Ein Schlüssel der Integration ist die Bildung. Im Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich heißt es: „Bildung kann Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenführen, durch gemeinsames Lernen den Horizont eines jeden und einer jeden Einzelnen weiten helfen, Brücken zu bauen zwischen den Generationen und zwischen den Geschlechtern, zwischen Kulturen und Religionen.“
Integration ist ein beidseitiger Prozess, ein gesellschaftlicher Dauerauftrag. In vielen positiven Beispielen im Alltagsleben leisten Christinnen und Christen einen wichtigen Beitrag auf dem sicherlich noch langen Weg zu einem besseren Miteinander. Und immer wieder werden mutige Schritte gesetzt. Wir brauchen gegenseitigen Respekt. Die zahlreichen Zuwanderer leisteten ebenso ihren Beitrag zum wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Reichtum. Die Nationen müssen „im Namen der Würde jedes einzelnen Menschen einen zusätzlichen Schritt hin zur Integration aller in die Gesellschaft“ machen. „Davon hängt zu einem großen Teil der soziale Friede ab“ (Papst Benedikt XVI.).
Kirche als Lebensraum
für Fremde
DIE ANGST VOR DEM FREMDEN5
Die Fremden werden nicht von selbst vertraut und auch nicht selbstverständlich als Gäste aufgenommen. Dies hängt an grundsätzlichen Einstellungen zum Leben bzw. an Lebensentwürfen, die negativ über der eigenen Identität wachen. Negativ und abgrenzend entwickelt sich das Selbst- bzw. Ich-Bewusstsein, wenn es durch Entledigung von allem Fremden angestrebt wird. Man will sich selbst und die Besonderheit der eigenen Identität durch Ausstoßen der anderen sichern. Alles, was im Gegensatz zum Eigenen, Nahen, Bekannten, Gewohnten und Vertrauten steht, ist dann nicht geheuer und wird als Bedrohung erfahren. Eine Sperrhaltung gegen alles Fremde, grundsätzliches Misstrauen, eine grundsätzliche Abwehrreaktion sind die Konsequenz: Wer kein Hiesiger ist, gilt als suspekt. Ausland und Elend haben eine Wurzel. „Menschen“ sind für manche politische Gruppen nur jene, die der eigenen Nation oder Rasse angehören. Die anderen gelten als Barbaren oder Untermenschen. Das führt dann zum Tanz um das Goldene Kalb der Identität, um die persönliche, berufliche, nationale, politische, männliche, weibliche, kirchliche, parteiliche, ideologische Identität. Selbstbewusstsein und Zelebration werden eins. Eitelkeit und Arroganz gegenüber dem anderen machen sich breit. Im Kern ist diese narzisstisch orientierte Identität aber morbid: „Während das Subjekt zugrunde geht, negiert es alles, was nicht seiner eigenen Art ist.“6
Der Mensch ist Person, der Freiheit und damit Bei-sich-Sein und Für-sich-Sein, Selbststand und Selbstbestimmung besitzt. Der Mensch ist auch auf andere bezogen und kann nur zusammen mit ihnen sein Leben führen und zu sich selbst finden. Es ist nun die entscheidende Frage, wie diese beiden Pole vermittelt werden. Sind sie gleichursprünglich oder gibt es eine Über- und Unterordnung. Die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung kommt aus der Hoffnung, dass das Ich mehr ist als das Produkt der Masse, mehr auch als die soziale Rolle. Diese Sehnsucht kommt aus der Erfahrung, dass gesellschaftliche oder ökonomische Entwürfe im Hinblick auf Sinn zu kurz greifen. Freilich ist rückzufragen, ob nicht dieser Kritik ein idealistischer Begriff von Freiheit zugrunde liegt. Es gibt ja auch die Kehrseite der Emanzipation und Autonomie: Werden die Beziehungen, wird das Du als sekundär und akzidentiell gesehen, so sind sie nur der Vorhof der eigentlichen Freiheit, werden sie zum Hobby der einen und zur Willkür der anderen. Eine Sackgasse ist es auf jeden Fall, wenn Beziehungen und Bindungen von vornherein als entfremdend gewertet werden, wenn Gnade als Bedrohung, wenn Verdanken unter einem rein negativen Vorzeichen steht: „Ein Wesen gibt sich erst als selbständiges, sobald es auf eigenen Füßen steht, und es steht erst auf eigenen Füßen, sobald es sein Dasein sich selber verdankt. Ein Mensch, der von der Gnade eines anderen lebt, betrachtet sich als ein abhängiges Wesen.“7Der andere bzw. der Fremde und die Gabe seiner Freiheit stehen unter dem Vorzeichen der negativen, zu überwindenden Abhängigkeit; Selbstbestimmung und Freiheit wird auf den Kampf gegen Abhängigkeit und Fremdbestimmung, aber auch gegen Bindung und Beziehung reduziert. Freiheit wäre Sich-Losreißen. Anerkennung und Liebe wären grundsätzlich ausgeblendet. Das Selbsterhaltungs-Ich zeichnet sich durch Misstrauen, Rationalität, Kontrolle und Kritik aus. In Verhärtungen oder auch in Blockbildungen findet das Individuum nicht sein Heil. Eine Selbstverwirklichung, die alles Fremde als Hemmung, Begrenzung, Behinderung, Bedrohung und Feind seiner selbst verdächtigt und nur die Perspektive der Befreiung von anderen kennt, landet in der Vereinzelung. Menschliche Identität gelingt nicht in der Gettoisierung oder in einer Festung, nicht durch kämpferische Selbstverteidigung, Verhärtung oder Totalbewaffnung und ist auch nicht machbar. Wer sich das Leben glaubt nehmen und holen zu können, der nimmt es sich in der Tat. Das Individuum „erfährt den Doppelsinn, der in dem lag, was es tat, nämlich sein Leben sich genommen zu haben; es nahm sich das Leben, aber vielmehr ergriff es damit den Tod.“8
KATHOLIZITÄT ALS LERNPRINZIP
Die katholische Kirche hat sich in den letzten hundert Jahren grundlegend verändert. Sie ist erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirklich Weltkirche geworden. Dass heute zwei Drittel, bald werden es drei Viertel oder vier Fünftel, aller Katholiken außerhalb Europas leben, ist Frucht der von Europa ausgegangenen Missionierung. Diese war verbunden mit Machtkonstellationen, mit Verbrechen, Gräueln, Ausbeutung durch die Eroberer, mit Kolonisatoren und kolonialen Regimes, aber sie ist auch eine Erfüllung des Verkündigungs- und Taufgebotes Christi. Es sind gerade nach dem Zerfall der Kolonien viele sogenannte junge Kirchen in Afrika, Asien entstanden, mit nicht selten wechselvollen und auch leidvollen Beziehungen zur staatlichen Obrigkeit.
Weltkirche ist Kirche noch nicht unbedingt durch eine universale Verbreitung des Christentums. Das ist ja in einem gewissen Sinn am Beginn der Neuzeit geschehen. Eine „Metaphysik des Transports“ (Peter Sloterdijk), die Transzendenz in der Überquerung des Atlantiks sieht und die neuen Paradiese in Amerika sucht, ist noch geprägt von Strategie, Beherrschung, Unterwerfung und Macht. Reale Weltkirche ist das noch nicht. Weltkirche entsteht auch nicht einfach durch Globalisierung, sofern diese mit einem Verrat aller konkreten Kulturen verbunden ist. Durch das Ökonomieprinzip ist Kommunikation immer schneller, aber auch abstrakter und allgemeiner geworden. Das Internet kann das konkrete Anschauen, den Kuss, den Händedruck, das gemeinsame Gehen, die Sprache und Kultur, die leiblichen Werke der Barmherzigkeit und auch die Feier der Sakramente nicht wegrationalisieren.
Johann Baptist Metz fordert von einer Kirche, die reale Weltkirche werden will, ohne das Erbe des Judentums und der europäisch abendländischen Geschichte abzustreifen, die Verwirklichung von zwei Grundzügen des biblischen Erbes: dass sie im Namen ihrer Sendung Freiheit und Gerechtigkeit für alle sucht, d. h. dass sie eine Option für die Armen trifft, und dass sie sich als Kultur der Anerkennung der anderen in ihrem Anderssein entfaltet9. In dieser Hinsicht ist Weltkirche ein Lernraum10, Katholizität ein Lernprinzip11. Solche Lernschritte hatte die Kirche als ganze immer wieder zu setzen: Das begann mit dem sogenannten Apostelkonzil, bei der Frage, ob man beschnitten werden müsse, um das Heil zu erlangen. Auch die altkirchlichen Konzilien waren Lernschritte der Katholizität im Einlassen auf die Philosophie als Mittel zur Auseinandersetzung in der Gottesfrage und als Hilfe für die Antworten des Glaubens auf an ihn gestellte Fragen. Schmerzliche Lernschritte für die Kirche waren die Frage der Menschenwürde, der Menschenrechte zu Beginn der Neuzeit und das damit verbundene Verbot der Sklaverei. Lernprozesse im 20. Jahrhundert waren und sind etwa die ökumenische Bewegung, der interreligiöse Dialog, die Neubestimmung der Beziehung bzw. des Verhältnisses der Kirche zu Israel oder die Frage der Inkulturation, der Kampf um Gerechtigkeit, die Option für die Armen, der Friedensauftrag der Kirche. In dieser Perspektive gehören Polyzentrismus und Universalismus, Weltkirche und Basiskirche zusammen.
„Die Bischöfe, die den Teilkirchen vorstehen, üben als Einzelne ihr Hirtenamt über den ihnen anvertrauten Anteil des Gottesvolkes, nicht über andere Kirchen und nicht über die Gesamtkirche aus. Aber als Glieder des Bischofskollegiums und rechtmäßige Nachfolger der Apostel sind sie