Tagebuch aus der Okkupationszeit der britischen Kanalinseln. Hans Max Freiherr von Aufseß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Max Freiherr von Aufseß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783955102258
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Frage der Zuteilung der letzten Gasspeicherung für Volksküche und für Zeitung. Sonderführer Hohl66 (nomina sunt omina)67 giftet in Propaganda und verhindert objektives Abwägen. Ich spüre dahinter den tiefen Konflikt, der mit dem Attentat auf den Führer durch das Volk geht. Jedes Maß und jede Vernunft wird als reaktionär verdächtigt. Es genügt nicht mehr, gut deutsch zu denken. Der Galgen steht als Verzerrung über allen und besonders über dem Adel.

      Ersten Reichweitenbericht für die belagerten Festungen übergeben. Auskommen bis Ende Dezember, danach große Not unabwendbar. Eigenartig klares Erkennen, der Lebensbedürfnisse und Leistungsfähigkeit eines Landes. [46]

      Mittag am Strand. Die Holzrippe eines Schiffes halbverkohlt wurde angeschwemmt. Großes Interesse der Kinder, die darum herumspielen. Bestätigt mir bildlich den oft gefühlten Gedanken, daß Krieg ein böses Kinderspiel und Bubenstück. Liebe am Zerstören und Zerstörten Soldaten und Kindern im gleichen Maße liegend.

      Lese zur Zeit Hans Jünger »Blätter und Steine«68. Anregender Gedankenreichtum.

      Besuche Kriegsgerichtsrat Dr. H.69 Ein kluger juristischer Kopf, aber trocken und etwas Hämisches im ausgezehrten Gesicht. In der Rechtsfindung stimme ich mit ihm überein nicht aber im Strafmaß. Hier gehört ein Bogen Herz, Gemüt u. warmer Humor dazu, um für das Befremdliche der Abgleichung von verbotenen Handlungen mit Wochen u. [47] Monaten von Gefängnis dennoch eine Lebensnähe zu bewahren. Wir achten uns beide gegenseitig, wenngleich jeder im andern gerade dort Schwächen sieht, die dieser für seine Stärke hält.

      Abends die Verhandlungsberichte über Generalfeldmarschall v. Witzleben u. s. w.70 gelesen, die zum Tod durch Erhängen verurteilt wurden. Verhandlungsführung des Vorsitzenden71 entspricht nicht der sonst an höchsten deutschen Gerichten üblichen objektiven Sprache. Entweder hat Propaganda die Verhandlung in ihre Sprache übersetzt oder es sind die Formen, die man von einem hohen Gericht verlangt, durch den Zeitgeist abhanden gekommen. [48]

      Es ist zu befürchten, daß dieser Prozeß die letzten Sympathien des Auslandes für das neue Deutschland genommen hat.72

      11. 8. [1944]73

      Ich schreibe am Abend am Fenster meines Büros. Habe weiten Überblick über das Meer. Die Bäume leuchten grüngolden in der Abendsonne. Von Malo kommt ununterbrochenes dumpfes Geschützgrollen herüber. Manchmal wackelt das ganze Gebäude und Türen schlagen. Es wird der Endkampf um die Küstenforts und Dünen sein. Dann wird der Krieg von uns weit weggehen, bis wir in einem Nachholen selbst daran kommen werden.

      Empfinde den Abend viel schöner, als meine innere Stimmung. Er ist so einer [49] der von mir so geliebten Augustabende, an dem ich wohl sonst mit der liebsten Frau zu Hause innig glücklich gewesen wäre. Es waren zu viel Anfechtungen und Anforderungen. Früh Sof. [Sonderführer] Hohl mit seiner Zeitung.

      Mittags verlangt Heider74 wegen Entweichen eines englischen Strafgefangenen75 Bestrafung der Zivilbevölkerung durch Schließen des Strandes. Ich bin über die Absurdität dieser Forderung zunächst zu sehr empört. Ärgere mich danach über mich selbst. Irgendwelche freilich angemessenen Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung wegen des Verbor- [50] genhaltens einer ganzen Menge von uns gesuchter Personen müssen wohl ergriffen werden. Doch ist es im Augenblick unsrer hoffnungslosen Lage ein gefährlicher Fehdehandschuh, der einmal hingeworfen sofort vielfach aufgegriffen werden wird. Wo liegt das Maß zwischen zu großer Strenge u. Schwäche? Niemand kann mich hier darüber beraten. Auerbach und General sind nicht da. Es kann nur das richtig sein, was ich in mir selber finde. Dabei ist es aber von vornherein klar, daß es keine ideale Lösung gibt.

      [51]

      Nachmittags im Kino. Ein Film mit Luise Ulrich76 nach dem Ibsen-Stück Nora77. Luise Ulrich packt mich immer ganz. Eigenes fernes Eheglück wird weh wach. Über dem Trennungsschmerz ruht sonst der Alltagsstaub u. deckt ihn zu. Aber deswegen ist er immer da und wird nicht heilen, nicht in 10 Jahren Gefangenschaft und nicht beim Sterben in einem fernen Land.

      Es beschleichen einen melancholische Gedanken bei diesem untätigen Zusehen, wie die Schlinge der Gefangenschaft um uns gezogen wurde und es kein Aus [52] mehr geben wird. Gar nicht zu denken an die Familie in einer Niederlage, denn aus dieser flössen 1000 Leiden, wie nur einem siechen Körper in alle Adern.

      12. 08. [1944]

      Am Badestrand herrscht noch völliges Einvernehmen zwischen den deutschen Soldaten und den englischen Mädchen. Wenn es nur verborgen genug geschieht, gibt sich jedes Mädchen mit wenigen Ausnahmen ihm auch hin. Die Engländerin ist auffallend klar, mühelos und schnell in Liebesdingen. Während die Französin immer noch mehr ihre Person dabei einsetzt und das Spiel auch geistig getrieben haben will, ist es bei der Engländerin eine erstaunlich nüchterne Körpersache. Es ist nicht zu verkennen, daß in dieser geschwinden, mühelosen Art des Lie- [53] bens eine gewisse Helle, eine Geradheit, Aufrichtigkeit, Unverdecktheit und ein Freisein von Schwüle und Zwielicht liegt. Wenn die Französin nach langem Kuß ein Wort oder eine Verszeile über die Liebe findet oder singt, die Engländerin lacht gewiß über das lange Verküssen. Auch die Deutsche, wie schwer gefühlsam, schweigend ist sie dennoch und wie innig und zärtlich auch.

      Ich möchte es nicht vermissen dieses langsame Auf- und Zueinanderdämmern zweier Seelen, die Unwissenheit, das zaghafte Ahnen, das Geheime, Fremde, Zarte im Sichbegegnen, dem Zauber inniger Berührungen und die goldenen Reize inniger Schüchternheiten verhaltener Scham. Wo ist dagegen der Gewinn zu [54] schnellen Sichfindens, zu frühen Erkennens und zu aufgedeckter Sinnlichkeit.

      Ich denke an die Rückkehr zur eigenen Frau und zu den Kindern. Ich spüre dabei vorausahnend wie jedes Wort, jeder Blick und jede Bewegung zu einer Quelle der Freude werden wird, wie alles an die Heiligkeit der ersten Ehe erinnern wird, wie sich darin das Einmalige, das für alle Zeiten Bedeutende ausdrücken muß, das durch den Alltag webt, und wie hinter den Schmerzen das Glück des Lebens in einer neuen Tiefe aufleuchtet.

      13. 08. [1944]

      Lange Besprechung bei Oberst Heine. Es ist ein vornehmer alter Herr, bescheiden und auf Form bedacht, aber auch militärisch, über- [55] vorsichtig, gehemmt und tiffelig78. Schon wie sein Kopf so steif zwischen dem hohen Kragen sitzt, macht er den Eindruck des Steifen, Unbeweglichen. Seine mangelnde Frische und Elastizität hat aber den Vorzug, daß er nicht unbedacht handelt. Für die Militärverwaltung ist das aber wichtiger als Überheblichkeit, Anmaßung und Darauflosgehen. Oberstleutnant Lindner79 ein gutmütiger ostelbischer Riese mit riesigem runden Schädel und winzigen Äuglein. Er leistet im Grunde nichts, ist ganz auf seine Mitarbeiter angewiesen. Dafür wiederholt er und schreit so laut bei Besprechungen das, was er gerade einmal begriffen hat. Er überschreit seine Bedeutungs- [56] losigkeit.

      Delikate Angelegenheit der Sühnemaßnahmen gegen Bevölkerung besprochen wegen Verborgenhaltens von Entwichenen. Bin als einziger für Zurückhaltung. Dürfen nicht wegen ein paar wertloser Entwichener den Fehdehandschuh hinwerfen, der vielfach in dieser Lage aufgegriffen werden würde. Wir verbrauchen unsere Mittel vorzeitig für Lappalien.

      Mittags kam Sanitätskompagnie wieder mit Pferden an den Strand. Zuerst ritt ich mit Toni, einem zierlichen kleinen Pferd, beim Galopp wie ein Eselchen. Danach kam der Schimmel Froni, ein wildes unbändiges Mädchen, das nie müd wird und nur immer losschießen möchte. Ich ritt mit ihr in der Badehose ohne Sattel und beherrschte sie schwer aber doch vollkommen. Ein herrliches [57] Gefühl, so ein wildes Pferd und den Strand in Kilometerlänge vor sich, dazwischen ritt ich mit Froni immer wieder in das Meer hinein. Sie schwamm weit in das Tiefe hinaus und ich saß dabei auf ihrem Rücken u. gab ihr weite Zügel. Manchmal kamen furchterregende große Wellen und dann kamen ihre Lefzen unter Wasser und nur die geblähten Nüstern schauten noch wie eine Nilpferdschnauze heraus. Aber schon schnob sie ihren Brustkasten tief voll Luft, daß es sie wieder hoch heraushob. Sie öffnete nun das Maul mit offensichtlich schlechtem Geschmack, machte lange Zähne. Es war doch etwas Meerwasser eingedrungen, das ihr nicht gut geschmeckt [58] hatte. Ein paarmal nahm ich kleine Buben mit auf das Pferd, die glühend begeistert waren. Aber Froni ist zu gefährlich, für solche Wagnisse. Wir beide Froni und ich waren allgemeine Sensation am Strand.