Dennoch: Wir hatten viele Freunde, mit denen wir oft zusammen waren, wir feierten, wir liebten uns trotz vieler Streits, und mir war in den ganzen Jahren in jeder Minute bewusst, dass ich menschlich gesehen den besten aller Männer hatte, der anderen Frauen nicht nachstellte, mich von Herzen liebte und mit meinen Macken leben konnte. Ich dachte niemals daran, dass wir uns einmal trennen würden, denn für mich geht eine Ehe bis zum Tod. Ich bin der Ansicht: Wenn man sich für einen Menschen entschieden hat und ihn heiratet, geht man mit ihm durch alle Höhen und Tiefen und sollte sich nie wieder trennen, es sei denn, aus ganz schwerwiegenden Gründen. Für mich hätte es nur zwei Gründe gegeben: Gewalt und Drogen.
Unsere Ehe war kinderlos, was er unter allen Umständen ändern wollte, ich aber nur unter der Voraussetzung, dass er eine dauerhafte Arbeit hätte, ansonsten hätte ich nach wenigen Monaten Pause wieder ganztags für drei Personen arbeiten gehen müssen, was mich komplett überfordert hätte. Ich lag oft schweißgebadet und angstvoll nachts wach, wenn die Babyfrage wieder auf dem Tableau war, und mein Verstand sagte mir, es wäre nicht gut, in unserer Situation ein Kind zu bekommen. Nach und nach bekamen alle seine Freunde Kinder, die zum Teil von Sozialhilfe lebten. Nur wir hatten keine Kinder. Oft beneidete ich meine Freundinnen und Kolleginnen, die Kinder hatten und entspannt sein konnten, da ihre Männer eine regelmäßige Arbeit hatten und so viel Geld nach Hause brachten, dass die Frauen ein bis zwei Jahre zu Hause bleiben konnten, bevor sie wieder halbtags arbeiten gingen. Irgendwann bemerkte ich, dass er immer die Wohnung verließ, wenn die kleinen Kinder meiner Schwester bei uns waren. Nach und nach sah er keine Zukunft mehr für uns beide, irgendwann kam auch sein Satz „Sozialhilfeempfänger bekommen auch Kinder“ und forderte mich ab dem Frühjahr 2006 mehrmals während eines Streits auf, einen Anwalt aufzusuchen, um mich über die Formalitäten einer Scheidung aufklären zu lassen.
Dies tat ich am 15. Juni. Ich dachte nicht an eine Scheidung, ich ordnete das Gespräch beim Anwalt für mich als eine Art Informationsgespräch ein. Da Metin keine Arbeit hatte und wir kurz nach seiner Einreise nach Deutschland einen Ehevertrag aufgesetzt hatten, auf den ich sehr zu seinem Unmut bestanden hatte, war es für mich auch wichtig zu wissen, was im Fall einer eventuellen Scheidung finanziell auf mich zukommen würde. Da ich das Gespräch erst einmal für mich selber verarbeiten wollte, erzählte ich Metin erst drei Tage später ganz rational davon. Wir waren uns beide des Schrittes dieses Gespräches beim Anwalt bewusst, wir rissen uns wohl unbewusst wieder zusammen, und dadurch normalisierte sich unser Leben wieder. Wir stritten nicht mehr so oft, und einige Wochen lang war es ein schöner Sommer wie jeder andere auch, mit Biergarten, Strandbars, Freunde treffen, schwimmen gehen und vielen anderen Aktivitäten. Die Fußballweltmeisterschaft fand in Deutschland statt, und wenn Deutschland spielte, trafen wir uns mit Freunden zum gemeinsamen Fernsehen, oder wir lagen zu zweit auf unserem Bett, tranken ein Bier, wedelten mit dem Deutschland-Fähnchen und freuten uns. Mitte Juli verbrachten wir ein harmonisches Wochenende an der Ostsee, schwammen, radelten und spazierten durch die Gegend. Alles war wie immer – jedenfalls für mich.
Als Metin mir am Abend des 30. August 2006 nach einem Streit mitteilte, dass er mich definitiv verlassen wollte, um ein neues Leben anzufangen, ging es uns beiden schlecht. Ich erinnere mich noch, dass ich trotzdem erleichtert war, dass er es ausgesprochen hatte und nicht ich. Am nächsten Morgen teilte er mir mit – wir hatten wohl beide in der Nacht kein Auge zugemacht –, dass ich ihn vier Wochen in Ruhe lassen solle. In dieser Zeit sollte ein Grundstück, das seine Familie besaß, verkauft werden, und das wollte er abwarten. Dieser Verkauf war für ihn äußerst schlimm, es war sozusagen ein Symbol für den Verkauf seines Lebens, seiner Heimat, und auch deshalb war er völlig bodenlos geworden und fiel in ein tiefes Loch. Mein Schockzustand begann. Wir wohnten unter einem Dach, schliefen in getrennten Zimmern, und ich plante in diesem Zustand mein weiteres Leben ganz rational ohne ihn. In diesen Wochen hatte ich meinen Sommerurlaub genommen, den ich nun ohne ihn verbrachte, und ich sah ihn nur selten, da er am Tag kaum zu Hause war. Ich ging sehr vorsichtig mit ihm um. Ich fragte ihn nicht, was er machte und wie er seine Tage verbrachte. Anfangs frühstückten wir noch zusammen, dann hörte auch das auf. Den 16. September 2006 – es war ein Samstag – verbrachten wir ruhig gemeinsam in unserer Wohnung, und als ich abends fragte, ob er mit mir zusammen essen wolle, wurde er ärgerlich. Er fühlte sich von dieser Frage eingeengt, kam einige Minuten später zu mir und meinte, er wolle schon am morgigen Tag mit mir final sprechen.
17. September
Ich war den ganzen Tag mit meiner Freundin Katja zusammen, die ich schon über dreißig Jahre kenne. Wir machten eine Radtour bei herrlichem Wetter. Als sie mich empfing, fing ich an zu weinen und erzählte, dass Metin und ich uns trennen werden. Sie war schockiert und nahm mich in den Arm, während ich weinte und erzählte. Allerdings erschien mir in diesem Moment eine Trennung rational auch besser, als unsere Ehe so fortzuführen, wie sie war.
Danach fuhr ich kurz zu meinen Eltern. Ich wollte eigentlich noch nicht über die Trennung berichten, aber als mein Vater fragte, wo Metin wäre, bekam ich glasige Augen, was beide bemerkten. Ich erzählte aber nichts, und sie fragten nichts. In meinem Elternhaus wurde niemals viel über Gefühle oder private Dinge gesprochen, und es wurden nicht viele Fragen gestellt. Darüber war ich jetzt sogar dankbar.
Wieder zu Hause, saß Metin schon auf der Couch und wartete auf unsere Aussprache. Ich setzte mich zu ihm, mein Herz klopfte so laut, dass ich kaum atmen konnte. Wir bemühten uns beide um Ruhe und Höflichkeit, was auch gelang. Im Einzelnen warf er mir an diesem Abend vor, dass ich niemals freiwillig auf einen Urlaub in die Türkei mitgekommen wäre. Ich hätte seine Mutter niemals von mir aus angerufen, wir wären niemals mit dem Auto in die Türkei gefahren, so wie andere Türken auch. Wir wären nach Florida und Ägypten und in viele Länder Europas gereist, aber niemals per Auto in die Türkei. Meine Familie und ich hätten ihm kein Geld gegeben, damit er das ganze Grundstück hätte kaufen können, was nun verkauft werden sollte. Er hätte sich wie ein Hund zu Hause gefühlt und Angst vor mir gehabt, da ich ihn oft herumkommandiert hätte und zu ordentlich sei. Er würde sich einsam fühlen, da seine Freunde alle in einem anderen Bezirk wohnten und der Weg zu ihnen weit wäre. Und last, but not least hatten wir keine Kinder, die er sich wünschte. Er plante auszuziehen, sich eine Arbeit zu suchen, noch ein bis zwei Jahre in Deutschland zu verbringen, Geld beiseite zu legen und in die Türkei zurückzugehen. Er wollte dort seinen deutschen Pass zurückgeben und eine Familie gründen. Zum Schluss sagte er: „Ich werde vielleicht keine Frau finden, die so intelligent ist wie du. Wir können weiter befreundet sein. Du kannst mich auch in der Türkei besuchen.“ Ich versuchte alle seine Vorwürfe rational zu widerlegen und zu entkräften und erklärte, warum ich dies oder jenes so oder so gemacht hatte. Auf meine Frage, warum er sich in den letzten drei Jahren nicht selbst um eine Arbeit gekümmert hatte, sagte er leise: „Ich habe gesucht. Ich weiß nicht, ich wollte dieses Leben nicht, ich hatte keine Lust.“
Es war ein endgültiges Trennungsgespräch, ich konnte nichts mehr retten. Er hatte sich alles gründlich überlegt und sich lange vorbereitet, während ich auch noch Monate später das Gefühl hatte, dass die Trennung plötzlich für mich kam. Danach ging ich ins Bad, setzte mich auf den Badewannenrand und weinte bitterlich, weil ich das alles nicht wollte. Ich wäre gern zu ihm gegangen und hätte mich in den Arm nehmen lassen, aber das war jetzt nicht mehr möglich.
20. September
Es ging mir sehr schlecht. Ich hatte Magenschmerzen, eine innere Unruhe, war konzentrations- und appetitlos, und die Tränen kamen andauernd. Wenn ich tagsüber im Büro weinen musste, ging ich zur Toilette. Es sollte mir niemand anmerken, was in mir vorging, auch nicht meine mir gegenübersitzende Kollegin Anita. Ich konnte kaum arbeiten, starrte viel auf meinen Bildschirm oder aus dem Fenster. Wenn Metin und ich uns abends sahen, suchte ich unter Tränen das Gespräch, um ihm zu sagen, dass ich die Trennung und eine Scheidung nicht wollte, was ihn jedes Mal wütend