Wenn die Nacht stirbt und dein Herz aufhört zu schlagen. Lisa Lamp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lisa Lamp
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Год издания: 0
isbn: 9783967525441
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schnaubte unzufrieden. Die Frau musterte mich und das Lächeln verschwand. Sie begann mit ihrer rechten Hand die schwarze Katze hinter ihr zu streicheln und setzte sich auf den Rand des Brunnens. Ein Zipfel ihres Kleides hing ins Wasser, doch die Frau schien sich nicht daran zu stören.

       »Setz dich zu mir«, hörte ich die helle Stimme wieder in meinem Kopf, aber ich dachte nicht einmal daran, mich von der Stelle zu bewegen. Ich verstand nicht, warum ich hier war und was sie von mir wollte. Verdammt, ich wusste noch nicht einmal, wo »hier« genau war.

       »Du wirst in Zukunft lernen müssen, dass vieles, was dir unverständlich scheint, doch klarer ist, als du zu Anfang dachtest. Aber ich bin nicht hier um dir das mitzuteilen, Read.«

       Ich wartete, dass die Dame ihre Worte erklären würde, doch sie ließ den Satz einfach offen. Auch erklärte sie nicht, woher sie verdammt nochmal meinen Namen kannte. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, ob ich sie von früher kannte, doch ich hätte schwören können, diese Frau noch nie gesehen zu haben.

       »Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich. Ich war dabei, als du laufen und essen gelernt hast. Auch war ich anwesend, als du ängstlich an deinem ersten Schultag in deine Klasse gewandert bist. Selbst als du dein erstes Zeugnis bekommen hast, war ich bei dir. Du jedoch kennst mich nicht. Wer ich bin ist auch nicht wichtig. Viel wichtiger ist, wer du bist.«

       Am liebsten hätte ich mir mit der Hand auf die Stirn geschlagen. Ich wusste, wer ich war. Ich war Read Silverton, 18 Jahre alt und Schülerin der Santa Guerra Hochschule.

       Doch noch während ich nachdachte, merkte ich, dass es nicht mehr stimmte. Ich war nicht mehr die Tochter meiner Mutter, die Schulfreundin von Emma oder Schülerin an einer der besten Schulen dieses Landes. Ich war eine Ausreißerin auf der Flucht, ohne gute Perspektiven für die Zukunft.

       »Warum sind sie hier? Was wollen Sie von mir?«, schrie ich der Frau entgegen, die einfach ruhig mit der Katze auf dem Schoß am Brunnen saß und wieder begann mich anzulächeln.

       »Mein Name ist Diana. Zumindest nannte mich die Menschheit früher so. Ich bin hier, um dich zu erinnern, dass du in die falsche Richtung läufst.«

       Zum ersten Mal bewegte die Dame ihre Lippen, wodurch ihre Stimme noch wärmer klang. In ihren Augen glitzerte etwas Wissendes und auf einmal wirkte sie wahnsinnig alt auf mich, auch wenn sie höchstens dreißig Jahre alt sein konnte.

       »Der schwarze Wald befindet sich in der anderen Richtung.« Das Lächeln auf meinem Gesicht verschwand. Der schwarze Wald, der Ort für all die Unglückseligen, die von den Choosern, den Dienern des Bösen, auserwählt worden sind. Zugegeben, diese Erklärung stammte von Mama, aber es würde schon etwas Wahres dran sein.

       »Was soll ich dort?«, fragte ich aufgebracht.

       Ich war aufgewühlt und spürte innerlich große Wut in mir. Wut auf die Chooserin, die mich in diese Lage gebracht hatte. Wut auf mich, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte und Wut auf Diana, die nur in unverständlichen Rätseln sprach.

       »Dein Schicksal erfüllen«, erwiderte die Frau und verzog ihr Gesicht mitleidig.

       »Nein, danke für das Angebot«, gab ich ohne nachzudenken von mir und setzte ein gespieltes Grinsen auf.

       Ich wollte bloß nicht zeigen, dass meine Beine vor Angst zitterten, deshalb hob ich zusätzlich das Kinn und erwiderte den starren Blick der Göttin. Mein Gegenüber schüttelte traurig den Kopf.

       »Dir wird aber nichts anderes übrigbleiben. Fatum viam invenit.«

      Sie betonte jedes Wort und ich wollte sie nur anschreien, denn nach all den Jahren wusste ich endlich, ohne eine Antwort darauf bekommen zu haben, was diese beschissene Phrase bedeutete. Das Schicksal findet seinen Weg. In diesem Moment hasste ich diesen Satz und alles, wofür er stand. Ich hätte schreien können vor Hass, doch ich schrie nicht. Ich tat gar nichts. Dabei wollte ich nichts lieber als ihr verständlich zu machen, dass ich ein normaler Mensch war. Ich blieb einfach nur wie erstarrt stehen, als sie aufstand und auf mich zukam.

       »Du schaffst das. Dafür wurdest du geboren, Tochter der

       Nacht. Dein gesamtes Leben wird sich ändern.«

       Mein Leben war kein Zuckerschlecken gewesen, doch Veränderungen bedeuteten nie etwas Gutes. Die Frau sah die zwanzig Zentimeter zu mir auf, bevor sie ihre Hand ausstreckte und mein Schlüsselbein entlangfuhr. Meine Lippen bebten und mein Herz schlug gegen meine Brust. Mein Atem ging stoßweise. Fest biss ich die Zähne zusammen und unterdrückte den Drang, ihre Hand wegzuschlagen.

       »Vergiss nicht, du bist nicht allein. Du wirst nie wieder allein sein.«

       Ich war gut im Alleinsein, wollte ich sagen, doch wieder blieb ich stumm. Mein Brustkorb begann zu kribbeln und dann wurde alles schwarz.

      

      Ich schreckte aus dem Schlaf, als ich ein Klopfen an der Tür hörte.

      »Einen Moment!«, rief ich und sprang aus dem Bett. Ich öffnete die Tür, doch auf dem Gang war niemand zu sehen. Als ich mit meinem verletzten Fuß auftrat, spürte ich einen schmerzhaften Stich und seufzte frustriert. Das würde eine Weile weh tun. Ich schmiss die Tür wieder zu, in dem Glauben, es mir eingebildet zu haben, und ging in das kleine Badezimmer neben dem Fenster. Es sah sauber aus und ich beschloss, mir den Angstschweiß dieser Nacht abzuwaschen. Ich fühlte mich klebrig, weshalb ich froh war, dass ich mein Duschgel von zuhause eingepackt hatte. Während warmes Wasser aus dem Duschkopf floss, zog ich mir die enganliegende Hose aus und schälte mich aus meinem Tanktop.

      Gerade als ich meine Unterwäsche auf den geschlossenen Toilettensitz legte, klopfte es wieder an der Tür. Verärgert schnappte ich mir ein Handtuch und wickelte meinen Körper darin ein. Ich humpelte zum Eingang und riss die Tür mit Schwung auf, doch wieder war niemand zu sehen. Ich atmete tief durch und schloss die Tür wieder mit einem lauten Knall.

      Kurz darauf stand ich unter der Dusche. Der Dampf fühlte sich sanft auf meiner Haut an und das Wasser entspannte meine Muskeln. Genießerisch schloss ich die Augen und ließ mich von der Wärme einlullen. Wie aus weiter Ferne hörte ich wieder ein Klopfen, doch diesmal ignorierte ich es. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Fliesen der Badezimmerwand, die sich kühl an meinem erhitzten Körper anfühlten. Langsam fiel der Schockzustand von mir ab und ich konnte endlich tief durchatmen, ohne dass mir die Angst die Kehle zuschnürte. In meinen Wimpern schimmerten Wassertropfen und meine nassen Haare klebten an meinem Rücken. Es klopfte wieder und ich begann, meinen Kopf gegen die Wand zu schlagen, bis ich Kopfschmerzen bekam. Ich rollte genervt mit den Augen, weil die angenehme Atmosphäre der Glückseligkeit wieder verschwunden war. Das Duschgel stand griffbereit und ich seifte mich Zentimeter für Zentimeter ein. Das Klopfgeräusch wurde lauter. Ich duschte mich ab, um den dreckigen Schaum abzuspülen, und auch Minuten später, als der Seifenschaum schon verschwunden war, ließ ich das Wasser noch über meinen Körper fließen. Danach nahm ich das Handtuch und rubbelte meine Haut trocken. Als ich an meinem Dekolleté ankam, erstarrte ich. Mein Schlüsselbein zierten weinrote Verschnörkelungen, die wie Blätter aussahen. In der Mitte der Verzierungen befand sich das Brandmal der Anwärter, doch es sah für mich fast so aus wie ein Gemälde, denn das Mal war nicht mehr nur ein dünner Umriss, sondern es war ein ausgefüllter Stern, der sich von innen nach außen zu bewegen schien. Mit dem Finger zog ich gebannt die Konturen des Zeichens nach, bis ich realisierte, dass es für immer auf meiner Haut bleiben würde.

      Das penetrante Klopfen hielt an, während ich mich im großen Spiegel des Badezimmers betrachtete. Als ich das nervige Geräusch nicht mehr aushielt, legte ich mir das Handtuch um die Hüften und stellte mich zur Tür. Als das nächste Klopfen ertönte, riss ich noch währenddessen die Holztür beiseite, doch es war niemand zu sehen.

      »Was zum Teufel ist denn hier los?«, schrie ich verärgert,