschmack hatte ich in den letzten Stunden zu viel geweint. So oft heulte ich normalerweise nicht einmal in einem ganzen Jahr.

      Mit den blutigen Schnitten auf den Armen, meinem verletzten Bein, das durch den Sprint wieder angeschwollen war, und dem verquollenen Gesicht, musste ich für sie aussehen wie das Opfer eines Verkehrsunfalls. Als sie nach Minuten, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorkamen, immer noch nicht geantwortet hatte, versuchte ich eine Reaktion von ihr zu erzwingen.

      »Verschwinde! Lass mich in Ruhe! Ich bin keine von Euch merkwürdigen Wesen. Halt dich gefälligst von mir fern«, brüllte ich und wollte mich zum Gehen abwenden.

      »Hexen! Du bist kein sonderbares Wesen, sondern eines der mächtigsten Geschöpfe dieser Welt. Du bist eine Hexe«, sagte sie.

      Geschockt riss ich die Augen auf, bevor ich lauthals anfing zu lachen. Natürlich, ich war eine Hexe, was auch sonst? Das war einfach lächerlich!

      Mit einer fließenden Bewegung erhob sich das Mädchen von der Bank, während ihr Blick an mir hoch und runter wanderte. Sie kam direkt auf mich zu und ich hatte keine Möglichkeit, ihr auszuweichen, da sich hinter mir nur die Bahngleise befanden. In der Mitte des Bahnsteigs blieb sie jedoch abrupt stehen, worüber ich mehr als froh war. Ich wusste, dass mein Verhalten kindisch war, aber ich wollte unter allen Umständen verhindern, dass sie mich berührte. »Du kannst weiterhin hier stehen und mich angaffen, aber es wird nicht ändern, was du bist. Auch deine Flucht wird dich nicht vor deinem Schicksal retten können. Entweder du kommst jetzt mit mir mit, oder du wartest noch länger und bringst auf deinem Weg unschuldige Menschen durch deine Unwissenheit um«, zischte sie erzürnt.

      Vor meinem inneren Auge sah ich das Mädchen mit der Porzellanpuppe aus meinem Tagtraum und ich stellte mir vor, wie ich mich fühlen würde, wenn ich für ihren Tod verantwortlich wäre. Ich schniefte leise und meine Knie begannen bei der Vorstellung, wie das Feuer aus meinen Händen ein Haus in Brand setzte und die Haut von einem kleinen Mädchen Blasen warf, zu zittern. Eine Gänsehaut überzog meinen Körper und ich schüttelte panisch den Kopf, um die Bilder von schreienden Kindern loszuwerden. Eine kühle Hand,