Einer der Siedlungsschwerpunkte der Ungarndeutschen war seit Ende des 17. Jahrhunderts das Ofener Bergland westlich von Budapest. Am Rande dieses Gebirges liegt die Ortschaft Perbál (dt. Perwall), unser Heimatort. Ein Auszug aus dem Internet von 2006 erzählt etwas zur Geschichte des Dorfes. Danach sind die ältesten Zeugnisse einer Besiedlung beinahe 4000 Jahre alt.
„Das Dorf war nicht immer bewohnt. Bei jedem Wechsel der Besatzer (Römer, Hunnen, Franken, Türken usw.) wurde die Siedlung entvölkert. Oft gab es gar keine Einwohner mehr, sie wurde aber immer neu besiedelt. … Nach 1467 (gehörte sie dem) Sohn von König Mathias, János Corvin, und seit 1504 dem Paulanerorden. In der Zeit der Türkenherrschaft 1549 bis 1686 war das Dorf gänzlich ausgestorben. Nach der Vertreibung der Türken gehörte Perbál der Familie Zichy. Sie holten schwäbische Siedler ins Dorf, die die eingefallenen Häuser wieder aufbauten … Auch heute besteht die Mehrheit der Einwohner aus den Nachkommen der schwäbischen Siedler, aber auch eine beträchtliche Anzahl von slowakischen Einwohnern lebt im Dorf. … Seit 1744 gibt es eine Schule, seit 1882 ein Postamt und seit 1899 einen Kindergarten. 1927 wurde das Dorf an das Stromnetz angeschlossen. Eine größere Veränderung brachte das Jahr 1946, in dem etwa die Hälfte der Bevölkerung, die sich zur deutschen Nationalität bekannt hatte, ausgesiedelt wurde. In ihre Häuser zogen 271 Familien aus 68 verschiedenen Ortschaften, insgesamt 1073 Personen.“26
Am 14. März 1946 begann auch in Perbál die aufgrund der o.g. Verordnungen eingesetzte Aussiedlerkommission ihre Arbeit und stellte die erste Aussiedlerliste auf. Sie wurde im Perbáler Rathaus durch Aushang öffentlich bekannt gegeben. Die Transporte begannen bald nach dem Aushang der Liste. Die Familien Wiest und Kopp gehörten zum zweiten Transport. Mit ihm fuhr auch die Perbálerin Theresa Beer.
Theresa Beer berichtet
„Not und Elend waren im letzten Kriegswinter 1944/45 bei uns in Ungarn schon recht groß. Die Russen besetzten unseren Ort Perbál am Heiligen Abend 1944. Schon Tage vorher hörten wir das Dröhnen der Kanonen, und verzweifelt fragten wir nach dem Stand der Front. Dann kamen die Panzer massenweise, und überall war Militär. Alles fuhr Richtung Wiener Straße. Verzweifelt hatten zuvor viele Menschen ein Versteck für ihre Wertsachen, Nahrungsmittel und Kleidung gesucht. Aber niemand dachte an Flucht. Gerüchte von Überfällen und Verschleppungen hatten sich verbreitet. Um die Hauptstadt Budapest wurde erbittert gekämpft. Leute aus unserem Dorf wurden von den Russen gezwungen, eine Verteidigungslinie zu graben. Viele Soldaten starben in den Wäldern um Perbál. Man begrub sie in Massengräbern am Dorfrand. Über drei Monate verlief die Front in der Nähe unseres Dorfes. Viele unschuldige Menschen mußten in diesen Kämpfen ihr Leben lassen. Ende März 1945 glaubten wir dann, daß alles einigermaßen gut vorübergegangen sei. Doch dann, fast ein Jahr später, begann das dunkelste Kapitel der Gemeinde Perbál, die Ausrottung unseres deutschstämmigen Bauernvolkes wurde eingeleitet. Die Parole hieß plötzlich: ‚Raus mit den Schwaben!‘ Was sollte das denn heißen? Vor 300 Jahren waren unsere Vorfahren – Deutsche – und einige Slowaken nach Perbál gekommen. Sie hatten die verwüstete Gegend neu besiedelt. Seit dieser Zeit wurde auch alles in Kirchenbüchern in deutscher Sprache festgehalten. Jetzt sollten wir unsere Heimat aufgeben? – Niemals –! Natürlich hatten wir im Jahr 1941 bei der Volkszählung alle auf unser Deutschtum hingewiesen. So kam es, daß zur Beurteilung der Volkszugehörigkeit diese Angaben herangezogen wurden. Uns wurde Untreue zur ungarischen Nation unterstellt. Von 2400 Perbálern mußten nun 2000 Einwohner mit max. 50 kg Gepäck nach Deutschland umgesiedelt werden. Auf die Vertreibungsabsicht reagierten die Perbáler zunächst völlig ratlos. Aber sie waren der Willkür der Machthaber wehrlos ausgesetzt. Die Stimmung war deutschfeindlich. Für alle Folgen des Krieges wurden wir Schwaben verantwortlich gemacht. Am meisten gefährdet waren diejenigen, die Haus und Hof hatten oder sonstige Vermögenswerte besaßen. Am 20. März 1946 wurde dann am Rathaus die Liste veröffentlicht wer auszusiedeln hatte. Von Vertreibung wurde nicht gesprochen. Man konnte eine Befreiung von der Aussiedlung beantragen. Eine Kommission überprüfte dann die Anträge. Dies war jedoch meist ohne Erfolg.
Auch andere Dörfer mit deutschstämmigen Einwohnern, wie Budajenö, Telki und Piliscsaba wurden Ende März 1946 ausgesiedelt. Viele auswärtige Ungarn zogen damals schon durch die Straßen der deutschen Dörfer, um die freigewordenen Höfe und Häuser billig zu übernehmen. Jeder von ihnen wollte preiswert zu Haus und Hof kommen. Für uns Umsiedler wurde die Dorfausfahrt überwacht und gesperrt. Alles, was Wert hatte, sollte und mußte zurückgelassen werden. Am 5. April kam dann der Tag des Abschieds. In langen Kolonnen bewegten sich die schwer beladenen Pferdewagen über den Mühlweg langsam zur Verladestation Piliscsaba.
Der Abschied von unserer Heimat und den wenigen Menschen, die zurückgeblieben waren, war schwer. In Piliscsaba wurde zuerst unser Gepäck in Viehwaggons verladen. Immer 32 Personen paßten in einen Waggon. Die Pferde und Wagen blieben am Bahnhof zurück. Abends um 10 Uhr fuhr dann der Zug ab. Es war sehr eng in den Viehwaggons, und so wurde es eine beschwerliche Reise. Säuglinge und alte gebrechliche Leute mussten auf engstem Raum zusammenleben. Spannungen waren gar nicht zu vermeiden. Alle waren verzweifelt, und viele weinten. Wir müssen fort und wissen nicht wohin. Wird es besser in der neuen Heimat, oder wird es uns schlechter gehen?
An die Viehwagen hatten einige mit Kreide geschrieben:
‚Leb wohl Du schönes Ungarnland,
Du bist jetzt unser Untergang.
Unsern Ahnen hast Du gegeben
ein verwüstet Land zu pflegen!
Und für die Müh’ und Plag’,
gibst Du uns nun den Bettelstab …‘
So rollten wir viele Tage über Györ zur Grenze Agendorf und dann Richtung Wiener Neustadt.
Niemand wußte, wohin die Reise ging, wo wir einmal landen sollten. In Österreich lagen wir einmal mehrere Tage fest. Eine neue Lokomotive sollte herbei. Mittlerweile war uns vieles gleichgültig. Eine Frau starb im Zug. Wir mußten ihren Sarg auf dem Bahnsteig zurücklassen.
Ihre letzte Ruhestätte kennt niemand.
Unsere intakte Dorfgemeinschaft wurde gewaltsam getrennt. Der l. Transport ging schon am 2. April 1946 von Perbál ab. Er landete im Kreis Bruchsal. Der 2. Transport am 5.4.46 war der unsere. Mit über 1000 Landsleuten kamen wir in den Kreis Frankenberg. Wir wurden auf die Gemeinden Fronhausen, Ernsthausen, Wetter, Simtshausen, Roda, Industriehof, Berghofen, Bromskirchen, Laisa und Eifa verteilt. Der 3. Transport startete am 12. April und kam nach Württemberg. Wir waren sehr verunsichert, als wir dann bei strahlendem Sonnenschein, am 14. April 1946, in der Endstation Allendorf die Waggons verlassen durften.
Dicht und etwas verängstigt standen wir alle zusammen. Man verwies uns an einen deutschen Mann, und wir waren froh, als dieser zu uns sagte: „Ihr kommt alle mit mir nach Eifa.“ Frau Gerli sagte erleichtert zu ihrer Schwester Frau Kopp: „Jesus, kommt‘s schnell, das muß das ein reicher Mann sein!“ Es war der damalige Bürgermeister von Eifa, Herr Stöcker. Als wir dann in Eifa mit 65 Personen ankamen, wurden wir in verschiedene Familien eingewiesen. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten wurden wir in die Dorfgemeinschaft aufgenommen, und das Zusammenleben in Eifa normalisierte sich …“27
Auf einen Aspekt der Vertreibung weist ein Gedicht hin, das dem Enkel des aus Perbál stammenden Lorenz Wieszt aus Burgwald/Ernsthausen anlässlich eines Schüleraustauschs beider Partnergemeinden von einer Deutschlehrerin aus Perbál gegeben wurde.
Die Hunde von Perbál
(von Gerd Honsik)
Als wir dereinst dem Dorf den Rücken kehrten,
da winkte keiner einen Abschiedsgruß.
Nur unsre Hunde folgten unsren Fährten,
und Fremde traten schon in unsre Gärten,
und wir mit Sack und Pack dahin, zu Fuß.