Weshalb aber verlor Weinhauer ein Jahr nach der Tauschaktion mit Dallas eigentlich seinen Posten? Weil er im Sommer 1999 wichtige Leistungsträger nicht an den Club binden konnte und weil der von ihm selbst angestellte Trainer George Karl hinter den Kulissen um mehr Einfluss auf Personalentscheidungen antichambrierte. Die Sterne standen schlecht. Weinhauers Arbeit – die Bucks hatte 1999 zum ersten Mal seit 1991 wieder die Play-offs erreicht – galt als nicht gut genug. Und die Hoffnung auf den hochgepriesenen Traylor fiel langsam, aber sicher in sich zusammen.
Mit Nowitzki hatte das alles ganz und gar nichts zu tun.
Aber einige Fragen blieben offen. Und so beschloss ich irgendwann, mich auf die Suche nach Bob Weinhauer zu machen.
Die Nummer von Bob Weinhauer steht im Telefonbuch. Weshalb man ihn leicht ausfindig machen kann. Zumal er zu den Basketballtrainern und -managern der alten Schule gehört. Wenn man ihm eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlässt, ruft er zurück. Und er erzählt, wie das damals wirklich war, mit Nowitzki und Nelson. Doch wie das Leben so spielt, saßen wir uns wenige Monate später höchstpersönlich gegenüber. Mitten im Atlantischen Ozean.
Es wäre falsch, allzuviel in diese eine Begegnung hineinzugeheimnissen, die sich beinahe zufällig auf einem Schiff auf halber Strecke zwischen Florida und Portugal irgendwo im Atlantik ergab. Denn wir waren uns ja wenige Monate zuvor schon einmal begegnet. Und zwar am Telefon, bei einem Gespräch, bei dem wir uns hinreichend ausgetauscht hatten.
Bob Weinhauer hatte mir bei der Gelegenheit alles Wissenswerte aus seiner Zeit als verantwortlicher Manager bei den Milwaukee Bucks erzählt. Und natürlich auch die Sache mit Dirk Nowitzki erklärt. Und die mit Don Nelson.
Dass wir uns noch einmal über den Weg liefen, und zwar auf diesem komfortablen, mit seinem Platz für 400 Passagiere gar nicht mal besonders großen Kreuzfahrtschiff namens Odyssey, ist als kleine Arabeske trotzdem durchaus des Erwähnens wert. Nicht nur weil diese Episode zeigte, dass wir auf diesem ziemlich großen Planeten in einem unsichtbaren Netzwerk zahlloser Zufälligkeiten dahinschippern. Sondern auch weil sich eine solche Begebenheit einfach sehr viel stärker im Gedächtnis einprägt als ein ganz normaler Telefonanruf.
Unser Treffen kam morgens auf dem Mitteldeck neben dem kleinen Swimmingpool zustande. Die Sonne strahlte, nur ein paar kleine schüchterne Wolken dekorierten den Horizont. Es wehte eine leichte Brise.
Es passierte, weil ich seinen Namen kurz zuvor in einer Broschüre entdeckt hatte, die alle Kreuzfahrer nach der Abreise in Fort Lauderdale erhalten hatten und die alle Passagiere in alphabetischer Reihenfolge auflistete. Verbunden mit der Information über den Wohnort. Ich war mir deshalb ziemlich sicher, dass es sich dabei um genau diesen Mr. Weinhauer handelte, mit dem ich schon einmal gesprochen hatte.
Ich wollte ihn nicht überfallen. Ich wusste nicht mal, wie er aussah, und bat deshalb einen der Concierges mir bei der Kontaktaufnahme zu helfen. So dauerte es zwei Tage, bis wir zusammenkamen und ich erneut dieses kleine Puzzle auffrischen konnte, in dem er nach meiner Einschätzung eine nicht ganz unwichtige Rolle gespielt hatte.
Wir hätten uns an diesem Morgen über vieles unterhalten können, zum Beispiel über seine lange Karriere mit den Anfangsjahren auf Long Island, wo er 1939 geboren und aufgewachsen war. Über seine Zeit als College-Basketballtrainer, der zuerst mit der University of Pennsylvania in Philadelphia Erfolg hatte und dann mit Arizona State University in Phoenix. Über seine Stationen in der unterklassigen Continental Basketball Association hätten wir auch reden können. Oder über die Phase danach in der NBA, wo er bei den Houston Rockets 1994 und 1995 als General Manager wohl den Höhepunkt erlebte: Denn seine Mannschaft gewann exakt in beiden Jahren zum ersten und bis heute letzten Mal die Meisterschaft.
Aber unterhalten haben wir uns am Ende vor allem übers Reisen und seine familiäre Wurzeln in Europa. Das ersparte uns, ein weiteres Mal über Dirk Nowitzki zu reden, denn die entscheidenden Informationen hatte er mir bereits am Telefon gegeben.
Trotzdem versuchte ich ihm noch einmal zu erklären, in welchem seltsamen Mysterium er als jene völlig falsch beschriebene Figur existierte. Als Teil eines scheinbar unausrottbaren Narrativs, dem erstaunlich viele Menschen aufgesessen waren, weil sie besserwisserisch darauf bestanden, zu wissen, wie das 1998 vor und bei der Draft rund um Dirk Nowitzki abgelaufen war.
Es existierten allerdings in der Öffentlichkeit auch nur wenige brauchbare Informationen über den wahren Sachverhalt. Und diejenigen, die kursierten, waren offensichtlich von niemandem überprüft worden, ehe sie in die Welt gesetzt wurden. Ein gutes Beispiel ist der schon genannte Bericht in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit, in dem auf einer kurzen Strecke von wenigen Sätzen gleich drei Behauptungen zu lesen sind, die alle dazu dienten, Weinhauer ins Lächerliche zu ziehen, weil der angeblich nicht erkannt hatte, welche sportlichen Talente in dem jungen Basketballer aus Würzburg steckten.
Zum besseren Verständnis hier die drei wesentlichen Fehler dieser Passage, die alle mit sehr viel Überzeugungskraft vorgetragen wurden:
Erster Fehler – die Charakterisierung der Transaktion: Demnach hätten die Bucks damals den Dallas Mavericks im Tausch für Dirk Nowitzki den Amerikaner Robert Traylor „entreißen“ können.
Zweiter Fehler – die Gesamtbewertung des Vorgangs: Angeblich sei die Tauschaktion „als einer der schlechtesten der Klubgeschichte“ der Milwaukee Bucks zu betrachten.
Dritter Fehler – es hätten sich für den damaligen Chefmanager der Bucks daraus sogar persönliche Konsequenzen ergeben. Zitat: „Ein Jahr nachdem Weinhauer Dirk Nowitzki für Traylor verramscht hatte, war er seinen Job los.“
Übrigens geistern nicht nur in Deutschland seit Jahren Darstellungen herum, die den Tausch missbilligen oder sogar ins Lächerliche ziehen. Manche gehen so weit, ihn als eine der größten Fehlleistungen in dieser Kategorie in der Geschichte der Liga einzustufen. So schaffte es der Nowitzki-Trade 2011 beim vielgelesenen Online-Sportinformationsanbieter Bleacher Report auf Platz elf der „schlimmsten Trades in der Geschichte der NBA“. Die Webseite The Sportster hievte ihn 2014 sogar auf Rang acht in einer ewigen Schlechtesten-Liste und nannte das Arrangement zwischen den Mavericks und den Bucks „einen der katastrophalsten Draft-Tag-Trades in der NBA-Geschichte“.
Dabei hätte die Recherche locker einen Artikel lokalisiert, der bereits 2011 im Milwaukee Sentinel Journal erschienen war, als die Dallas Mavericks auf dem Weg Richtung Titelgewinn unterwegs waren. Schon die Überschrift erklärte alles: „Harris says Bucks never had Dirk“ – Die Bucks hatten Nowitzki zu keinem einzigen Zeitpunkt gehabt, wie Larry Harris, 1998 unter Weinhauer Direktor der Scouting-Abteilung der Bucks und einer der Zeitzeugen erklärte: „Die Absprache wurde bereits vor der Draft getroffen.“
Weinhauer selbst hatte sich bis zu unserem Telefonat zu dem Thema niemals ausführlich geäußert. Warum auch? Er hatte gar nicht verstanden, wie Leute überhaupt darauf gekommen waren, die Aktion zu thematisieren. Die Bucks hätten Nowitzki den Mavericks ohnehin niemals einfach wegschnappen können. Wir erinnern uns: Dallas war 1998 bereits an Platz 6 an der Reihe, Milwaukee an Platz 9. Don Nelson hätte also Nowitzki, den er unbedingt haben wollte, nur an die fünf Teams verlieren können, die vor ihm auf der Draft-Liste standen. Aber die hatten ganz andere Spieler im Visier, wie sich im Verlaufe des Abends zeigte: Auf den Plätzen eins bis fünf wurden gezogen: der Center Michael Olowokandi, der Spielmacher Mike Bibby, der ebenfalls