An den Knotenpunkten von Judentum, Christentum und Islam
GOTT, VERNUNFT UND GEWALT12
Der byzantinische Kaiser Manuel II. Palaiologos führte um 1391 im Winterlager zu Ankara einen Dialog mit einem gebildeten Perser über Christentum und Islam und beider Wahrheit. Der Kaiser begründet, warum Glaubensverbreitung durch Gewalt widersinnig ist. Gewalt steht im Widerspruch zum Wesen Gottes und zum Wesen der Seele. „Gott hat kein Gefallen am Blut“, sagt er, „und nicht vernunftgemäß, nicht „σὺν λόγω“ zu handeln, ist dem Wesen Gottes zuwider. Wer also jemanden zum Glauben führen will, braucht die Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken, nicht aber Gewalt und Drohung. Um eine vernünftige Seele zu überzeugen, braucht man nicht seinen Arm, nicht Schlagwerkzeuge noch sonst eines der Mittel, durch die man jemanden mit dem Tod bedrohen kann.“13 Der entscheidende Satz in dieser Argumentation gegen Bekehrung durch Gewalt lautet: Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider.
RELIGIONSFREIHEIT UND TOLERANZ
Das Zweite Vatikanische Konzil unterstreicht in der Erklärung über die religiöse Freiheit (Dignitatis humanae)14, dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, dass alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von Seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt, so dass in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich, als Einzelner oder in Verbindung mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem Gewissen zu handeln. Ferner erklärt das Konzil, das Recht auf religiöse Freiheit sei in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet, so wie sie durch das geoffenbarte Wort Gottes und durch die Vernunft selbst erkannt wird. Dieses Recht der menschlichen Person auf religiöse Freiheit muss in der rechtlichen Ordnung der Gesellschaft so anerkannt werden, dass es zum bürgerlichen Recht wird. Auch haben die religiösen Gemeinschaften das Recht, keine Behinderung bei der öffentlichen Lehre und Bezeugung ihres Glaubens in Wort und Schrift zu erfahren. Schließlich ist in der gesellschaftlichen Natur des Menschen und im Wesen der Religion selbst das Recht begründet, wonach Menschen aus ihrem eigenen religiösen Sinn sich frei versammeln oder Vereinigungen für Erziehung, Kultur, Caritas und soziales Leben schaffen können.
In der Erklärung des Konzils über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (Nostra aetate) heißt es zu anderen Religionen: „Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet. Unablässig aber verkündet sie und muss sie verkündigen Christus, der ist ‚der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ (Joh 14,6), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat. Deshalb mahnt sie ihre Söhne, dass sie mit KIugheit und Liebe, durch Gespräch und Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.“15 Gemeint sind Hinduismus und Buddhismus, aber auch der Islam: „Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat.“16
DIALOG
In den Religionen mischen sich Heiliges und Gewalt, Wesen und Unwesen. Deshalb bedarf es beim Dialog der Bereitschaft zur Selbstkritik, zur Läuterung des Gedächtnisses und zum Lernen von den anderen. Gerade weil sich Wesen und Unwesen von Religion vermischen, sind Offenbarung und Aufklärung kritisch zu vermitteln. Dies kann aber nicht so geschehen, dass wir die Religion auf die Seite legen. Wenn wir Religion auf Ethik reduzieren, schlägt Liebe in Kälte um. Immanuel Kant hatte den Grund des Bösen in der Freiheit, bzw. in der freien Willkür des Menschen, geortet. Er begnügte sich mit der Hoffnung, zu der unbegreiflichen und niemals gewissen „Revolution der Gesinnung“ durch „eigene Kraftanwendung“ zu gelangen17. Freiheit und Liebe nur zum Postulat des Sollens zu erheben, ist aber „selber Bestandstück der Ideologie, welche die Kälte verewigt. Ihm eignet das Zwanghafte, Unterdrückende, das der Liebesfähigkeit entgegenwirkt.“18 Dann wären der eigentliche Glaubensakt im Sinne des Vertrauens und des Gebetes, dann sind die Hoffnungskraft und das Trostpotential der Religionen an den Rand geschoben. Ein Dialog zwischen den Religionen kann nicht auf der Basis eines kleinsten gemeinsamen moralischen Nenners erfolgen, sondern muss vom Ureigenen der Religionen ausgehen. Die Wahrheitsfrage darf dabei nicht gleichgültig ausgeklammert werden. Kriterien für den Wahrheitsanspruch der Religionen sind: Sie müssen einen Heilsbezug, einen Gottbezug, einen essentiellen Freiheitsbezug und einen praktischen Weltbezug haben.19 Sie sind z. B. daraufhin zu befragen, in welcher Form sie Sinn erschließen, wie sie zu Gerechtigkeit und Frieden stehen, welches Gewaltpotential sie freisetzen.
Grundsätzlich sind Mystik und Aufklärung einander gar nicht so fremd, wie es auf den ersten Blick erscheint. Dies lässt sich an der radikalen Selbstkritik bzw. Selbsterkenntnis, die an der Basis mystischer Wege steht, aber auch für die Aufklärung charakteristisch ist, zeigen20. So ist theologische Rede vom Bösen unabdingbar mit menschlicher Freiheit verbunden. Insofern schließt sie die Bereitschaft zu einer ständigen schöpferischen Selbstkritik ein. Die Wahrung der Freiheit erfordert die Unterscheidung der Geister mit einem Gespür bzw. mit der Analyse der Täuschungen in Gefühl und Erkenntnis. Und in diesem Anliegen sind sich mystische, spirituelle und aufgeklärte Traditionen näher, als manche Verächter der Spiritualität und der Mystik meinen (vgl. Ignatius von Loyola, Teresa von Ávila, Fenelon, Kant). In beiden Traditionen schlägt das Ideal der Reinigung bzw. Reinheit, Klarheit und Lauterkeit in allen Dimensionen der Wirklichkeit immer wieder durch. Die Mystiker, und nicht nur sie, suchen die reine Selbstlosigkeit der Liebe, Immanuel Kant die Reinheit der sittlichen Gesinnung (ohne jede sinnliche Neigung!). Die Anliegen von Mystik und Aufklärung sind wahlverwandt. Selbstaufklärung über die Bedingungen der Möglichkeit der eigenen Erkenntnis, kritische Durchleuchtung aller vorfindlichen Bilder und Ergebnisse21, schonungslose Analyse des Subjekts und seiner Welt, eine Reinigung der sittlichen Motive (bis hin zu einem starken Antieudämonismus), die Entdeckung der Passivität der Vernunft.22
TOLERANZ
Zur Religionsfreiheit, zu Respekt und Toleranz gegenüber anderen Religionen, zum friedlichen Dialog mit ihnen gibt es vom Zweiten Vatikanischen Konzil her keine Alternative. Überall dort, wo unterschiedliche Überzeugungen, Werte, Lebensstile, kulturelle Eigenarten und Religionen aufeinandertreffen, ist die Tugend der Toleranz für ein friedliches Zusammenleben der Menschen notwendig. Ihre Unverzichtbarkeit und Bedeutung wird deshalb umso größer, je mehr in unserer Welt ganze verbindende Traditionen und Weltanschauungen zu zerbrechen drohen. Toleranz bedeutet aber nicht Selbstaufgabe. Vielmehr ist tolerantes Verhalten nur dort möglich, wo zugleich auch ein eigener Standpunkt, eine eigene Identität vorhanden ist. Wo beides verwirklicht ist, wo man eigene Identität besitzt und behält und wo man doch den anderen nicht unter die eigenen Maßstäbe zwingt, ist Toleranz gegeben. Toleranz besteht für mich darin, sich mit dem anderen und Fremden wirklich auseinanderzusetzen. Sie beinhaltet Interesse am Neuen, Neugier gegenüber dem Fremden und Andersartigen. Sie beinhaltet